Haiti: Viele Kinder, aber keine Schule

schule

Datum: 09. Juli 2011
Uhrzeit: 09:30 Uhr
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Autor: Otto Hegnauer
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Die Bühne des Geschehens liegt direkt unter der Bergburg, wie ich das einfache Steinhaus nenne, wo ich seit dem furchtbaren Beben vom 12. Januar 2010 bei der Familie einstiger Hausangestellter lebe. Viele Häuser in den unmöglichsten Steilhängen, in fast allen die Cholera. Viele Kinder, aber keine Schule. Die Menschen erwarten von mir Hilfe. Jetzt habe ich Gäste aus Deutschland, fleissige Leser. Wir versuchen es!

In einer alten Geschichte habe ich von der Schule erzählt, die einige Quartierbewohner vor 10 oder 20 Jahren zustande brachten. Indem sie die Schuhe ihrer Kinder verkauften und noch weitere sammelten, um zum nötigen Kleingeld zu kommen. Die Kinder gingen in der Folge barfuss zur Schule. Barfüsser waren sonst mittelalterliche Mönche und Nonnen, die sich der Armut verschrieben hatten. Auch moderne Gruppierungen von Aussenseitern haben sich den Namen zu eigen gemacht und tun dasselbe. Das mit der Schule dauerte immerhin ein Jahr, dann fanden sich keine Schuhe, und die Kinder hatten keine Schule mehr. Aber Armut fand sich immer noch, immer mehr. Und in einem Jahr kann man ja immerhin mehr lernen als ohne Schule. Für den Befund einer PISA-Studie reicht es allerdings noch nicht.

Man streitet sich ja, ob dies Matriarchat bedeute oder nicht. Jedenfalls wurden die Mütter jetzt WIEDER aktiv. Denn es gibt wieder neue Kinder, noch mehr. Und wenn einstigen Indianern und heutigen Haïtianern einmal das Feuerschlagen gelungen ist, dann herrscht Steppenbrand, und keine Feuerwehr kann ihn mehr löschen. Melissa hätte gern gewusst, wieviele Kinder im Quartier überhaupt betroffen sind. Das Gerücht, es würde vielleicht eine Schule geben, liess sich nicht mehr bremsen, sondern flackte auf wie ein Lauffeuer und verbreitete sich in jedes Haus, Es ist hier üblich, bei Schulanmeldung die Geburtsurkunde abzugeben, und bis am Abend hatte Melissa deren 50. Und das sind beileibe noch nicht alle.

Auf die Probleme angesprochen, meinen die Mütter, jedes Kind könne ja einen Stuhl von zuhause mitbringen und im Übrigen sei wohl irgendwo eine alte Tafel aufzutreiben. Statt Bücher täten es vorläufig auch Fotokopien. Auch ausgebildete Lehrer haben sich gefunden, die mindestens für den Anfang zu annehmbaren Löhnen zur Verfügung stünden, denn auch sie wurden angesteckt von dem Geist, der in Haïti immer wieder Unglaubliches zustande gebracht hat. Es ist der Geist der Motivation und des Willens, der auch die Revolution, die Sklavenbefreiung und den Sieg gegen die Grossmächte ermöglicht hat. Der mich immer wieder zum Staunen bringt, und von dem ich ja auch schon geschrieben habe.

Natürlich geriet ICH auch in die Ziellinie, mit meinen deutschen Gästen. Die eben auffallen hierzulande. Und im Handumdrehen hatte Melissa ein im Bau befindliches Wohnhaus gefunden und mit dem Besitzer ein einjähriges Moratorium ausgemacht, das er sich natürlich etwas kosten lässt. Doch von Kosten sprechen hier nur Profiteure, ICH sprach von Hygiene, Toiletten und Cholera-Gefahr. Kaum sprach ich davon, waren schon einige Burschen am Pläneschmieden und Graben.

Die Menschen im Quartier brennen auf ihre Schule. ICH habe das Problem, wieder zu einem Bankkonto in der Schweiz zu kommen, damit man überhaupt etwas sammeln und überweisen kann. Am besten über einen Trägerverein. Und dasselbe in Deutschland und Österreich, Interessenten vor! Jedenfalls ist die sonst übliche Altersruhe wieder einmal ein schönes Stück weggerutscht.

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Die exklusive Haiti-Kolumne im latina press Nachrichtenportal von Otto ‚Swissfot‘ Hegnauer. Der ehemalige Lehrer lebt seit mehreren Jahrzehnten auf Haiti und berichtet exklusiv von seinem täglichen Leben auf der Insel Hispaniola.

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