Ist das Verschweigen nicht auch eine Lüge?

zensur

Datum: 18. März 2010
Uhrzeit: 10:39 Uhr
Ressorts: Editorial
Leserecho: 7 Kommentare
Autor: Dietmar Lang
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Kontroverse Themen sind die wahren Herausforderungen im täglichen Leben eines Redakteurs. Er wandelt stetig auf dem schmalen Grat, muss die Balance finden zwischen dem Wahren, dem Unwahren, der Lüge, der Propaganda. Nicht derjenige, der am Lautesten schreit, sollte angehört werden, die stillen Töne verraten oft mehr. Manches geht in der heutigen Medienflut unter, umso gewissenhafter sollte man gerade im Internet diesen Tatsachen Raum und Zeit widmen.

Es mag unspektakulär klingen, es vermag dadurch vielleicht die Grenzen des eigenen Landes nicht überwinden, aber es ist doch Realität. Und gibt es nicht die moralische Verpflichtung, bei Kenntnis dieses zu veröffentlichen und einer breiteren Leserschaft zur vermitteln? Wir veröffentlichen unsere Artikel nicht nur auf unserem Portal sondern lassen ausgewählte News auch auf anderen Webseiten, Nachrichten-Sammelsystemen und ähnlichen Applikationen abbilden. In unserem Kommentarbereich fördern wir kontroverse und manchmal auch emotional geführte Diskussionen, denn jedes Thema sollte von soviel Seiten wie möglich betrachtet werden. Unzählige Erfahrungen fliessen dabei ein und helfen, auch abstrakte Positionen und komplexe Zusammenhänge zu verdeutlichen und so ein besseres Bild der Realität zu vermitteln.

Auf diese Arbeit, bei der vor allem unser Chefradakteur Michael Unsleber zum einen die Weichen stellt und zum anderen mit Weitsicht und Fingerspitzengefühl die unterschiedlichen Meinungen zu konstruktiven Diskussionen kanalisiert, können wir – dies denke ich zumindest – recht stolz sein. Um so betroffener hat mich nun eine „Sperre“ auf einem Nachrichtenportal gemacht, welches aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen nun keine Lateinamerika-News von uns mehr abbilden will.

Angeblich wurde dem besagten Portal nun vorgeworfen, an einer „Kampagne gegen Kuba“ beteiligt zu sein. Ausschlaggebend dürften daher unsere Berichte von der Karibikinsel sein, die mit Sicherheit nicht nur die Sonnenseiten des Landes aufzeigen. Mit dem nachfolgenden „offenen Brief“ möchte ich einfach meine Gedanken zu diesem Thema mit Ihnen teilen. Mit der Realität und dem tatsächlichen Geschehnissen anzuecken bedeutet, Diskussionen anzufachen – ein wichtiger Schritt zur Meinungsbildung und oberstes Ziel des professionellen Journalismus.

Aber rechtfertigt eine divergierende Meinung, unbequeme Nachrichten zu blockieren und eine deutschsprachige Newsquelle zumindest im vorgegebenen Einflussbereich „mundtot“ zu machen? Ist das Verschweigen von Ereignissen nicht ein Zeichen von Ignoranz, Willkür und Propaganda, wie es nur einem menschenverachtendem Regime würdig ist? Oder um es etwas harmloser in Bezug auf das Internet auszudrücken: „Ist etwas zu verschweigen nichts anderes als eine Lüge?“

Hallo M.,

als Betreiber der Nachrichtenplattform latina-press.com wurde ich heute von meinem Chefredakteur Michael Unsleber über die URL-Sperrung auf Ihrem Portal informiert. Verstehen Sie diese Mail bitte keinesfalls als Wunsch nach „Wiederfreischaltung“, ich möchte Ihnen hiermit einfach meine Gedanken zu diesem Thema mitteilen, damit sie zukünftig vielleicht eine differenzierte Betrachtungsweise bei „kontroversen“ Themen in Ihre Entscheidungsprozesse integrieren.

Sie verstehen sich nach eigenen Aussagen als unabhängige Nachrichtenagentur, die laut den selbst vorgegebenen Statuten „für die Menschenrechte, die Grundrechte, Gewaltlosigkeit, das Schaffen von Verständnis zwischen unterschiedlichen Menschen und ein menschenwürdiges Sozialwesen“ einsetzt. Sie versuchen „die Geschehnisse auf der Welt aus möglichst verschiedenen Perspektiven und Quellen zu beleuchten“. Genau diese Statuten haben uns veranlasst, auch auf diesem Portal Berichte über Lateinamerika einzustellen. Als überparteiische und objektive Journalisten berichten wir über Tatsachen und Geschehnisse, stellen eigene Recherchen an und verfügen über zahllose Kontakte in den verschiedenen Ländern, da fast alle unsere Redakteure wie ich selbst auch fest in Lateinamerika leben und den Subkontinenten nicht nur aus dem fernen Europa oder während einiger weniger Urlaubstage beobachten.

