Im Herzen des brasilianischen Nordostens birgt der Nationalpark Serra da Capivara einen unschätzbaren Schatz der Urgeschichte: die Felsmalerei der „Szene des Kusses“. Dieses ikonische Wandbild, das als möglicherweise ältester Nachweis einer Zuneigungsgeste der Menschheit gilt, lädt zu einer Zeitreise durch eine Landschaft ein, in der Natur und Erinnerungen der Vorfahren ineinandergreifen. Tausende Felsmalereien zieren die Sandsteinwände des Nationalparks Serra da Capivara, doch die als „Szene des Kusses“ („A Cena do Beijo“) bekannte Darstellung ragt durch ihre Emotionalität heraus. Von Archäologinnen und Archäologen als Kuss oder Umarmung interpretiert, bezeugt sie die soziale und emotionale Komplexität der frühesten Gemeinschaften, die den Kontinent bewohnten.
Ihre Datierung auf mehr als 12.000 Jahre macht sie zu einer der ältesten künstlerischen Darstellungen eines Zuneigungsakts – ein Hinweis darauf, dass menschliche Bindungen so alt sind wie die Menschheit selbst. Aus natürlichen Pigmenten geschaffen, verbindet uns dieses Bild auf intime Weise mit dem Leben unserer Vorfahren. Der Fund berührt nicht nur durch sein universelles Motiv, sondern unterstreicht auch die Bedeutung des Parks als archäologische Stätte von Weltrang, die von der UNESCO als Welterbe anerkannt ist. Die „Szene des Kusses“ ist nur eines von Tausenden Felskunstwerken, die die Felswände der Region schmücken und von Jagd, Ritualen sowie frühen sozialen und emotionalen Interaktionen prähistorischer Menschen erzählen.
Serra da Capivara: ein Natur- und Kulturerbe
Der Nationalpark Serra da Capivara im Bundesstaat Piauí (UNESCO-Welterbe) ist ein Refugium der Archäologie und der Biodiversität. Auf 130.000 Hektar eines einzigartigen Ökosystems, der „Caatinga“, finden sich Canyons, markante Felsformationen und dichtes Buschland. Mehr als 1.300 archäologische Fundstellen bewahren Wandbilder, die den Alltag der ersten Bewohner Südamerikas lebendig werden lassen. Der Park ist nicht nur ein gewaltiges Freilichtmuseum, sondern auch ein Schutzraum für Flora und Fauna – ein Zeugnis der Widerstandskraft der Natur und eine Schule des Zusammenlebens. Wer seine Pfade erwandert, taucht in eine Landschaft ein, in der die Geschichte der Menschheit buchstäblich in den Fels eingeschrieben ist.
Den Park besuchen – der Geschichte nahekommen
Für Reisende und Archäologiebegeisterte ist Serra da Capivara ein unvergessliches Ziel. Der Hauptzugang erfolgt über die Stadt São Raimundo Nonato, die über einen Flughafen verfügt. Eine frühzeitige Planung ist empfehlenswert, da die Routen im Park mit zugelassenen lokalen Guides begangen werden. Die Exkursionen erschließen Canyons, eröffnen Einblicke in die heimische Tier- und Pflanzenwelt und vertiefen – durch fundierte Erläuterungen – das Verständnis der Felskunst und ihrer Bedeutung. Dieser wissenschaftliche und kulturelle Schatz wäre ohne die unermüdliche Arbeit der Archäologin Niède Guidon, die im Juni im Alter von 92 Jahren verstarb, nicht denkbar. Die in Brasilien geborene Forscherin aus einer franko-brasilianischen Familie studierte in Frankreich und wurde als „Napoleon des Sertão“ bekannt. Im Lauf ihrer Karriere war Niède Guidon nicht nur Hüterin der Vorgeschichte, sondern auch eine soziale Gestalterin, die die Entwicklung der Region vorantrieb: Sie stellte Frauen als Rangerinnen ein und initiierte Sozial- und Wirtschaftsprogramme, die das Leben der lokalen Gemeinschaft nachhaltig verbesserten.