Osterbräuche in Haiti

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Datum: 02. März 2010
Uhrzeit: 16:09 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Dass Bräuche in der Welt verschieden sind, muss wohl nicht erwähnt werden. Das gilt auch für die Osterbräuche, von denen ich einige Proben aus Haiti schildern möchte. Teils handelt es sich um Karfreitags-Bräuche, die an Ostern schon wieder vergessen sind.

Während man in Europa bunte Eier versteckt und durch die Kinder suchen lässt, lässt man auf den Inseln Drachen steigen, auch jenseits den Landesgrenzen, so in der Dominikanischen Republik. Auch Osterhasen haben hier keine Chance, sie sind in der Hitze weggeschmolzen, noch bevor sie auf den Tropenwiesen umher hoppeln konnten. Aber Drachen aus Papier und anderen leichten Materialien, die schmelzen nicht. Im Gegenteil, sie lieben die Bodenhitze, da dann ungestüm steigende Winde erzeugt – Gelehrte und Piloten nennen das „Thermik“. Jugend jeglichen Alters beginnt schon monatelang vorher mit dem Bau kunstvoller Drachen, die auch üppig verziert werden. Bunt wie nordische Ostereier, also doch eine Gemeinsamkeit. Auch in Schulen und Kindergärten gilt jetzt nur noch ein einziges Bastelthema, und jeder versucht das schönste und auch technisch vollkommenste Kunstwerk zu bauen.

Schon zwei Wochen vor Ostern wird geübt, Platzrunden gedreht, kühne Drachenpiloten haben Hausdächer besetzt und lassen ihre Werke steigen. Nicht einfach, die Dinger an hunderten von Drähten vorbei zu lotsen, die von den Stromdieben von einer Freileitung zum eigenen Wohnsitz gezogen wurden. So hängen die verunfallten Fluggeräte nach kurzem Start in die Hoffnung oft traurig von den Stromfäden herunter und warten auf einen befreienden Wirbelsturm. Die glücklichen Aufsteiger aber steigen auf und tanzen mit ihren Partnern lustig um die Wette. Sie steigen in den Luftwirbeln so hoch in den Himmel, dass man sie nicht mehr sehen kann. Ganz ähnlich wie bei den Menschen. Das dauert eine gewisse Zeit und ist dann plötzlich vorbei, wie so viel anderes. Bei den Drachen am Freitagabend, sie haben Ostern nicht einmal mehr erlebt. Denn vom Samstag an sieht man keinen einzigen Drachen mehr. Ich hätte gern mehr über die Gründe geschildert, doch konnte ich darüber selber nichts erfahren. Die Antwort lautet stets, dass das immer so war. Man muss ja auch nicht immer so dumm fragen nach Allem.

Ein rauerer Brauch sind die Oster-Raras. Diese urheidnischen Strassenprozessionen beginnen vor dem Haus eines „Houngans“, wie die Zauberer hier heißen. Hier sammelt sich eine rasch wachsende Menschenmenge mit bunten Fahnen, unter Musik und Klamauk. Rara-Musik besteht aus wilden Stößen von Naturtönen aus „Vaksen“, riesigen bemalten Bambushörnern, Blechröhren und improvisierten Blasinstrumenten, manchmal verstärkt durch ausgediente, verbeulte moderne Blasinstrumente wie Trompeten, Reiterbässe, Posaunen, Saxophone und Rundhörner. Dazu kommen ein Arsenal von selbstgebauten Lärminstrumenten, Trommeln, Tamtams, Tamburins oder einfach Pfannen, Bleche, Schellen und alles was sonst noch Lärm erzeugt. Die „Musik“ ähnelt einer wildgewordenen Gugge aus der Schweiz oder einer Gaga-Taino-Indianermusik aus der Dominikanischen Republik und dröhnt wild und afrikanisch.

Die Musik ist rhythmisch, ohrenbetäubend und angsteinflößend, Melodien sind kaum zu erkennen. Sie ähnelt nordisch-alpinen Frühlingsbräuchen, mit denen die Wintergeister vertrieben werden. Aber im Gegenteil, so wird gesagt, sollen damit die bösen Geister und Dämonen herbeigerufen und „hounganhörig“ werden. Und im Gegensatz zum Norden, wird da noch geglaubt was man macht, es lebt und ist nicht zu folkloristischem Spiel verkommen. Der Houngan ist Zeremonienmeister der Teufel und Zombies, und die Leute behaupten, dass damals die Kreuzigung des christlichen Gottessohnes auf diese Weise von den heidnischen Horden gefeiert worden sei, mit Rara, Tanz und Lärmtiraden. Durch Feiern dieses urheidnischen Brauches wollen sie sich von den Christen absetzen, auch wenn sich die einen trotzdem „Christen“ nennen und sonntags in die Kirche pilgern. Das eine schließt eben das andere nicht aus, hier in Haiti.

