Man sagt, dass es keine Zufälle gäbe, und „rein zufällig“ überholen wir gleich vor Carrefour-Dufort Ulli auf seinem Rad. Er will vorstoßen nach Jacmel und ebenfalls sehen, was dort los und vorgesehen ist, für uns folgt das später. Carrefour-Dufort ist meines Erachtens der westliche Endpunkt des aktuellen Epizentrums, der Anfangspunkt liegt bei den Steinbrüchen von La Boule-Fermate. Schon auf Google Earth erkennt man zwischen den beiden Punkten ein schnurgerades, tiefeingeschnittenes Tal, das im Osten vom Rivière Froide ( Kalter Fluss ), im Westen von der Momance entwässert wird. In diesem rund 50 Kilometer langen Tal liegt das Epizentrum; hier verschieben sich unter großer Reibung die beiden Kontinentalplatten Amerikas und der Karibik. Ulli muss gleich nach links oder Süd abzweigen, Richtung Pass über die Kordillere nach Jacmel. Wie er mit seinem Geländerad die Steilhänge und die Straßenlöcher schafft bleibt abzuwarten, wir haben es nur mit den letzteren zu tun, und mit Glück und Geschick gelingt es uns stets im letzten Moment, das Schlimmste zu verhindern.
Nach der Reise an tausenden und abertausenden von Zelten und damit einer versuchten, kurzfristigen Überlebensstrategie vorbei, muss ich mich jetzt mit der mittelfristigen Strategie der neuen Landesplaner auseinandersetzen. Nach den tödlichen Erfahrungen mit der klassischen „Erdbebenprophylaxe“ soll auf harte Baustoffe, vor allem sogenannte „Blocs“ ( Blocksteine ) weitgehend verzichtet werden. Die Hochschulen der Welt arbeiten fieberhaft daran, neue Regeln für die Statik und Mindestanforderungen an Hochbauten auszuarbeiten, die sicherlich große langfristige Bedeutung für den Wiederaufbau der Geschäftszentren haben. Mittelfristig heißt die Lösung „Holz“, das auf der Insel kaum mehr existiert und jetzt als Baustoff aus der ganzen Welt, vor allem aus Kanada, eingeführt wird. Die Hilfswerke sind daran, hunderttausende kleiner Holzhäuser einzuführen, die im ganzen Land für die Betroffenen aufgebaut werden.
Ich war sehr erstaunt, dass ganze Dörfer und Städte auf Haiti, das sich die Karibikinsel Hispaniola mit der Dominikanischen Republik teilt, aus Holzhäusern schon aufgebaut sind, andere sind eben im Bau. Was mir auffiel, dass außerordentlich viele isolierte Einzelbaustellen bestehen, oder solche ganz kleiner Häusergruppen. Ich konnte sie bis weit in die Berghänge hinauf beobachten, der Nachteil einer ausgesprochenen Landschaftszersiedelung wird wohl bewusst in Kauf genommen. Könnte es sein, dass die Planer in jedem Fall wieder mit katastrophalen Ereignissen rechnen, aber durch die großflächige Verteilung das Risiko von Massensterben reduzieren wollen?
Eines ist sicher: die Spendengelder sind gut angelegt. Die Planer haben ihr Möglichstes getan, dass sie ein Erdbeben weder abstellen noch genau voraussagen können, ist ja wohl jedem klar. Sonst glaubt er wirklich nur noch an Voudou-Loa und afrikanischen Wunderzauber.
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