Haiti: Panik im Süden – Hochspannung im Norden

Disaster Relief

Datum: 08. November 2010
Uhrzeit: 01:09 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
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Hurrikan Thomas hat im Süden weite Landstriche überschwemmt, dabei das Nachbarland Dominikanische Republik weitgehend verschont. Der ansteigende Meeresspiegel hat eine Panik unter der Bevölkerung erzeugt. Auch die Flüsse sind über die Ufer getreten. Das Phänomen ist mit Tomas von Osten nach Westen gewandert. Tomas ist schon achtfacher Mörder, sechs weitere Personen sind vermisst. Nicht inbegriffen sind die Verletzten wegen des Hauseinsturzes in Pétion-Ville und wegen Verkehrsunfällen.

Präsident René Préval hat die Bevölkerung aufgerufen, die Anweisungen von Zivilschutz und Météodiensten zu beachten, speziell diejenigen für die nordwestlichen Küstenanrainer, die durch Tomas immer noch speziell gefährdet sind. „Bitte verlassen Sie unverzüglich das Terrain und begeben Sie sich in die vorgesehenen Schutzgebiete, wie sich das für die Südküstenbewohner bewährt hat.“ So können Sie helfen, weitere Menschenleben zu retten. Préval glaubt, dass Tomas die Folgen der Cholera erschweren wird, die bereits 501 Todesopfer einforderte und über 7.000 Menschen in die Spitäler beförderte.

Der Staatspräsident bittet die Bevölkerung auch, vermehrt die Prinzipien der Hygiene zu beachten. Er warnt davor, dass sich die Epidemie aufgrund der Überschwemmungen ausbreiten wird. Bereits wurden erste Konsequenzen der ersten Etappe des Tomas-Durchzugs in den Departementen von Grand Anse und Nippes festgestellt, die beide im Südwesten und zunächst seiner Zugbahn liegen. Die dortigen Flüsse führen Hochwasser und das Straßennetz funktioniert nicht mehr. In Grande Anse konnten laut Yolene Surena, der Zivilschutzleiterin vor Ort, die Rettungsmannschaften die Katastrophengebiete bisher nicht erreichen, und auf den Inseln Cayimites vor den Südwestküsten spielten sich Panikszenarien ab, weil die Bewohner noch nie ein derartiges Anschwellen des Meeresspiegels erlebt hatten. In Jérémie, Bezirkshauptstadt von Grand Anse und Bischofssitz, hat sich das Meer mehrere Quartiere einverleibt, Wohnhäuser sind untergetaucht und Landwirtschaftsstraßen sind unter den Flussablagerungen verschwunden.

In Anse d’Hainault dasselbe Bild, wie der dortige Bürgermeister gegenüber Alter Presse erklärte, und Georges Simon spricht gar von 20’000 Bedrohten. Zeugen in Baradères (Nippes) sprechen von zahlreichen Rindviehkadavern die die Flüsse hinunter treiben und sich unten in den Küstenseen ansammeln. In den Departementen Sud und auf der Halbinsel Tiburon und Camp Perrin ist das ganze Straßennetz außer Betrieb, und es ist den Hilfsmannschaften nicht möglich, ins Katastrophengebiet vorzudringen. Etwas weiter weg vom Sturmauge liegt die Südostregion, die zwar unter Überschwemmungen getaucht ist, aber zurzeit noch unter Kontrolle scheint.

Im Süden wurde vor allem Jacmel wieder einmal schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die ganze Nachbarschaft ist unter Fluten versunken, und die meisten Einwohner wurden evakuiert, speziell auch an der tieferen Südküste. Besorgniserregend ist auch der Zustand von Fond Verettes (östlich von Port-au Prince), eine Gegend die schon von früheren Überschwemmungen total verwüstet wurde. Fast alle Einwohner wurden von hier weggebracht.

Im Norden des Landes haben sich die Niederschläge nun auch intensiviert, und die Bevölkerung lebt in Panik. In Sainte-Suzanne sind 250 Menschen in einen sicheren Unterstand gebracht worden, wo sich jetzt auch Panik verbreitet. Die Zivilschutzverantwortlichen sind vor allem mit der Situation von 1,3 Millionen Lagerinsassen konfrontiert, die seit dem 12.Januar in „Zelten“ leben, die diesen Namen nicht mehr verdienen.

Zu tausenden wurden diese Flüchtlinge einmal mehr in neue Gegenden transplantiert, in Provisorien, die diesen Namen nicht mehr verdienen. Viele weigern sich, nochmals umgezügelt zu werden, da die neuen Bedingungen stets scheußlicher seien als die vorherigen…(Zeugenaussage gegenüber Alter Presse aus dem camp de Corail Cesseleste périphérie nord de la capitale). Das Zentrum um Port-au-Prince war durch Tomas nicht sonderlich betroffen, so spielten in der Region Pétion-Ville über der Prinzenstadt die Jungen im strömenden Regen unbeirrt Fußball und lachten ob ihrer Witze. Mindestens die nächsten 24 Stunden bleibt der Rote Alarm bestehen und wird beachtet.

Und unbeirrt geht die Wahlschlacht weiter, wie wenn es nichts Wichtigeres zu tun gäbe. Ich weiß nicht, ob ich diese Menschen ob ihrer Konsequenz bewundern oder den Kopf schütteln muss.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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