Die Lüge vom Reichtum

Datum: 21. Dezember 2009
Uhrzeit: 11:41 Uhr
Leserecho: 2 Kommentare
Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Ich lebe in Haiti, dem ärmsten Land Amerikas, wo leider nicht nur Hunde und Schweine, auch Menschen Erde und Abfall essen und Abwasser trinken. Das Wort „Reichtum“ begegnet mir täglich, wie jedem Weißen. Es wird mit „Blanc“ – so heißt hier jeder Weiße – gleichgesetzt. Begreiflich. Denn „Reichtum“ wird, wohl nirgends so buchstäblich verstanden wie hier: mengenmäßig auf Besitztum bezogen, wobei Menge relativ ist, Besitz einen Eigentümer bedingt und Besitztum etwas Materielles betrifft. Es ist hier leicht, reich zu „sein“, weiß sein genügt.

1943 erdachte ein US-Psychologe, Abraham Maslow, die fünfstufige Pyramide der Bedürfnisse. Jeder Mensch strebt zur nächst höheren Stufe empor. Ein Stufenwechsel gelingt erst, wenn die Bedürfnisse der niedrigeren Stufen erfüllt sind.

Die unterste Stufe heißt Überleben. Zum Überleben braucht es Luft, Wasser und Nahrung. Alles ist darauf ausgerichtet, Wasser und Essen zu finden. Für sich und seine Kinder, die halt auch dazu gehören. Wer sich dann auch noch gesund und frei fühlt, eine trockene Schlafstelle und eine Familie mit Kindern sein eigen nennt, für den ist das Paradies auf Erden schon erreicht. Das Glück der Kuh auf der saftig-grünen Wiese, mehr braucht es nicht. Die Kuh ist reich und glücklich, zufrieden, und gesund. Je nach Jugendlichkeit tollt sie auf der Wiese umher, schlägt Haken und Kapriolen und muht freudige Laute aus.

Wie die Menschen auf dieser Stufe, die singen und tanzen, glücklich, zufrieden, und hoffentlich gesund. Sie kennen, wollen und brauchen nicht mehr. Doch schon auf dieser Stufe kann das Vergleichen beginnen, mit seinen Nächsten, denn sonst kennt man noch nichts. Und man vergleicht sich natürlich mit denen, die mehr haben, etwa ein Haus aus Wellblech, oder sogar aus Stein, etwas Land, ein Huhn oder eine Bananenstaude. Begehrlichkeit entsteht. So wie bei uns „Entwickelten“ – nur andere Maßstäbe, Bedürfnisse und Vorurteile. Bei uns vergleicht man die Supervillen, Luxuskarossen, Traumfrauen und Topmanager der Fernseh-Fortsetzungsserien, der Kinofilme und Reklameplakate mit dem was man selber kennt.

Man misst bei uns solches Zeug mit Zahlen, das ist schick. Dem BIP (Bruttoinlandprodukt) beispielsweise. Das liefert hier ohnehin Unsinn, wo man unbezahlt arbeitet, gelegentlich ein paar Gourdes (Cents) erhält, die Statistiken durch Spendengelder und Diaspora-Sendungen (Zuweisungen von Auslandhaitianern) oder Erschlichenes verfälscht sind. In der „normalen Welt“ erstellt man Statistiken, das ist schick. Man stülpt sie unverschämt über die ganze Menschheit, obschon sie von den 7 Milliarden Menschen weniger als 2 Milliarden betreffen, mehr als 5 Milliarden in den Entwicklungsländern sind kaum oder falsch erfasst. Das ist weniger schick. Aber wir sind ja immer noch bei der Maslow-Schickeria, Stufe 1. Die breiteste Stufe, am meisten bekannt.

Die zweite Stufe bringt das Bedürfnis nach Sicherheit, einen schattigen Ruheplatz zum Wiederkäuen, Schutz vor Gefahren (die höchstens noch von Viehdieben drohen), bei Menschen „Recht“ und „Ordnung“, Einkommen und (bezahlter…) Arbeitsplatz und Absicherung gegenüber jeglicher Gefahr (Weideplatz für Versicherungen). Man beginnt zu vergleichen, natürlich nur mit jenen die mehr und besseres haben, Unzufriedenheit, Eifersucht und ähnliches machen sich breit, selbst unter den „Ärmsten“. Reich ist wer sich so fühlt, arm ist wer sich nicht reich fühlt – die Gefühle wachsen bevor man die Worte kennt. Reichtum heißt materieller Besitz, dabei ist die Menge relativ und bedingt einen Besitzer, eben den „Reichen“.

Für jemand, der Hunger nie gekannt hat, wird Nahrung keine Bedeutung mehr haben. Die Tatsache, dass er und seine Familie genug zu essen haben, wird ihn nicht glücklich machen. Er strebt nach immer verrückteren Delikatessen. Er strebt nach einer Prestigefamilie mit akademisch brevetierten Kindern, mit einem eigenen Haus, einem oder mehreren Ferienhäusern, einem eigenen Strand, einem oder mehreren Superautos und einer guten Schul- und Ausbildung für seine Kinder. Dabei dient dies alles zunehmend seinem Prestige statt des vorgetäuschten Zwecks.

