Reichtum und Ansehen einer Großfamilie sowie der persönliche Erfolg des Einzelnen begründen sich in der Fähigkeit, den erwirtschafteten Überschuss an Nahrungsmitteln mit anderen zu teilen. Respekt gegenüber anderen Mitmenschen ist von größter Wichtigkeit für die Rarámuri. Selbst bei einer größeren Versammlung ist es ein Zeichen der guten Sitte, jeden Anwesenden mit Handschlag zu begrüßen. Die Kinder der Rarámuri wachsen sehr frei auf und werden früh zur Selbständigkeit erzogen. Oft bekommen sie im Alter von 4 Jahren eine Ziege geschenkt, deren Versorgung einzig in ihrem Verantwortungsbereich liegt. Mit 14 bzw. 15 Jahren werden sie als vollwertige Erwachsene angesehen und nehmen ihren Platz in der Gesellschaft ein. Rarámuri sind vorzügliche Handwerker, die insbesondere beim Töpfern, Weben und Korbflechten wahre Meisterwerke hervorbringen. Die Feinflechtarbeiten der Frauen aus Kiefernnadeln und Rauschopf-Agaven finden weltweit Anerkennung.
Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne
Die Kultur der Rarámuri kann nur durch den Blick auf ihre Geschichte verstanden werden, die ihr Leben, ihre Gewohnheiten und Lebensräume maßgeblich mitbestimmt hat. Zusammen mit den Spaniern kamen 1598 die Jesuiten mit Pater Juan Fonte erstmalig in die Region der Rarámuri. Während die Spanier nach Gold und Silber forschten, ging es den Patres um die Missionierung. 1630 wurde San Gabriel als erste Mission in dieser Region gegründet – 27 weitere folgten. Die Kolonialherren verdrängten die Rarámuri vom besten Weideland und den ertragreichen Feldern. Im 17. Jh. fand die Christianisierung statt, die von zwei Rebellionen im Jahre 1648 und 1690 kurzzeitig unterbrochen wurde. Die Aufstände wurden blutig niedergeschlagen, was das Verhalten der Rarámuri gegenüber den weißen Eroberern grundlegend veränderte. Viele Rarámuri flüchteten in immer entferntere und schwer zugängliche Bereiche der Kupferschluchten, um in Frieden zu leben. Andere ergaben sich ihrem Schicksal, arbeiteten in den Minen und leisteten nur noch passiven Widerstand. Aber weder Flucht noch Widerstand konnten den Einfluss der westlichen Kultur im Laufe der Jahrhunderte verhindern. Heute nutzen die Rarámuri verbesserte landwirtschaftliche Methoden und neue Bautechniken; sie züchten Schafe, Ochsen, Kühe und Pferde; sie nehmen staatliche sowie kirchliche Einrichtungen in Anspruch.
Im Spannungsfeld zwischen Entwicklung und Tradition steht zu befürchten, dass die Rarámuri immer mehr von ihrem traditionellen Leben verlieren. Große Teile der Kupferschluchten sind auch heute noch unergründetes Land. Es gibt kaum Straßen, wenige Schulen und nur eine minimalistische Gesundheitsversorgung. Neben staatlichen Stellen und unabhängigen Hilfsorganisationen engagieren sich die Jesuiten weiterhin sehr stark in dieser Region. Ziel der gemeinsamen Anstrengungen ist es, das Leben der Menschen in den Kupferschluchten zu verbessern.
So wurden Krankenhäuser errichtet und viele Projekte ins Leben gerufen. Die Helfer unterstüzen die Indianer bei Trinkwasser-Bohrungen, organisieren Medikamente und ärztliche Untersuchungen, helfen bei der Entwicklung von neuen landwirtschaftlichen Methoden und wirken gleichzeitig als fahrende Ärzte, Lehrer und Priester. Es bleibt somit das hochgesteckte Ziel, die Infrastruktur in den Kupferschluchten zu verbessern und hierbei die Natur sowie insbesondere die Identität der Rarámuri zu bewahren.
Reportage: Olaf Bock von Gersum
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