Gerade in einigen Ländern Lateinamerikas bestehen weiterhin gravierende Einschnitte in die Menschenrechte und die Meinungs- und Pressefreiheit. Darüber objektiv zu berichten, die Probleme aufzuzeigen aber dabei auch die Realität nicht zu verleugnen ist oberster journalistischer Grundsatz und ethisches Fundament unsere täglichen Arbeit. Es liegt mir fern zu unterstellen, dass Sie und Ihre Mitstreiter vielleicht in den internen Diskussionen die Differenzierung zwischen Blog, Kommentar, Bürger-Journalismus und Journalismus mit der Zeit aufgeweicht haben, für Aussenstehende mag sich nach der „Sperrung“ dieser Verdacht vielleicht ergeben. Dabei kämpfen doch gerade diejenigen gegen die Ungerechtigkeiten, die in der Lage sind, darüber vorurteilsfrei, offen und unzensiert zu berichten.

Lieber M., mir persönlich als Betreiber und Herausgeber mehrerer Newsportale erscheint die Entscheidung, deren Urteilsfindung ich aus verständlichen Gründen nicht nachvollziehen kann, da ich die internen Strukturen nicht kenne, fast schon als eine gewisse Art von „Zensur“. Und dies wirft jede Menge Fragen auf. Wird der Wahrheitsgehalt der Nachricht generell angezweifelt? Werden die darin beschriebenen Tatsachen nicht anerkannt? Muss der Leser vor dieser Art von Nachrichten „geschützt“ werden? All dies kritisieren wir Journalisten genau dort, wo persönliche Interessen und Ideale höher bewertet werden als die Meinung eines Einzelnen. Sie gehen mit dem Ausschluss von Nachrichten meines Erachtens genau diesen bedauerlichen Weg.

Ich kann Ihnen versichern, dass latina-press keine „Anti-Cuba-Kampagne“ fährt, sondern nur das aufzeigt, was dort tatsächlich passiert. Wenn die Menschen hinter Ihrem Portal davor ihre Augen verschliessen wollen, so ist es deren gutes Recht. Dann treten sie jedoch gleichzeitig ihre „Statuten“ mit Füssen und sollten sich überlegen, ob die Bezeichnung „unabhängige Nachrichtenagentur“ tatsächlich den Inhalten der Webseite entspricht. Hier korrelieren verschiedene Interessen miteinander, so dass genau die Professionalität auf der Strecke bleibt, die sich die „Macher“ eines solchen Portals vorgenommen haben.

Ich betone nochmals, dass diese Mail kein offizielles Gesuch um „Wiederfreischaltung“ darstellt, sondern lediglich meine Gedanken widerspiegelt, nachdem ich die Mail meines Chefredakteurs erhalten habe und ihre Seite ein wenig intensiver betrachtet habe. Vielleicht sollten Sie intern einmal über einen meiner wichtigsten Grundsätze nachdenken, der mich in den Jahrzehnten meines (Berufs-)Lebens immer begleitet hat: „Etwas zu verschweigen ist nichts anderes als eine Lüge!“

Mit journalistischen Grüssen
Dietmar Lang

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Die Kolumne von latinapress Herausgeber Dietmar Lang – Gedanken und Erfahrungen über das Leben in Lateinamerika und der täglichen Berichterstattung von Nachrichten aus Südamerika und der Karibik.

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  1. 1
    togo

    Überhaupt beim Thema Venezuela wird sehr einseitig berichtet und teilweise falsche Behauptungen veröffentlicht. Während über jeden Furzt in Venezuela berichtet wird, kommen aus rechtsgerichteten Staaten kaum negative Meldungen (z.B. Peru oder Kolumbien)

    Beispiel Parlamentswahlen in Kolumbien: Die Wahlbeteiligung war sehr niedrig. Der Wahlbetrug war offensichtlich. Wie lautet die Überschrift? „Uribe-Partei gewinnt Wahlen in Kolumbien“ – nur in zwei Sätzen wird erwähnt, dass es Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Wäre über so einen Vorfall genauso berichtet worden, wenn das in Venezuela stattgefunden hätte. Es wäre hier sicher eine Überschrift wie „Chávez fälscht Wahlen“ oder dergleichen erschienen und die Ergebnisse als illegitim aufgefasst worden.

    Noch ein Beispiel aus Kolumbien: Obwohl seit Oktober 2009 berichtet wird, wurde noch niemals von einem ermordeten Oppositionspolitiker, Gewerkschafter oder Journalisten berichtet.