Nach erklommener zweiter Stufe folgt die dritte mit standesgemäßen Beziehungen, entsprechender Familie, Freundeskreis, Partnerschaften-Liebe-Intimität, Kommunikationskreise usf. Auch Kontakte mit Haus- und Heimtieren und seltenen Pflanzen können dazu gehören. Auch ich habe vor 20 Jahren meine damals ebenso alten, mickerigen aber liebgewonnenen Zimmerpflanzen nach Haiti um disloziert, und zu meiner Freude haben sich die einstigen 40cm-Winzlinge zu bis zu 40 m hohen Baumriesen entwickelt !

Mit dem Streben nach Sozialer Anerkennung und Wertschätzung, Bekanntheitsgrad und Bedeutung in der Gesellschaft, Status, Respekt, Auszeichnungen, Lob, Wohlstand, Geld, Einfluss, private und berufliche Erfolge, mentale und körperliche Stärke u.ä. ist man schon fast an der Spitze der Pyramide angelangt. Boshafter weise könnte man das Sprichwort zitieren „Ein Dummer findet stets noch Dümmere, die ihn bewundern“. Hier bedeutet materieller Reichtum schon fast ein unabdingbares Muss zum Erreichen der meisten derartigen Positionen – und gerade deshalb wird wohl nirgends soviel „Scheinreichtum“ vorgelogen wie hier. Etwa vom sonntäglichen Kirchgang in Schwarz auch durch den ungläubigsten Politiker bis zur Vorfahrt in einer gemieteten Limousine samt weiß behandschuhtem Chauffeur-Butler „& more“.

Die oberste Stufe der Pyramide ist die „Selbstverwirklichung“, und das kann man wohl am besten beweisen durch Präsentation möglichst teurer und luxuriöser materieller Güter, gepaart mit einigen wohlklingenden Titeln und Ehrenbezeugungen. Man ist auf der Spitze gelandet, vielleicht einer großen Firma oder gar eines Konzerns, an einem Vorstands- oder Präsidententisch. Die geschilderten Güter basieren auf materiellem Reichtum, auf Grundbesitz und Kapital. Die weiterführenden Gedanken etwa von Ronald Inglehart führen zum Postmaterialismus – ich will mich nicht aufs Glatteis begeben. Aus der Geschichte ist ja der Untergang der römischen Kultur durch „Panem Et Circenses“ genügend bekannt. Und was in diesen Tagen mit den Finzsystemen der ganzen Welt geschehen ist, ebenfalls.

Materieller Reichtum lässt sich nie absichern bar und deshalb keiner. „Nach dem Fall der US-Investmentbank Lehman Brothers brach praktisch über Nacht das Vertrauen der Banken untereinander zusammen. Die Auswirkungen des Vertrauensverlustes zeigten sich verheerend: je mehr Zeit verstrich, desto stärker trocknete der Kreditmarkt aus, wurde zum Ende hin schließlich zum größten Teil nur noch von den Zentralbanken getragen. Verheerend, denn jede Bank benötigt kurz- bis langfristig Liquidität, welche sie durch Kredit generiert um arbeiten zu können. Doch die Banken gewährten sich untereinander keine Kredite mehr, stattdessen zogen sie im Zuge des Deleveraging aus allen möglichen Vermögensanlagen Kapital zu Cash-Generierung und horteten diese Cash-Bestände panikartig um allem was da noch kommen möge gewachsen zu sein.“

Materieller Reichtum ist keiner – er kann über Nacht verloren gehen. Reichtum muss nachhaltig sein – niemand soll ihn dir stehlen können, niemals sollst du ihn verlieren können. Ich habe mehrmals Hunderttausende „gemacht“ – mit Filmen, Börsen und so – interessant, das ist alles. Und habe mehrmals halbe Millionen verloren, ebenso – das kann so rasch und zufällig ändern – mir ist das ziemlich egal.

Für mich bedeutet Reichtum

1.Glücksgefühl (und zwar möglichst anhaltend),

2.Zufriedenheit (im Wissen das Möglichste zu seiner n geleistet zu haben) und

3. Gesundheit (die kann man fast vollständig selber beeinflussen).

Einen sehr hohen individuellen Stellenwert nehmen auch Erlebnisse ein – dafür habe ich immer wieder alles ausgegeben – dieser Reichtum kann durch nichts aber auch durch gar nichts nur annähernd ersetzt werden, weitere Gedanken veröffentliche ich fortlaufend unter  – aber pardon, ich mache keine Reklame und habe Angst vor Nachahmern. Das funktioniert nie, man muss seine EIGENEN Ideen finden, seine EIGENEN Träume leben und sein EIGENES Leben E – R – leben!)

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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  1. 1
    jenni

    hallo,
    wer auch immer diesen bericht über haiti verfasst hat.
    ich habe auch in haiti gewohnt, also ich kenn mich aus.
    und ich bin empört wenn leute behaupten haitianer würden
    dreck und erde essen, dem ist nehmlich NICHT so!!
    Haitianer achten sehr darauf was sie essen und sie würden
    niemals dreck und erde essen. Ich kenne die haitanische kultur ziemlich gut, habe viele haitianische freunde und spreche auch ihre sprache.
    und ich denke selbst die haitianer wären empört wenn irgendjemand
    sowas von ihnen behaupten würde!

    lg jenni

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