Die Katze und die Taube

Minouche

Datum: 21. Dezember 2009
Uhrzeit: 00:21 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Meine Katze ist ein Wunderkätzchen, wir nennen sie Minouche. Sie lebt bei mir in Haiti und leistet mir Gesellschaft, wenn ich an meiner Site arbeite. Ich werde ein andermal von ihr erzählen. Denn heute erzähle ich von ihrer Mutter, die auch Minouche hieß.

Auch Minouche-Mutter war eine Wunderkatze, vielleicht sogar eine telepathisch angehauchte Katze. Sie folgte mir stets wie ein Hündchen und blieb im Haus, wenn ich hier war. Wenn ich draußen auf der großen Terrasse über dem Meer schlief, und das tat ich meistens, das ganze Jahr, blieb sie stets in meiner Nähe, auch auf der Terrasse. So hörte ich hie und da, wenn ich nicht schlafen konnte, ihre kaum wahrnehmbaren feinen Laute der Katzensprache. Etwas liebte ich nicht an ihrem Aufenthaltsort auf der Terrasse, sie tötete die kleinen Anolis und andere Eidechschen, wenn sie sie erwischte. Das tut mir weh, denn ich liebe auch die kleinen Geckos und Anolis. Aber so ist halt die Natur.

Auch auf die Riesen-Schleiereulen, die während vieler Jahre unter mir wohnten, reagierte Minouche nicht. Die konnten die ganze Nacht durch kreischen, wenn sie Junge hatten, und Minouche hörte interessiert zu, das Köpfchen mal nach links, dann wieder nach rechts neigend. Auch davon möchte ich ein andermal erzählen, denn das ist eine eigene Geschichte.

Heute erzähle ich von Minouche und der Riesen-Taube. Ich schlief wie immer draußen auf der großen Terrasse über dem Meer. Es war wieder einmal eine Nacht, fast zu schade zum Schlafen. Man verpasste so vieles an Geräuschen und anderen Eindrücken, wenn man schlief. Aber man schlief eben trotzdem irgendwann ein.

Doch diese Nacht, Mitternacht war bereits vorbei, weckten mich gar fremde Geräusche, und ich musste mich mehrmals überzeugen, dass ich wirklich nicht träumte. Ich träumte nicht. Ich machte Licht. Minouche spielte mit einer Taube, einer Riesen-Taube! Das Hobby meines Nachbars Tom (ich habe seinen Namen aus Vorsicht geändert) sind Tauben, sie kommen oft zu mir in den Garten oder aufs Dach. Diesmal spielte Minouche mit der riesigen Taube, die grösser war als das Kätzchen selbst. Die Taube genoss es offensichtlich, Minouche immer wieder anzufliegen, ja auf das Kätzchen hinunterzustoßen und „Haken“ zu fliegen. Minouche vollführte die lustigsten Sprünge gegen die Taube, ohne sie je zu berühren. Die beiden Tiere spielten offensichtlich miteinander und schienen vergnügt. Das dauerte stundenlang. Nein, es war kein Traum.

Als beide Tiere erschöpft waren, legten sie sich zur Ruhe. Die Katze wie üblich auf einem Fauteuil auf der Terrasse, die Taube – ja jetzt erlebte ich ein noch größeres Wunder – setzte sich vor meinem Liegesofa auf die Brüstung und legte sich hin zum Schlafen. Nach einigem Staunen stand ich auf, ging zu ihr und sprach mit ihr – Minouche erwachte und beobachtete uns scheinbar interessiert. Die Taube floh keineswegs, selbst als ich sie schließlich berührte und streichelte. Sie genoss die Liebkosungen mit einer Mimik, die jener der Katze ähnelte – aber schließlich, am Horizont kündigte sich schon der Morgen an, war auch ich erschöpft und legte mich wieder schlafen.

Am Morgen war der Spuk – nein, es war kein Traum – vorbei, und alles war wieder normal. Ich musste das sogleich Anna mailen, meiner Ex-Frau in der Schweiz, mit der ich immer noch eine platonische Freundschaft pflege. Sie schrieb mir fast erschrocken zurück, dass in derselben Nacht (es herrschte eine Zeitverschiebung von -6h) ihre geliebte Katze Buslu gestorben sei. Anna war überzeugt, dass dies mit meinem etwa gleichzeitigen einmaligen Erlebnis zu tun hatte.

Es roch nach Telepathie. Was auch dafür spricht, ist unser stark besetztes affektives Feld. Wenn das ein telepathischer Kontakt war, war er ungewollt und zufällig. Von einem „Sender“ und „Empfänger“ konnte nicht gesprochen werden. Auch die geographische Distanz von einigen tausend Meilen spricht nicht für einen solchen Kontakt. Ein Kontakt über diese Distanz wäre nochmals ein Phänomen. Und doch spricht alles für ein telepathisches Ereignis. Telepathie aber ist etwas was nicht schlüssig erklärt werden kann. Nach meiner Überzeugung ist es vermessen, alles erklären zu wollen und die Existenz von Unerklärlichem zu leugnen. Man soll es dabei bleiben lassen. Für mich ist gerade Unerklärliches ein besonders starkes Erlebnis.

Mein Nachbar Tom erklärte kurz darauf. sowohl mein Kätzchen Minouche als auch meine Schleiereulen töteten seine Tauben. Aus Beobachtung kann ich beides nicht glauben. Ausser dem geschilderten, nächtlichen Spiel sah ich nie, dass Minouche auf die Tauben reagierte. Auch die Schleiereulen schienen ihre kleinen Beutetiere weither zu holen, ähnlich wie ich das bei den Schweizer Adlerhorsten beobachtet hatte. Tom ist wahrscheinlich nicht böse, aber für mich dumm. Deshalb tötete er meine Schleiereulen mit einem Schrotschuss, und Minouche durch vergiftetes Fleisch. So erzählten mir jedenfalls meine Leute. Seine Tauben kommen immer noch zu mir in den Garten oder aufs Dach, ohne dass ich sie ebenfalls vergiftete. Minouche-Töchterchen interessiert sich zum Glück überhaupt nicht für Geckos und Anolis. Ich hoffe, auch nie für fremdes Fleisch. Und ich hoffe, dass eines Tages auch Schleiereulen wiederkommen und die Horst Plätze in meinem Haus und in meinem Herzen entdecken.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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