Brasilien: Kein „Land der Zukunft“ mehr

Datum: 06. März 2012
Uhrzeit: 15:15 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Redaktion
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► Entstehung einer neuen Mittelschicht

Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig schuf mit seinem Buch „Brasilien-Ein Land der Zukunft“ einen Begriff, der in den letzten Jahrzehnten meist spöttisch verwendet wurde. Nicht nur im größten Land Südamerikas erzählte man sich einen sarkastischen Witz: „Brasilien ist das Land der Zukunft – und wird es immer sein“. Die neuesten Zahlen der Regierung weisen inzwischen darauf hin, dass das Land Großbritannien als die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt überholt hat und zusammen mit den BRIC-Ländern (Russland, Indien und China) einen beeindruckenden Kontrast zu der aktuell herrschenden Düsternis einiger etablierter westlichen Mächte bildet.

Trotz aller Euphorie war 2011 ein Jahr des schwachen Wachstums. Die Wirtschaft wuchs nur um 2,7%, ein starker Rückgang vom 7,5% Wachstum in 2010. Trotz seines Glücks konnte Brasilien nicht ganz den Auswirkungen der Finanzkrise entkommen. Jim O’Neill, Chef der Abteilung für globale Forschung bei der Investmentbank Goldman Sachs, glaubt, dass die BRIC-Staaten im Jahr 2050 gemeinsam mit den USA, Japan und Euroland die Weltwirtschaft dominieren und stolze 20 Prozent (aktuell 10 Prozent) der globalen Wirtschaftsleistung erzeugen.

Die Zukunft hat in Brasilien bereits begonnen und ist im ganzen Land zu sehen. Der Außenhandel boomt und erzielte im Vorjahr einen Handelsbilanzüberschuss von 29,7 Milliarden US-Dollar. Die großen Sportereignisse, Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro, lassen Eisenbahnlinien, Häfen, Flughäfen, Kraftwerke und Hotels entstehen.

In den letzten 10 Jahren konsolidierte Brasilien seine Rolle als landwirtschaftliche Supermacht, entdeckte riesige Ölvorkommen im Atlantik, bezahlte seine Schulden beim Internationalen Währungsfonds und entwickelte einen offensivere Diplomatie. Mit einem neu gefundenen Vertrauen beginnt der südamerikanische Riese das stereotype Bild zu verwischen, in dem der Staat oft nur als das Land des Fußballs und Sambas bezeichnet wurde.

Die Entstehung einer neuen Mittelschicht führt dazu, dass immer mehr Einkaufszentren im ganzen Land eröffnet werden. Eine Kombination aus wirtschaftlichem Erfolg und eine gerechtere Verteilung des Einkommens hat dazu beigetragen, Millionen Menschen aus der Armut zu führen. Gleichwohl ist der Reichtum noch immer ungleich verteilt, die Schere zwischen Wohlstand und Elend klafft weit auseinander. Im Jahr 2011 wurden landesweit 22 neue Einkaufszentren eröffnet, womit sich die Gesamtzahl im ganzen Land auf 430 erhöhte. Weitere 74 werden für dieses und nächstes Jahr geplant.

Inzwischen muss sich Brasilien mit den längst bekannten Realitäten sogenannter „Erste Welt-Staaten“ auseinandersetzen und seine Grenzen vor der massiven Zunahme an illegalen Einwanderern schützen. Ebenfalls drängen immer mehr qualifizierte ausländische Arbeitskräfte auf den brasilianischen Arbeitsmarkt. Nach Überwindung der bürokratischen Hindernisse erhoffen sie sich einen Neuanfang in Südamerika. Headhunter in den Megametropolen São Paulo und Rio de Janeiro werden mit Bewerbungen und Lebensläufen aus Europa regelrecht überschwemmt.

Allerdings gibt es bei einigen Experten eine spürbare Angst, dass das Land zusammenbrechen könnte. Sie warnen vor dem so genannten „China-Effekt“, der zu einem plötzlichen Rückgang der Industrieproduktion führen könnte. „Wir sind ein aufstrebendes Land mit der höchsten Aufwertung seiner Währung. Die Regierung versucht allerdings nichts, um dieses Problem zu lösen“, erklärte Rubens Ricúpero, ehemaliger Wirtschaftsminister. „Unsere politische Ökonomie versucht Wachstum zu erzielen, ausschließlich durch Konsum und Kredit. Dies führt zu einem Leistungsbilanzdefizit, da die Nachfrage nicht mehr durch Importe gedeckt werden kann“, fügte er hinzu.

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