Der Lärm ist von fern unüberhörbar und zieht immer mehr Anhänger an, besonders Jugendliche. Es wird getanzt, etliche machen Akrobatik, laufen auf Stelzen oder verrenken ihre Glieder. Die von einem Vorsänger mit Megaphon vorgegebenen Sequenzen oder Phrasen werden von dem Riesenchor nachgesungen. Dass dabei auch Clairin, wie die hochprozentige Zuckerdroge hier heißt, eine bedeutende Rolle spielt, versteht sich von selbst. Man leistet sich auch einige Zigaretten, und die Tablet-Verkäufer marschieren mit (Tablets sind Kleingebäck aus Erdnuss und Zucker). Die Menge strömt tänzelnd durch die engen Gassen der Quartiere und auch über Land und bewegt sich gröhlend immer weiter, zwängt sich durch Nachbardörfer, durch Auto- und Nationalstraßen. Das kann zu ungeheurem Verkehrschaos führen, stundenlange Staus müssen in Kauf genommen werden, das ist ja zu Ostern auch in „entwickelten“ Ländern so, und Volksbrauch hat Priorität. In der Hauptstadt angekommen, schützt Polizei die Raras, und die Regierung unterstützt altes Brauchtum mit Beiträgen (trotzdem noch nicht wie in der Schweiz, wo Geissenpeter, Ziegenherden und Alphornbläser vom Verkehrsverein bestellt und bezahlt werden. Aber Touristen gibt es ja auch noch gar keine hier, zum Glück???). Das war nicht immer so. Zu Zeiten, da Raras als Ausdruck des Volksgefühls politisch „missbraucht“ wurden, wurden die wirksamen „Massenmedien“ als Volksaufwiegelung verboten.

In der Prozession fallen ein oder zwei Zombie-Träger auf, ähnlich unseren Fahnenträgern auch hier ein Ehrenamt, das immer von den gleichen Würdenträgern ausgeführt wird. Sie tragen in einer zugelöteten, mit einer teuren Decke verhüllten Metallkiste , die ebenfalls „Zombie“ genannt wird, „Zombies“ umher, die verlorene Seele und Reliquien eines Verstorbenen, Zauberzeugs von Teufeln und Dämonen, unheimliche und gruselige Dinge, die niemand kennt und noch niemand gesehen hat. Die fremde Seele kann vom Zauberer für seine Dienste benutzt werden. Da Zombies sehr teuer sind, werden dir Körbe oder Kisten für die Dauer des Raras gemietet und mitgetragen. Der Rara dauert die ganze Nacht, oft auch den folgenden Tag, und kann sich nochmals bis weit in die nächste Nacht hineinziehen.

Versteht sich, dass im Lande des Hungers Volksfeste besonders mit Essen gefeiert werden. Nachdem man während der Raras von Clairin, Zigaretten und Tablets gelebt hat, beginnt der Karfreitag mit einem Frühstück aus einem frisch gestampften Kakao-Schokolade-Getränk, Brot und Bobori aus Maniok und Aransaut. Die Schokolade bildet auch hier eine Parallele zu unseren Osterhasen, man genießt sie jedoch klimagerecht flüssig und vermeidet den Hasen so das peinliche dahin schmelzen zu einem Nichts. Wer es sich leisten kann, tafelt zur Hauptmahlzeit Fisch, Kartoffeln, Yam, Bananen und Randen mit viel Zwiebeln. Dies alles in einfachen ländlichen Verhältnissen, bei den Begüterten in der Stadt ist das schon komplizierter und kann auch etwa andauern wie ein Rara. Am Samstag wird ausgeschlafen, aber am Ostersonntag da wird wieder getafelt: statt Fisch leistet man sich jetzt nach der Suppe viel Fleisch, wenn man das vermag, ein herrliches Reisgericht und ein reiches Gemisch an Salaten. Zu einem Fest gehören eben Trinken, Essen und Klamauk, dies gilt wohl weltweit.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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