Ich bin ein Spammer

otti

Datum: 30. Juli 2010
Uhrzeit: 18:51 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Sprache hat ja mit Sprechen zu tun, und Schreiben ist eigentlich nur ein Ersatz dafür, ein Mittel, um Sprechen auf Distanz zu ermöglichen. Dafür gibt es allerdings auch noch andere Mittel, wie zum Beispiel in Computer zwitschern über das Meer. Da sieht man, dass es auch Sprachen gibt die wir noch kaum verstehen, etwa die von Tieren.

Vom Regen in die Traufe schildert das Entstehen einer neuen Sprache, die von den normalen Erdenmenschen nicht verstanden werden soll, das Kreolisch, eine Art Haiti-Esperanto. Ein Mittel, um das Babylon-Syndrom zu handeln, das Auseinanderklaffen der gesprochenen Sprachen.

Auch Schweigen ist eine Sprache, eine nicht gesprochene. Sprache bedeutet eben auch Kommunikation, Verständigung, oder auch nur Kontakt. Denken Sie an die nonverbale, die Körpersprache. Über Sprache lässt sich streiten.

Beschränken wir uns auf die geschriebene Sprache. Geschrieben wird nach Regeln, die etwa im Duden festgelegt sind. Über die streitet man auch. Viele pflegen sie zu verletzen, aus ganz verschiedenen Gründen. Oder auch ganz ohne Gründe, weil sie es nicht besser wissen. Oder absichtlich nicht wissen wollen, etwa bei der Neuen Rechtschreibung. Oder weil sie sich ganz einfach vertippen. Ich wähle manchmal absichtlich eine falsche Schreibweise, etwa um Maschinen zu täuschen. Maschinen, die auch gelernt haben zu lesen und sogar zu entscheiden, natürlich nicht so wie wir es wünschen.

In Diogenes’se und Globetrotter habe ich „Diogenes’se“ mit einem falschen Plural geschrieben, und C -a-s- i-n-o, damit mich Google & Co nicht schon wieder mit einem Backrating bestraft, weil ich ein „Badword“ nicht vermieden habe. Auch mit dem Wort Z -i -g-a-r-r-e-n ist mir Ähnliches passiert, in meiner Geschichte, wie dieses geächtete Produkt in Jacmel von Hand gedreht wird, oder wie in der östlichen Nachbarrepublik auf großen Plakaten mit Sex und Z-i -g-a-r-r-e-n-rauchenden Nackedeien Reklame gemacht wird. Eigentlich wollte ich etwas kritisieren, aber die Maschinen bestraften mich. Die Maschinen der Google-Herren entscheiden eben sowohl über Moral als über Rechtschreibung, und bald über alles…

Ein Badword ist ein böses Wort, dessen Verwendung bestraft wird, und Backrating heißt die Strafe, von Maschinen beschlossen und ausgeführt. Nicht etwa von Gerichten. Das sieht dann so aus, dass Deine Keywords, Schlüsselworte und Suchbegriffe, nach einem Punktesystem weit zurückgestuft werden. Das Punktesystem entscheidet aber über das Rating, den Platz den Deine Geschichten oder sonstigen Produkte in den Suchmaschinen erhalten. Weit vorn ist natürlich ein Vorteil, denn niemand blättert bei einer Suche tausende oder auch nur mehrere Seiten weit, und niemand findet Dich mehr. Backratings haben mich schon tausende und zehntausende von Lesern gekostet, IM TAG. Übrigens haben sich in der Zwischenzeit gewisse Maschinen so weit „weiterentwickelt“, dass sie auch die Geheimnisse dieser Schreibweisen knacken können. Da ist man machtlos.

Absichtliche falsche Schreibweise wähle ich oft auch aus inhaltlichen Gründen, z.B. „Wenn das K -a-s-i-n-o zum Kassino wird“ wo statt auf K -a-s-i-n-o als verbotene Verführung zu Glücksspielen auf „Kassieren“ angespielt wird. Da hab ich gleich einen doppelten Zweck verfolgt, denn einmal ist „K -a-s-i-n-o “ ein Badword, und dann wollte ich durch den Wechsel der Schreibweise von einem auf zwei ’s‘ gerade noch einen inhaltlichen Zweck erreichen.

Aber auch „korrekt“ geschriebene Sprache ist vielfältig. Zum Beispiel spreche ich von Zielgruppen, den Gruppen, die man sich als Leser wünscht, für die die Geschichten bestimmt sind. Wenn man die Besucher auf einer Glockenkurve darstellen würde, der Normalverteilung entsprechend, würden über die linke Steile die Ausgeleierten, Abgeschmackten, Dumpfen, Affigen, oder gar Tölpel abrutschen, rechts drüben die Hochgestochenen, die Abgehobenen, die Naseweisen, die Alleswisser und die Edelhirsche. Die lesen natürlich meine Geschichten auch, zuweilen, wenigstens Ausschnitte. Das kann ich nicht verhindern. Sie verraten sich durch ihre Urteile, die etwa heißen „sehr schlecht geschrieben, Ausdrücke die völlig daneben sind, ohne klare Ziele, irgendwelche aufreisserische Aspekte zusammengesetzt, sehr ambivalent, ist es Bewunderung, Spott oder Ironie“, oder einfach „Spam“, wohl die kürzeste Rückmeldung, die ich je erhalten durfte.

