Gewalt und Repression gegen Protestierende in Lateinamerika

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Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA im Januar 2019 © Alli Jarrar/ Amnesty International
Datum: 27. Februar 2020
Uhrzeit: 13:28 Uhr
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Autor: Redaktion
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m vergangenen Jahr gingen auf dem amerikanischen Kontinent Millionen Menschen auf die Straße, um gegen die um sich greifende Gewalt, Ungleichheit, Korruption und Straflosigkeit zu protestieren. Andere mussten aus ihrer Heimat fliehen und in anderen Ländern des Kontinents Schutz suchen. In völliger Missachtung ihrer Verpflichtungen nach nationalem und internationalem Recht, gingen die Regierungen in allen Teilen des amerikanischen Kontinents unerbittlich sowohl gegen die Versammlungsfreiheit als auch gegen das Recht auf Asyl vor.

„Leider standen Menschenrechtsverletzungen auch 2019 in großen Teilen der Region auf der Tagesordnung. Das repressive und zum Teil tödliche Vorgehen der Regierungen gegen Protestierende und fliehende Menschen hat auch international für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Trotz der Gegenmaßnahmen haben sich viele Menschen nicht davon abschrecken lassen, sich weiter für ihre und die Rechte anderer einzusetzen. Das gibt Grund zur Hoffnung.“, sagt Katharina Masoud, Expertin für die Amerikas bei Amnesty International in Deutschland.

Zügellose Gewalt und staatliche Repression gegen Protestierende und Menschenrechtsverteidiger

Im vergangenen Jahr wurden die häufig von jungen Menschen angeführte Protestbewegungen in Venezuela, Honduras, Puerto Rico, Ecuador, Bolivien, Haiti, Chile, Kolumbien und anderen Ländern besonders laut. Sie forderten Rechenschaftspflicht und Achtung der Menschenrechte. Doch die Behörden reagierten darauf regelmäßig mit repressiven und zunehmend militärischen Taktiken, statt auf die Anliegen der Protestierenden einzugehen. In Venezuela war die Repression gegen Protestierende besonders brutal. Die Sicherheitskräfte der Regierung von Nicolás Maduro begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie außergerichtliche Hinrichtungen, willkürliche Festnahmen und exzessive Anwendung von Gewalt, die möglicherweise als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden können. Auch in Chile wurden Armee und Polizei eingesetzt, um Protestierende vorsätzlich zu verletzen. Mindestens vier Menschen wurden dabei getötet, Tausende weitere schwer verletzt. Insgesamt starben 2019 bei Protesten auf dem amerikanischen Kontinent mindestens 210 Menschen: 83 in Haiti, 47 in Venezuela, 35 in Bolivien, 31 in Chile, acht in Ecuador und sechs in Honduras.

Lateinamerika war für Menschenrechtsverteidiger einmal mehr die gefährlichste Region auf der Welt. Diejenigen, die sich für Land- und Umweltrechte einsetzten, waren besonders gefährdet, drangsaliert, vertrieben, kriminalisiert oder gezielt getötet zu werden. Kolumbien war für Menschenrechtsverteidiger nach wie vor das Land mit dem höchsten Risiko getötet zu werden. Während der interne bewaffnete Konflikt in diesem Land weiterhin wütete, wurden mindestens 106 Menschenrechtsverteidiger getötet, zumeist Vertreter indigener, afro-kolumbianischer und kleinbäuerlicher Gemeinschaften.

Mit mindestens zehn ermordeten Journalisten im Jahr 2019 gehörte Mexiko weltweit zu den gefährlichsten Ländern für Angehörige dieser Berufsgruppe. Obwohl das Land unter einer Rekordzahl von Tötungsdelikten litt, beharrte die Regierung weiterhin auf fehlgeschlagenen Sicherheitsstrategien der Vergangenheit, indem sie eine militarisierte Nationalgarde einrichtete und ein besorgniserregendes Gesetz über die Anwendung von Gewalt zur Verabschiedung einbrachte. Waffengewalt ist weiterhin eines der größten Menschenrechtsprobleme in den USA. Die Gesetze sind unzureichend, um eine wirksame Kontrolle von Schusswaffen auszuüben. Auch in Brasilien unterzeichnete Präsident Bolsonaro eine Reihe von Dekreten und Durchführungsverordnungen, die neben anderen besorgniserregenden Inhalten auch die Lockerung gesetzlicher Bestimmungen für den Besitz und das Tragen von Schusswaffen vorsahen.

Regierungen nahmen aggressive Haltungen gegenüber Migranten, Flüchtlingen und Asylsuchenden ein

Die Zahl der Männer, Frauen und Kinder, die in den vergangenen Jahren vor der Menschenrechtskrise in Venezuela flohen, erreichte die bisher auf dem amerikanischen Kontinent beispiellose Höhe von fast 4,8 Millionen. Doch Peru, Ecuador und Chile reagierten darauf mit dem Erlass neuer restriktiver Einreisebestimmungen und der rechtswidrigen Zurückweisung von Venezolanern, die internationalen Schutz benötigten. Weiter im Norden missbrauchte die US-Regierung das Justizsystem, um Menschenrechtsverteidiger, die sich für die Rechte von Migranten einsetzten, zu schikanieren und Kinder, die vor der Gewalt in ihren Ländern geflohen waren, widerrechtlich festzunehmen. Während Menschen aufgrund der anhaltenden und weitverbreiteten Gewalt in ihren Heimatländern nach wie vor Schutz in den USA suchten zwang die Trump-Regierung Zehntausende dazu, unter gefährlichen Bedingungen in Mexiko auszuharren. Die mexikanische Regierung setzte auch Militär ein, um aus Mittelamerika fliehende Menschen daran zu hindern, sich auf den Weg zur Grenze zwischen Mexiko und den USA zu machen. Die USA setzten zudem andere Nachbarländer unter Druck, das Recht auf Asyl zu verletzen, indem sie die konfliktträchtigen Länder Guatemala, El Salvador und Honduras dazu veranlassten, eine Reihe von schlecht konzipierten und der Realität zuwiderlaufenden „Sichere Drittstaaten-Abkommen“ zu unterzeichnen.

