Haiti: Märchen werden wahr

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Datum: 20. September 2011
Uhrzeit: 15:28 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Jetzt ist die Katze raus aus dem Sack, der Deckel zu meinem dritten Buch liegt vor und kann geöffnet werden, Der Grafiker hat sich was einfallen lassen, er hat die Fresken, die ich wieder auf den Mauern der Trümmer gefunden und aufgenommen habe, sinnvoll platziert, sehr sinnvoll sogar: auf dem Hintergrund einer vom Erdbeben zerrütteten haïtianischen Nationalflagge. Ich interpretiere das in meinem Sinn, wie immer.

Die Fahne bestand einst aus zwei gleich großen, horizontalen Streifen, oben blau und unten rot, bevor sie das Goudou-goudou durcheinander rüttelte, entstanden im Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich aus der französischen Trikolore, indem der weiße Streifen entfernt wurde und die roten und blauen Streifen horizontal verschoben wurden. Das weisse Feld in der Mitte, das eigentliche Wappen mit einer Palme, neben der sich Kanonen auf einem grünen Rasenstück nebst Pulverhörnern und Ladestöcken befinden, daneben noch verschiedene Gegenstände, die in der Geschichte Haïtis eine Rolle spielten: eine Trommel, ein Clairon, Gewehre, Anker versenkter Schiffe sowie zerrissene Ketten. Und zuoberst auf der Palme die rot-blaue Jakobinermütze als Symbol der Freiheit.

Offenbar verstanden die Mütze nicht alle als Symbol der Freiheit, oder diese funktionierte nicht so wie man es sich erträumt hatte. Denn 1803 musste man das anschreiben, und die Schrift „Liberté ou la mort“ (Freiheit oder Tod) kam dazu. Das traf sich gut, weil die, die die Freiheit nicht so vorfanden wie sie sich das vorgestellt hatten, ohnehin nicht lesen konnten. Bald verschwand die Schrift wieder, ehrlicherweise stillschweigend.

Am 12. Januar 2010 rüttelte das Erdbeben alles durcheinander, selbst die Nation und ihre Fahne. Die weisse Fläche im Zentrum vierteilte sich und verrutschte, nach rechts versteht sich, nach links wäre kontraproduktiv. Und was produktiv heisst ist immer noch klar. Verschmiertes Blut unter blauem Himmel blieb übrig. So wie auch das Staatswappen durch das Goudou-goudou aus den Formen geriet und zerstrichen wurde, so geriet auch mein Leben in einen zerrütteten Zustand, rund zwanzig Jahre früher, damals nach meiner Scheidung . Hier beginnt der Inhalt des Buches, das Märchen das kein Märchen war.

Es sollte ein Märchenroman werden, zusammengeschüttelt aus Personen, die damals in meinem Leben eine Rolle gespielt hatten, und Chimären, Unwesen, Fabelwesen, Fantasie- und andere Missgeburten aus meinem schon damals durcheinander gerüttelten Gehirn. Dass da auch sämtliche Namen aus den Fugen gerieten, ist wohl selbstverständlich. Erst bei der Deckelarbeit ganz am Schluss merkten wir dass es gar kein richtiges Märchen war, was zu Unrecht Kinder anziehen könnte, und auch keine Fantasy, trotz fantastischer Unwesen wie der Ufos aus den Bermuda-Tiefen. So verwandelte es sich im letzten Moment noch zu einer schlichten Erzählung.

Damit ist die Geschichte dieses dritten Buches schon fast fertig. Jetzt muss nur noch das Musterbuch gesendet werden, nach Haïti ist das auch wieder ein Abenteuer. Du erinnerst dich, das letztemal gab es Virenüberfälle, Transporteure die nicht existierten und andere Unwesen (UPS-Fälschung und Trojaner, teuflische Fabelwesen) fast wie im Märchen selbst.

Jetzt ist das „Märchen aus der Vaudou-Trommel“ unter Dach und Deckel, bald wirst auch du den Deckel aufklappen können. Für die Kinder aber, die schon wieder leer ausgehen müssen, werde ich nun ein eigenes Buch.schreiben, das vierte, „si Die vle“ (so Gott will, sagt man auf kreolisch für alle Zukunftsvorhaben). Ich habe schon begonnen.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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