Meine-Wunsch-Zielgruppe, das sind die Leidlichen, Durchschnittlichen, Mäßigen, Mittleren, die „Normalen“ ( wobei sich darunter „extrem wichtige Persönlichkeiten“ befinden ). Wenn wir alle Leser auf einer Glockenkurve darstellen, sind es die auf der Gipfelebene, da sitzen eben die meisten. Sie wissen noch nicht alles, sie absorbieren dankbar, sie reagieren und diskutieren zuweilen, was ich besonders mag. Jeden Tag Tausende oder, an Toptagen, gar Zehntausende, danke, danke, meine Kinder Einige ihrer Leserreaktionen habe ich erst nach dem Beben gesammelt, aber vorher gab es natürlich schon begeisterte Leserzuschriften zu tausenden, jahrelang, tausend Dank ! Sie verstehen meine Sprache, die ich zu oft selber gestalte, außerhalb der Regeln, und meinen Stil, gern etwas zynisch. Und damit sind wir eigentlich schon bei den Zielen.

Bei meinen Geschichten ist das Ziel, etwas gegen den tierischen Ernst zu tun, die Menschen ein bisschen zu unterhalten, wach zu rütteln und zum Schmunzeln zu bringen. Seit dem 12. Januar umso mehr, Trauern und Weinen muss seine Grenze haben, das Leben geht weiter. Aber müssen denn überhaupt immer ein Ziel und eine Zielgruppe sein? Wenn man das alles wegstreicht, bleiben doch immer noch Gründe zu schreiben, die intrinsischen: die Freude am Kleid, die Freude schlechthin, das feine Brennen unter den Fingernägeln. Das Hirn entlasten, wenn es zerspringen will. Wer nicht lesen will, der lasse es sein. Und ich, ich weiß es jetzt: Ich bin und bleibe ein Spammer! Ich bin stolz darauf, denn mein Spam macht oft 20’000 Lesern in ganz Europa, auf Haiti und der Dominkanischen Republik Freude.

Das Westdeutsche Fernsehen hat dieser Tage im Morgenecho eine Serie von Sendungen gebracht: „Haiti – ein halbes Jahr nach dem Erdbeben“, die leider auf dem Internet wieder gelöscht wurden und nicht jedem zugänglich sind. Immer noch leben über 1 Million Haitianer in Zelten und Ruinen. An den Wiederaufbau der Städte ist noch nicht zu denken: Erst müssen die Trümmerberge bewältigt werden – und irgendwann das Trauma. Die Serie blickt auf ein verwüstetes Land und seine Bewohner, die 6 Monate nach der Katastrophe um ihre Zukunft kämpfen.

Die erste Sendung unter dem Titel „Ein Dach überm Kopf – mehr nicht“ befasste sich mit den Lagern in Haiti. Die Menschen möchten zurück nach Hause, aber das Leben im Lager wird noch lange dauern. Bei 50 Grad Hitze in den Zelten wächst die Verzweiflung der Menschen, und es gibt nichts zu tun.

Steine schleppen – Hoffnung schöpfen heißt die Devise ein halbes Jahr nach dem Beben. Die gefährliche Arbeit auf den Trümmern ermöglicht den Haitianern, 4 Euro am Tag für ihren Einsatz in den zerstörten Häusern und Straßen zu verdienen. So kämpfen sie gegen das Gefühl der Machtlosigkeit und verdienen Geld für ihren Lebensunterhalt.

Ein halbes Jahr nach dem Beben kämpfen die Ärzte gegen schwerste Verbrennungen. Trümmer-und Amputationswunden sind verheilt. Nun drohen andere Verletzungen. Immer wieder gehen Zelte in Flammen auf, Frauen und Kinder verbrühen sich an ungesicherten Feuerstellen. „Ärzte ohne Grenzen“ haben in Saint Louis Delmas 31 ein Zentrum für Schwerstverbrennungen eingerichtet.

Ein halbes Jahr nach dem Beben ist die angekündigte Hilfe noch nicht angekommen. Die Teilnehmer-Staaten der internationalen Haiti-Konferenz in New York überboten sich förmlich in Versprechungen: Hilfsgüter, Katastrophenmanager und Geld sollten bereit gestellt werden – viel Geld. Doch davon ist bisher nur ein Bruchteil in Haiti angekommen. Die Spendernationen fürchten, ihre Millionen könnten im Chaos der haitianischen Verwaltung versickern.

Die Hoffnung vieler Flüchtlinge auf Asyl wird enttäuscht. Was für viele Haitianer nach dem Erdbeben als rettende Aussicht erschien, wurde zur bitteren Enttäuschung. Die Vereinigten Staaten von Amerika lassen nur wenige Flüchtlinge aus Haiti in ihr Land. Selbst Familienzusammenführungen sind schwierig. Die, die es geschafft haben, kämpfen um ein neues Leben in der Fremde.

Kein Hoffnungsträger ist in Sicht. Haiti hat keine Regierung mehr. Es gilt der Ausnahmezustand. Im November finden in den Trümmern Senatoren-, Abgeordneten- und Präsidentschaftswahlen statt. Eine legitime Regierung könnte der Bevölkerung Vertrauen und Zuversicht zurückgeben. Doch wie soll ohne Wahllokale, ohne Wählerlisten oder Ausweispapiere gewählt werden? Und vor allem gibt es keine geeigneten Kandidaten.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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