Haiti ist Out: Pakistan ist In

brand

Datum: 15. August 2010
Uhrzeit: 19:39 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Die Bäume brennen, die Brücke brennt, das Auto brennt, die Zelte brennen, ganz Haiti brennt, alles brennt! Wo bleibt die Feuerwehr?

Haiti ist ein gebeuteltes Land, das weiß jedes Kind drüben, wo alles „normal“ ist. Erdbeben, Tsunamis, Wirbelstürme, Tropenblitze, Erdlawinen, Überschwemmungen, unglaubliche Unfälle, Seuchen und fürchterliche Armut raffen den Überschuss an Menschenleben hinweg, und es ist nur folgerichtig, dass die Überlebenden in paranoider Panik auf Dauerflucht vor Zombies, Teufeln und anderen Unwesen davonrennen. Aber wohin? Haiti, das sich die Karibikinsel mit der Dominikanischen Republik teilt, brennt.

Ärzte ohne Grenzen ist für mich die wirksamste und beharrlichste Organisation, die sich weltweit einsetzt, wo es am nötigsten ist, aber die früheren Brandherde nicht aufgibt deswegen. Seit Jahrzehnten arbeitet sie in Haiti, sie wollte dies nachhaltig tun, und hat bewiesen, dass sie das kann. Sie will bleiben. Dasselbe darf ich auch von der DEZA sagen, der Nachfolgerin einer einst angeschlagenen Entwicklungshilfe, der Vertreterin der Schweiz in Haiti. Die hat unglaublich viel geholfen, nicht nur mit den 20 Schweizerschulen in Haiti, sondern mit zahllosen weiteren gelungenen Aktionen ( ich meine nicht etwa nur meine persönliche Rettung ) wie die beispiellosen Projekte „Wasser“ und „Gesundheit“, die nicht nur nachhaltig, sondern „dauernd“ bleiben sollen. Die Schweiz hat sich schwer verändert, ich würde sagen, gebessert. Das hilft mir sogar, wieder ein guter Bürger zu werden; wäre das zu meinen „Schweizer Zeiten“ geschehen, hätte ich wohl nicht immer abgestimmt wie die Jurassier ( eine einst abtrünnige Schweizer Region, die sich schließlich mit Erfolg zum eigenen Kanton durch mauserte). Ich zog lieber aus, als zu den ewigen Verlierern zu gehören. Ob das jetzt wohl anders wäre?

Ähnliches kann man nicht von allen Staaten behaupten, und von Hilfsorganisationen schon gar nicht. Natürlich ist die Entwicklung der beruflichen Fähigkeiten der jungen Haitianer ein MUSS, und dass auch einiges für die heimische Industrie herausschauen soll, etwa an Exportmöglichkeiten, ist begreiflich. Die Mehrheit regiert, und die erwartet ein ROI, ein Return On Investment. Aber humanitäre Hilfe nur als eigene Wirtschaftsförderung, humanitäre Einsätze an sich als Industrie zu verstehen, ist denn doch um einiges daneben, auch in den Augen der Mehrheit.

Doch eigentlich waren wir bei den grenzenlosen Ärzten und ihren Aktionen und Projekten. Die haben erfolgreich Amputationszentren in Deschapelles/Artibonite und Milot geführt, und neuestens besteht an der Route de Delmas in Port au Prince eine Klinik für Schwerstverbrennungen, eine wohl weltweite Pionierleistung. Die aktuellste Geissel für das arme Land sind nämlich Brände geworden, und sogar Großbrände. Die Feuer verbreiten sich in Sekunden, fast explosionsartig, und vernichten die brennbaren Kunststoffe und Gewebe – Sie erinnern sich, dass ich von Universitäten und Industrie gefordert hatte, neue Stoffe zu entwickeln – etwa unbrennbare Zelte. Die Brände entstehen durch Unachtsamkeit von Erwachsenen und Kindern, Umgang mit Holzkohleöfen und anderem Feuer, auch schon passiert durch jugendliche Brandstiftung oder Zigaretten. Gerade in diesen Tagen sind mehrere Zelte mit den darin befindlichen Kleinkindern verbrannt. Haiti brennt.

In Haiti zu helfen, ist Mode und leider auch Geschäft geworden, gehört zum guten Ton. Das Hilfswerk, für das ich ein Dutzend total eingestürzter Häuser in meiner Nachbarschaft in Gressier suchen sollte und das auf Juli Ersatzhäuser aus Holz spenden wollte, hat auf meine Anfrage geschrieben, Haiti sei für die Spender weniger interessant geworden, die verschiedenen Länder in Indien hätten ihm den Rang abgelaufen, und die Container seien jetzt unterwegs dorthin. Auch die Berichterstattung der Medien spricht Ähnliches, und das Fernsehen zeigte soeben Vorzeigezeltstädte aus Pakistan, wie noch vor Wochen von hier. Die hier aber sind am Vergammeln, Verbrennen, und die Menschen wohnen unter zerrissenen Fetzen. Unglück für Zuschauer ist IN, aber nicht mehr in Haiti, sondern dort wo es gerade geschieht. Haiti ist Indien, Erdbeben ist Überschwemmung, Unglück ist Unterhaltung geworden. Die Welt brennt.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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