Am Montagabend (1.) haben in Venezuela erneut zehntausende Menschen für den Oppositionskandidaten Henrique Capriles Rodonski und gegen die Politik des amtierenden Staatspräsidenten Hugo Chavez Frias demonstriert. Nach Schätzungen des TV-Senders Globovision, der die Veranstaltung live begleitete, hatten sich in Ciudad Guayana im Bundesstaat Bolivar rund 130.000 Anhänger des konservativen Politikers eingefunden, um diesen mit einem Fahnenmeer und anhaltenden Jubel zu begrüssen. Teilnehmer betonten gegenüber agência latina press im Anschluss einen „sehr friedlichen“ Verlauf der Großkundgebung.
„Wir werden am kommenden Sonntag gewinnen, mit 800.000 bis 1 Million Stimmung Vorsprung“ so José voller Optimismus. Für den Capriles-Aktivisten geht es alleinig um wahre Demokratie, er würde daher auch einen „legalen Sieg“ von Amtsinhaber Chavez durchweg anerkennen. „Aber dazu wird es nicht kommen“ fällt ihm ein anderen Anhänger lachend ins Wort.
Wozu es jedoch durchaus kommen könnte, sind Ausschreitungen. Da scheinen sich beide Seiten mittlerweile fast einig zu sein. Der Wahlkampf in Venezuela wird mit großer Härte geführt, es kam mehrfach zu Anfeindungen und Prügeleien. Trauriger Höhepunkt des politischen Disputs war bislang die Ermordung von drei Oppositions-Aktivisten am vergangenen Samstag. Ein Abgeordneter der Partei Primero Justicia macht hierfür „Chavistas“ dafür verantwortlich, die Regierungspartei PSUV hingegen hat die Anschuldigung auf das Schärfste zurückgewiesen.
Mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, mit welchem bereits in der Nacht zum Montag gerechnet wird, könnte sich die Situation erneut zuspitzen. Egal welcher Kandidat die einfache Mehrheit erreicht und damit sich sechs Jahre Präsidentschaft sichert, die Unterlegenen könnten ihren Frust nach der Niederlage durch Wut und Gewalt zum Ausdruck bringen. Vor allem in der Hauptstadt Caracas dürften die Nerven blank liegen. In Venezuela geht es bei den diesjährigen Wahlen nicht nur um kleine politische Unterschiede sondern um die Bestätigung oder Ablehnung des bestehenden Systems. Und diese Frage teilt die Gesellschaft in zwei sich bitter bekämpfende Lager.
Bei einer Niederlage Chavez‘ werde endlich der von einem Demagogen propagierte nicht lebensfähige Sozialismus des 21. Jahrhunderts weggefegt, erhofft sich Rosa. Die Inhaberin eines Restaurant mit deutschen Spezialitäten hat das Vertrauen in den Amtsinhaber schon vor Jahren verloren. Vor allem durch die Politik, immer mehr Betriebe zu verstaatlichen, habe dem Land sehr geschadet. Die Folge seien Lebensmittelknappheit, Korruption bis in die höchsten Ebenen, eine desolate Gesundheitsversorgung und eine nie dagewesene Welle der Gewalt. Bei der letzten Wahl habe sie noch Chavez gewählt, dies werde sie nun keinesfalls wieder tun. „Dieser Demagoge muss endlich weg. Wenn er gewinnt, wird er im kommenden Jahr sogar alle Supermärkte verstaatlichen und dann gibt es noch weniger zu kaufen“ will sie erfahren haben.
Die extreme Mordrate in dem südamerikanischen Land macht auch Antonio zu schaffen. Der Taxifahrer, der am Busbahnhof von Puerto Ordaz (Ciudad Guayana) mit seinem bereits ziemlich in die Jahre gekommenen Gefährt auf Fahrgäste wartet, will trotz aller Probleme allerdings erneut Chavez die Stimme geben. „Dem Capriles vertraue ich nicht. Er macht viele Versprechungen, aber wird er sie auch einlösen? Ich bin lieber für Kontinuität“ so seine knappe Aussage über das Für und Wider eines möglichen Regierungswechsels.
Ein Soldat der Nationalgarde am einzigen Grenzübergang zum südlichen Nachbarn Brasilien ist jedoch gerade diese Kontinuität der absolute Horror. „Es muss sich dringend etwas ändern“ so der Familienvater, der mit seinem Sold nach eigenen Angaben gerade einmal so über die Runden kommt. Auch er beklagt die seiner Meinung nach schon unverschämte Ausmasse annehmende Korruption und die prekäre Sicherheitslage.
Daher rechnet er ebenfalls mit Ausschreitungen am Wahltag, unabhängig wer nun gewinnen mag. In solchen Augenblicken sei er allerdings froh, in einer abgelegenen Region stationiert zu sein. „Ich werde am kommenden Sonntag in einem nahe gelegenen Indianerdorf mit knapp 80 Einwohnern Dienst tun. Da wird wohl nichts passieren“, erzählt er mit ein wenig Erleichterung in der Stimme.
Wem er jedoch seine Stimme in der Wahlkabine geben will, ist ihm nicht zu entlocken. Mit der von Chavez etablierten Phrase „Vaterland, Sozialismus oder Tod … Wir werden siegen“ konnte er sich jedoch in den vergangenen fünf Jahren anscheinend nicht anfreunden. Anders kann und darf man seine gen Himmel verdrehten Augen beim Zitieren des Regierungsmottos nicht interpretieren.
“Dem Capriles vertraue ich nicht. Er macht viele Versprechungen, aber wird er sie auch einlösen? Ich bin lieber für Kontinuität”
Dass scheint das größte Problem in VE zu sein.
In diesem kurzen Satz stoßen zwei gegensätzliche Aussagen aufeinander.
Wie sieht denn die Kontinuität aus?
Man macht viele Versprechungen, die nicht eingelöst werden.
Mit dieser Einstellung wird sich das Leben nicht verbessern und vielleicht will man das auch gar nicht.
Ja, das klingt wie: „Wozu das Risiko eingehen, dass Capriles seine versprechen hält und sich etwas bessert? Bei Chávez weiss ich wenigstens, dass er seine Versprechen nicht hält und ich weiterhin in Elend und Armut sitzen bleibe.“