    • dann wäre es doch genau richtig, wenn sie ab und an einen bericht über venezuela verfassen würden–und ihn anschliesend zur veröffentlichung einreichen. die redaktion wäre ihnen dankbar.

  2. 2
    Joern

    Hallo togo,

    ich meine, dann ist dieser Bericht über Venezuela, dass Chavez sein Volk langsam verhungern lässt und alles verstaatlicht, was nicht bei 3 das Land verlassen hat, der am Sonntag auf der ARD im „Weltspiegel“ gelaufen ist, wohl auch eine Lüge??

    http://www.daserste.de/weltspiegel/beitrag_dyn~uid,heq2ptl833l0t6wk~cm.asp

    und hier das video dazu: „Venezuela mit Vollgas zur Kubanisierung“:

    http://mediathek.daserste.de/daserste/servlet/content/4036918?pageId=&moduleId=329478&categoryId=&goto=&show=

    Viel Spaß beim zuschauen und nachlesen!!

  3. 3
    togo

    hallo joern,

    interessanter bericht. aber leider ungenau. nicht nur venezuela leidet derzeit an einer stromknappheit, sondern auch andere staaten in der region. dass vom problem abgelenkt wird stimmt nur teilweise. derzeit gibt es viele kampagnen für eine optimierung des stromssystems.

    zum verhungern: beim amtsantritt von der chávez lag die armutsrate bei 70%. jetzt ist sie unter 30%. man kann sich sicher sein, dass es früher mehr leute gab die hungerten.

  4. 4
    togo

    nachtrag: hier eine analyse zum ard-beitrag: http://www.amerika21.de/espanol/Circulo-3506456-Bolivariano/view

  5. 5
    Joern

    Die Frage ist doch, wie man Armut definiert. Vielleicht bekommen sie jetzt in Venezuela ein Stück Käse mehr, auf Ration. Wenn damit Hunger gelindert wurde, dann Herzlichen Glückwunsch.

    Ich war ja nun die letzten 3 Jahre auf Kuba und habe noch einmal gesehen, wie der Sozialismus wirtschaftet. Wenn man so will, sind immer noch 90% der Kubaner bitterarm und sind auf ihre Lebensmittelmarken angewiesen, weil sie nicht in der Lage sind, ihr eigenes Geld zu verdienen. Und wenn sie was verdienen, dann hat es keinen Wert. Nur die Touristen sind die wirkliche und große Einnahmequelle des Kommunismus. Die arme Bevölkerung schaut auf die Menschen des Kapitalismus auf und bewundert sie.

    Auch ich habe mit meinem Geld den Sozialismus durch meinen Urlaub finanziert. Ich bin noch einmal zurück in die Hölle des Löwen gegangen, um zu sehen, wie ich aufgewachsen bin. Ich kann Dir eines sagen: Der Kapitalismus ist das (auf jeden Fall) bessere System, weil hier NICHT alle Menschen gleich sind und die natürlichen Bedürfnisse, wie z. B. das Streben nach Macht und mehr NICHT unterdrückt werden. VIEL korrupter, als die Polizei und die Machthaber auf Kuba, sind noch nicht einmal die Politiker in Deutschland.

    Ich glaube ganz stark, dass der Bericht des Weltspiegels die neue Wahrheit wiedergegeben hat, und Chavez wirklich gut portraitierte. Lustigerweise und symbolisch ebenso beim Stromausfall, in seinem Palast sitzend, während er eine seiner langweiligen Reden hielt, die kaum jemanden interessieren dürfte. Ich musste wirklich laut lachen. Kein Scherz.
    Außerdem ist genau diese Miesere eingetreten, wie ich es vor einem Jahr vorausgesagt hatte. Der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, dass ich nicht lache.

    Aber mal im Ernst. Dein Link, oder die Kritik von „amerika21“ hätte ich gerne gelesen. Leider kann ich immer noch nicht so gut Spanisch, um alles zu verstehen. Gibts davon ne deutsche Übersetzung?? Die offizielle funktioniert nicht, wie schade. Ich vermute jedoch, das es eine Propaganda-Zeitung ist?

  6. 6
    togo

    @joern

    sie waren in kuba und wissen dadurch wie es in venezuela zugeht? sie wissen schon, dass das zwei vollkommen verschiedene länder sind, oder? in kuba herrscht planwirtschaft in venezuela eine soziale marktwirtschaft.

    dass es in venezuela soziale fortschritte gibt ist keine propaganda. die wirtschaftskommission für lateinamerika und die karibik (eine un-organisation) haben dies mehrmals bestätigt. außerdem ist der hdi (human development index) gestiegen usw. usf.

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