Bolivien: Die Straße der Krise

Datum: 06. Oktober 2011
Uhrzeit: 11:34 Uhr
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Autor: Redaktion
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Im Frühjahr 2010 begann der linksgerichtete bolivianische Präsident Evo Morales seine zweite Amtszeit mit starker Unterstützung der Bevölkerung. Weniger als zwei Jahre später sieht sich der erste indigene Präsident des südamerikanischen Binnenstaates einer Revolution aus völlig unerwarteter Stelle gegenüber. Seine eigene Wählerschaft, die ihn einst mit 64% der Stimmen wiederwählte, distanziert sich von der versprochenen „Politik des Wandels“.

Als Hauptschuldiger der Regierungskrise gilt eine geplante Straße durch das Territorium Nationalpark Isiboro Sécure (TIPNIS). Mehrere indigene Bewegungen protestierten gegen den Bau der 306 Kilometer langen Straße, die durch das Herz und der Heimat von rund 15.000 Ureinwohner führen soll. Laut dem Minister für öffentliche Arbeiten, Walter Delgadillo, spielt die Straße durch eines der größten Naturschutzgebiete des Staates eine wichtige Route für den Handel und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Nicht alle teilten die Meinung der Regierung. Rund 1.500 Angehörige indigener Völker organisierten einen Marsch in Richtung La Paz, um einen Stillstand des aus Mitteln der brasilianischen Nationalbank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (BNDES) finanzierten Projekts zu erreichen. Eine brutale Polizei-Razzia am 25. September zerstreute die Demonstranten und erzeugte eine starke Welle des Protestes. Obwohl Regierungsmedien in gewohnter Weise gebetsmühlenartig alle Verantwortung für die beispiellose Prügel-Attacke weit von sich schoben, nahmen zwei Minister ihren Hut. Die Aktion wurde international scharf verurteilt, einzig einige linke Medien wandten sich in gewohnter Weise um Rechtfertigung.

Das bolivianische Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR-Bolivia) hat die exzessive Anwendung von Gewalt bei der brutalen polizeilichen Intervention gegen Indigene scharf verurteilt. Gegen den bolivianischen Präsidenten Evo Morales wurde eine Beschwerde wegen Völkermord eingereicht. Der Antrag für das Verbrechen der Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte gegenüber der indigenen Bevölkerung kam von verschiedenen oppositionellen Gruppen und wird innerhalb der nächsten 30 Tagen untersucht werden.

Nachdem die Central Obrera Boliviana (COB), Dachverband der bolivianischen Gewerkschaften und ehemaliger Verbündeter von Morales, einen Generalstreik ankündigten, gab auch der Präsident klein bei. “Aufgrund der Vorfälle und den nationalen Protesten habe ich das Projekt Territorio Indígena Parque Nacional Isiboro Sécure (TIPNIS) suspendiert. Lassen wir die Menschen und vor allem die betroffenen Völker in den Departamentos Cochabamba und Beni entscheiden”, so das linksgerichtete Staatsoberhaupt. Die Entscheidung wurde von den Demonstranten vernommen, der Marsch in Richtung La Paz allerdings wieder aufgenommen. Die Zeiten, wo sie den Worten ihres Präsidenten Glauben schenkten, sind vorbei. Dementsprechend erreichten die Popularitätswerte von Morales den niedrigsten Stand seit 2006.

Weshalb ruft ein Straßenbau-Projekt solche Ablehnung hervor? Indigene Völker behaupten, dass die Straße ein Wald- und Süßwasser-Naturreservat von rund 1,2 Millionen Hektar zerstört. Einige Umweltgruppen erklärten, dass das Projekt Hunderttausende von Hektar Wald zerstört. Dies nicht nur wegen des Baus selbst, sondern durch die Ankunft von „Siedlern“, die Bäume für ihre Koka-Felder fällen werden. Die Regierung unterstrich die wirtschaftliche und geopolitische Bedeutung des Projekts und wies darauf hin, dass die einheimische Landwirtschaft profitieren werde. Umweltschäden wurden als nicht wesentlich bezeichnet.

„Die Straße wird die Ebene von Beni mit dem Rest des Landes verbinden. Die Strecke zwischen San Ignacio Villa Tunari und Moxos wird der Schlüssel zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit in den westlichen Provinzen, so Minister Delgadillo. Ein weiteres wesentliches Merkmal der Straße sei die Vernetzung mit der bi-ozeanischen Route, die sich quer durch den Kontinent von Brasilien bis Chile erstreckt und Anschluss an den Atlantik und Pazifik gewährt. Inzwischen berichten oppositionelle Medien, dass der Straßenbau in Cochabamba ohne Unterbrechung weitergeführt wird.

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