Brasilien: Knöllchen-Rekord zum Schutz von Fußgängern in São Paulo

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Datum: 16. August 2011
Uhrzeit: 15:22 Uhr
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Autor: Dietmar Lang
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► Rechte der Fußgänger werden von Autofahrern nur selten beachtet

Um das Leben von Fußgängern im chaotischen Straßenverkehr von São Paulo in Brasilien sicherer zu machen, braucht es keine neuen Gesetze. Es fordert lediglich einen immensen Papierkrieg und endlose Aufklärungsarbeit. Seit mittlerweile drei Monaten versucht die Verkehrssicherheitsbehörde CET durch zahlreiche Aktionen im Rahmen des Programms „Fußgängerschutz“ die Autofahrer auf die Einhaltung der Verkehrsregeln zu sensibilisieren, nun endlich werden die Übeltäter auch zur Kasse gebeten.

Seit gut einer Woche beobachten 154 speziell geschulte Ordnungshüter an 78 Kreuzungen in der Innenstadt von São Paulo den Verkehr und stellen dabei fleißig Strafzettel aus. Nach jüngsten Zahlen kommen so jede Stunde bis zu 30 Knöllchen zusammen. Alle zwei Minuten also wird ein „Motorista“ erwischt, wie er die den Fußgängern in der Straßenverkehrsordnung eingeräumten Rechte verletzt. Geahndet werden die Verstöße mit Punkten im Führerscheinregister und einer Geldbuße von bis zu umgerechnet 80 Euro.

„A lei não pegou“ – sprich die Umsetzung des Gesetzes ist nicht gelungen: nicht mehr und nicht weniger treffend lässt sich Reform der Straßenverkehrsordnung im Jahre 1998 beschreiben. Damals wurden darin so banale Dinge festgeschrieben wie das Halten am Zebrasteifen oder das langsame Vorbeifahren an stehenden Linien- und Schulbussen. Auch dass der Fußgänger auf dem Überweg selbst dann noch „Vorfahrt“ hat, wenn die Ampel schon auf grün gesprungen ist, kann man dort nachlesen. Nur hält sich eben so gut wie niemand daran.

Bereits im vergangenen Jahr hatte eine landesweite Aktion des brasilianischen Verkehrsministeriums auf die Rechte der schwächsten Verkehrsteilnehmer hingewiesen, mit mäßigem Erfolg. Allerdings ist festzustellen, dass vermehrt Fahrschulautos an den unzähligen Zebrastreifen anhalten, die in jeder Stadt die Haupt- und Nebenstraßen zieren. Doch ob die Absolventen diese Regeln auch noch beachten, wenn sich der Fahrlehrer bereits um neue Führerscheinanwärter kümmert, ist zweifelhaft.

Deshalb sollen die Verkehrssünder nun im Geldbeutel getroffen werden, denn dort tut es bekanntermaßen am meisten weh. Die ersten Zahlen können sich dabei sehen lassen. Alleine in diesem streng abgegrenzten Gebiet des Programmes, irgendwo inmitten der Häuserschluchten der brasilianischen Wirtschaftsmetropole São Paulo, wurden diesbezüglich zwischen dem 8. und 13. August mit 2.270 Tickets mehr als doppelt so viele Knöllchen ausgestellt wie in der ganzen Stadt im vergangenen Jahr zusammen. Ein gewaltiger Papierkrieg, aber die „Nichtbeachtung von Fußgängern“ rutscht damit auf Platz 6 der registrierten Verkehrsverstöße in São Paulo hoch. Nur Geschwindigkeitsüberschreitungen, Verstöße gegen Fahrverbote zur Staureduzierungen und Falschparken werden noch häufiger geahndet.

Die Verantwortlichen begründen ihr hartes Durchgreifen mit den durchweg positiven Ergebnissen. Nach den ersten drei Monaten der Aufklärungskampagne haben sich nach Angaben der CET die Unfälle, an denen Fußgänger beteiligt waren, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 64 Prozent reduziert. Ausgewertet wurden dabei 35 als gefährlich eingestufte Kreuzungen im Stadtgebiet von São Paulo. Pantomime-Künstler und Verkehrslotsen hatten zu Beginn den Fußgängern die sichere Überquerung ermöglicht, nun also soll die Angst vor einer Geldbuße das Bremspedal bei den rund 6 Millionen Autos in der Stadt aktivieren. Aber auch die Fußgänger wurden entsprechend instruiert, sich an die Ampelschaltungen und Überwege zu halten und nicht kreuz und quer über die vielbefahrenen Straßen zu gehen.

Bleibt abzuwarten, ob dieses lokale Beispiel auch im Großraum des Konglomerats oder gar in ganz Brasilien Schule macht. Solange die Autofahrer nicht wirklich anfangen umzudenken, wird nur eine kontinuierliche und omnipräsente Überwachung inklusive der verhassten Strafzettel die Zahl der Verkehrstoten nachhaltig reduzieren können. Und bis dahin sollte man in Brasilien einen Zebrastreifen nur betreten, wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist – oder es überraschenderweise tatsächlich angehalten hat.

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