Staatsstreich Venezuela: „Diktatur ist jetzt auch nach außen für alle sichtbar“

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Mit Hilfe des Obersten Gerichtshof hat Präsident Nicolas Maduro das venezolanische Parlament entmachtet (Foto: abriendounojoalavez)
Datum: 31. März 2017
Uhrzeit: 22:29 Uhr
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Autor: Redaktion
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Mit Hilfe des Obersten Gerichtshof hat Präsident Nicolas Maduro das venezolanische Parlament entmachtet. „Bereits seit dem Wahlsieg der Opposition im Dezember 2015 hat Präsident Nicolas Maduro mit Hilfe des Obersten Gerichtshofs, des Staatsapparats und seinen Schlägertrupps, den Colectivos, die Rechte des Parlaments systematisch ausgehebelt, Oppositionelle ins Gefängnis geworfen und die freie Meinungsäußerung des eigenen Volkes unterdrückt“ sagt der Venezuela-Referent des Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat Reiner Wilhelm. Die Leidtragenden sind die Armen. Denn die Versorgung mit Grundnahrungsmittel, Medikamenten und Energie ist zusammengebrochen. Ausführlich hat sich der Adveniat-Experte den Fragen von Radio Vatikan gestellt.

RV: War der Schachzug, mit dem Maduro nochmals seine Macht gefestigt hatte, überhaupt legal?

Wilhelm: „Nein, war er nicht. Es ging ursprünglich um die Frage, ob ausländische Industriebetriebe in Venezuela nach Öl suchen und Öl fördern könnten. Das obliegt eigentlich der Entscheidung des Parlaments. Hier hat Maduro gesagt: Nein, es muss entschieden werden, ob das wirklich der Verfassung entspricht.“

RV: Aber ist das denn jetzt der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt? Es formieren sich jetzt schon erste Proteste …

Wilhelm: „Ich gehe davon aus, dass es beim Protest allein nicht bleibt. Jetzt wird sich entscheiden, wo der Zug hingeht. Die Menschen gehen auf die Straße, die Menschen protestieren – sie wissen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Bisher sind die Menschen ruhig geblieben, weil man keine Nahrungsmittel mehr bekommt, wenn man sich in Opposition zur Regierung stellt. Und die Hungersnot ist frappierend. Es gibt viele Menschen, die inzwischen im Müll nach Lebensmitteln suchen, um sich und ihre Familien zu ernähren. Ein anderer Grund: Es gibt Schlägertrupps auf der Straße. Wenn die davon Wind bekommen, dass jemand der Opposition angehört, dann muss dieser mit Repressionen bis hin zum Mord rechnen.“

RV: Vor wenigen Tagen wurde die Immunität der Parlamentarier aufgehoben. Müssen die jetzt tatsächlich auch um Leib und Leben fürchten?

Wilhelm: „So ist es. Einer der oppositionellen Abgeordneten ist vor etwa zwei Monaten ins Gefängnis geworfen worden. Das war gegen die Verfassung. Es gab da bereits Befürchtungen, dass die Demokratie ausgehöhlt wird. Am Dienstag ist dann die Immunität für alle oppositionellen Parlamentarier aufgehoben worden. Jetzt ist es wirklich deutlich, dass es eine Diktatur ist.“

Auch die Bischöfe stehen unter Zensur

RV: Und was sagen die Bischöfe im Land dazu?

Wilhelm: „Sie haben ja schon im Januar einen Hirtenbrief geschrieben nach der Vollversammlung der Bischofskonferenz. Daraus ging hervor, dass man sehr besorgt ist um die Demokratie, sehr besorgt ist um das Land und sehr besorgt ist um die Sicherheit. Und in diese Richtung wird auch das neue Dokument gehen. Dieses Hirtenwort wird wahrscheinlich nur in internen Kreisen zirkulieren können. Denn die Homepage der Bischofskonferenz ist durch die Regierung stark behindert. Man kommt nicht mehr auf die Homepage, man bekommt also keine Informationen mehr darüber, was die Bischöfe sagen.“

RV: Ein wichtiger Stichtag für die geforderten Neuwahlen wäre der 10. Januar gewesen. Der ist mittlerweile vergangen. Was bedeutet es, dass der Termin verstrichen ist?

Wilhelm: „Falls es zu dem sogenannten Abberufungsreferendum noch kommen sollte, würde dann der Vizepräsident Präsident werden. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es zu diesen Wahlen kommen wird. Präsident Maduro hat bis jetzt alle Wahlen verhindert.“

„Wichtig ist, dass wir dieses Land nicht alleine lassen“

RV: Wie kann man die aktuelle Situation im Land selbst beschreiben? Was hat Ihnen der Vorsitzende der Venezolanischen Bischofskonferenz, Erzbischof Diego Padrón, gesagt?

Wilhelm: „Als ich ihn gestern Abend angerufen habe, gab es einzelne Proteste. Für Samstag sind Großproteste angekündigt, die Opposition hat die Militärs aufgefordert, sich dazu zu äußern. Man versucht, gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern. Auch international isoliert sich das Land immer mehr. Peru hat zum Beispiel seinen Botschafter zurückgezogen, andere haben erklärt, dass die Demokratie stark in Gefahr ist. Der Präsident der Vereinigung Amerikanischer Staaten hat für Samstag zu einer Sondersitzung eingeladen und da wird es sicherlich darum gehen, Venezuela aus dieser Gemeinschaft zu entfernen.“

RV: Wie geht denn Adveniat mit dieser Lage nun um?

Wilhelm: „Adveniat versucht in dieser Situation natürlich auch nicht untätig zu sein: Wir unterstützen schon seit langem die Menschen mit dem Kauf von Nahrungsmitteln. Es gibt noch Nahrungsmittel, die sind aber sehr teuer. Mit unserem Geld kann man noch Nahrungsmittel kaufen. Wir versuchen – wo es möglich ist – auch Medikamente zu besorgen und zu organisieren, dass Menschen behandelt werden können. Ganz wichtig ist, dass wir als Adveniat und wir als Weltgemeinschaft dieses Land nicht alleine lassen.“

Das Interview führte Christine Seuß von Radio Vatikan

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