Straflosigkeit, Umweltzerstörung und geschlechtsspezifische Gewalt sind weiterhin die größten Probleme

Straflosigkeit ist weiterhin überall in der Region die Regel. Die guatemaltekische Regierung verhinderte für die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen den Zugang zu Gerechtigkeit, indem sie im vergangenen Jahr die Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala zur Einstellung ihrer Tätigkeit zwang. Zuvor hatte bereits die Regierung im benachbarten Honduras angekündigt, dass die Mission zum Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit im Januar 2020 ihre Arbeit beenden müsse.

Umweltprobleme nahmen auf dem gesamten amerikanischen Kontinent weiter zu und die Trump-Regierung kündigte offiziell ihre Absicht zum Austritt aus dem Abkommen von Paris an, während schwere Umweltkrisen im Amazonasgebiet das Leben indigener Bevölkerungsgruppen in Brasilien, Bolivien, Peru und Ecuador beeinträchtigten. Brasilien wurde besonders hart von der umweltfeindlichen Politik von Präsident Bolsonaro getroffen, die zu den verheerenden Waldbränden im Amazonasgebiet beitrug und die indigene Gemeinschaften nicht vor widerrechtlicher Landnahme schützte, welche Platz für illegale Rodungen und Rinderfarmen schaffen sollten. Währenddessen wurde der aufsehenerregende Fall der im Jahr 2018 getöteten Menschenrechtsverteidigerin Marielle Franco noch immer nicht aufgeklärt.

Trotz einiger Fortschritte und der zunehmenden Stärke verschiedener Frauenrechtsbewegungen in der Region Amerika, ist geschlechtsspezifische Gewalt noch immer weit verbreitet. In der Dominikanischen Republik demütigte, verprügelte und vergewaltigte die Polizei Sexarbeiterinnen regelmäßig. Diese Übergriffe entsprachen möglicherweise dem Straftatbestand der Folter. Im Hinblick auf die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen in der Region wurden nur wenige Fortschritte erreicht. Die Behörden in El Salvador kriminalisierten auf Grundlage des drakonischen ausnahmslosen Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen weiterhin Frauen und Mädchen, wenn sie eine Fehlgeburt erlitten. In Argentinien bringt durchschnittlich alle drei Stunden ein Mädchen unter 15 Jahren ein Kind zur Welt, die meisten von ihnen nach ungewollten Schwangerschaften, die vielfach die Folge sexualisierter Gewalt waren.

Erfolge im Kampf für Menschenrechte und Gründe für Optimismus im Jahr 2020

Im vergangenen Jahr gab es jedoch auch einige positive Nachrichten. Bis Ende 2019 haben 22 Länder das Abkommen von Escazú, einen bahnbrechenden regionalen Vertrag über Umweltrechte, unterzeichnet. Ratifiziert haben das Abkommen jedoch bislang nur wenige Staaten. Ecuador war das achte Land, das im Februar den Vertrag ratifizierte, sodass noch drei weitere Länder diesem Beispiel folgen müssen, um den Vertrag in Kraft zu setzen. In den USA sprach im November ein Gericht in Arizona den humanitären Helfer Scott Warren von der Anklage der „Gewährung von Unterschlupf” für zwei Migranten frei. Er hatte sie mit Nahrung, Wasser und einem Schlafplatz versorgt. Außerdem hob ein US-Bundesrichter im Februar das Urteil gegen vier weitere humanitäre Helfer auf, die unter ähnlichen Anklagen gestanden hatten.

Der Freispruch von Evelyn Hernández in El Salvador, die nach einer Totgeburt des Mordes unter erschwerten Umständen angeklagt worden war, stellte einen weiteren Sieg für die Menschenrechte dar, auch wenn die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil eingelegt hat.

„Frauen und Mädchen forderten in machtvolle feministische Demonstrationen in Ländern wie Argentinien, Mexiko und Chile die Achtung ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte sowie die Beendigung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Die durch ein grünes Halstuch symbolisierte „grüne Welle“ wurde zu einer unaufhaltsamen Bewegung auf dem ganzen amerikanischen Kontinent. So wurde beispielsweise die Performance „Un violador en tu camino“ (Ein Vergewaltiger auf deinem Weg) zur Hymne der Bewegung, die von Santiago de Chile über Mexiko-Stadt bis hin zu Washington D.C. aufgeführt wurde. Diese Solidarität kann uns optimistisch stimmen“, sagt Katharina Masoud.

„Allerdings müssen die Regierungen des amerikanischen Kontinents den Forderungen der vielfältigen zivilgesellschaftlichen Bewegungen, welche sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen, Gehör schenken, statt ihre Rechte weiter einzuschränken“, so Katharina Masoud.

Pressemeldung Amnesty International

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