Chile: Regierung Piñera wirft Opposition die Macht in den Schoss► Seite 2

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Datum: 16. März 2013
Uhrzeit: 18:19 Uhr
Ressorts: Füllgrafianas
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► Andenstaat hat massive innen- und aussenpolitische Probleme

Regierungskritische Medien In Chile weisen daraufhin, der Staatspräsident selbst gehöre zu den wenigen Nutzniessern dieser Entwicklung: Als ehemaliger Eigentümer der Fluggesellschaft LAN, die er für 1,5 Mrd. US-Dollar verkaufte, hat sein Vermögen während der ersten beiden Amtsjahre um 200 Mio. USDollar mit Immobilien und Finanzgeschäften der Bancard Inversiones und Inversiones Bancorp zugenommen; ein in Europa unvorstellbarer Interessenkonflikt.

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Piñeras Kritiker ziehen harte Bilanz. „Es mangelt an Kohärenz, auf der einen Seite wird behauptet, das Land wachse, daß es uns allen gut geht, andererseits sieht sich die Regierung gezwungen, Armutsboni an drei Millionen Menschen zu verteilen“, beklagt Bárbara Figueroa, Vorsitzende des gewerkschaftlichen Dachverbandes CUT, und wurde vom christdemokratischen Senator Jaime Pizarro sekundiert: “Ich schliesse mich der Bewertung der Mehrheit der Chilenen an: Das ist eine Regierung, die viel versprochen, doch sehr wenig eingehalten hat“.

Vom gährenden Sozialprotest alarmiert, hatte Sebastián Piñera in den vergangenen Wochen umgerechnet 200 Mio. US-Dollar auf rund 42 Prozent der Bevölkerung, also weit mehr als nur drei Millionen Sozialhilfeempfänger verteilen lassen – mit etwa 85 Dollar je Familie, ein Tropfen auf den heissen Stein.

Ungeschickt ging die Regierung Piñera um mit der landesweiten Forderung nach Dezentralisierung, also grösserer Autonomie vom Ballungszentrum Santiago, das ein Drittel der Gesamtbevölkerung des Landes auf sich vereinigt, und Regionen wie Biobío und Patagonien zu „Energie-Exklaven“ degradiert, die im Fall der Wasserkraftwerke Ralco und Hydroaysén drakonische und irreparable Umweltkosten beklagen. Deshalb setzt der Oberste Gerichtshof in Santiago öfter der Duldung klare Genzen, weshalb beispielsweise dem Megaprojekt dreier Kohlekraftwerke des Brasilianers Eike Batista, in Atacama, wegen mangelnder Umweltschutz-Vorsorge, die Bauerlaubnis entzogen wurde. Batista reagierte verbittert:“Byebye Chile, in diesem Land lassen sich keine Geschäfte machen!“.

Ganz zu schweigen vom politischen Unwillen, Chiles Institutionen von der Pinochet-Verfassung von 1980 zu befreien, die dem Militär fast dreißig Jahre nach Ende der Diktatur immer noch politische Vorrechte einräumt, ist Serbastián Piñeras grösstes Versäumnis zweifellos seine Unfähigkeit für den Dialog mit Hochschulen und Studentenschaft. Übereifrige Befürworter des erfolgreichen “chilenischen Modells” verschleiern in der Regel die Tatsache, dass ein Regelstudium an einer öffentlichen Universität in Chile zwischen umgerechnet 600 und 1.000 US-Dollar im Monat-, also 6.000 bis 10.000 Dollar im Jahr kostet – bei einem Mindestbruttoeinkommen von maximal 5.500 US-Dollar im Jahr, sind mehr als 70 Prozent der Chilenen vom Recht auf Bildung ausgeschlossen. „Bildung ist ein Gemeinrecht“, erinnerte die zurück getretene Bildungsministerin Annette Schavan anlässlich ihres Besuchs in Chile, im Oktober 2012, den brüskierten Staatspräsidenten Piñera und erntete tosenden Beifall von den Studenten.

Um die Studenten von den Strassen wegzuholen, beschloss die Regierung Piñera längere Laufzeiten und niedrigere Zinssätze bei der Abzahlung der Kredite, die die Studenten bei den Banken aufnehmen müssen, um ihr Studium zu finanzieren, dass sie als hochverschuldete Arbeitssuchende beenden. Ob Ex-Präsidentin Michelle Bachelet, die sich 2010 mit 84 Prozent Popularität von der Macht verabschiedete, nach ihrer so gut wie sicheren Wiederwahl im November 2013 an der Bildungsmisere etwas ändern wird, steht vorerst in den Sternen geschrieben – müsste sie doch den gesamten, auf fragwürdiger Marktvorherrschaft gründenden Staatsapparat, umkrempeln.

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In seiner wöchentliche Kolumne stellt Frederico Füllgraf aktuelle Themen vor und versucht zugleich, indiskutable Fortschritte in Politik, Bilateralen Beziehungen, Wirtschaft, Soziales, Umwelt und Kultur auf die Spur zu kommen.

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