Kolumbien: Mit der FARC lässt sich kaum ein Staat machen► Seite 3

farc

Datum: 15. November 2012
Uhrzeit: 20:59 Uhr
Ressorts: Füllgrafianas
Leserecho: 1 Kommentar
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)
► Zu den kolumbianischen Friedensverhandlungen in Havanna

Internationale Ermittlungen nach FARC-Unternehmen

Längst bevor sich die Emissäre nach Havanna begaben, leitete die kolumbianische Staatsanwaltschaft weitreichende Ermittlungen über Millionen schwere Guthaben der FARC in Überseee ein. Dreissig Prozent des schmutzigen Geldes werden in Kolumbien vermutet, der Löwenanteil sei jedoch in absolut profanen, kapitalistischen Unternehmen der Transport-, Bau-, Hotel- und Gebrauchsartikel-Branchen in Lateinamerika, den skandinavischen Ländern, aber auch in Deutschland angelegt. Sinn der Operation ist, die FARC in Havanna mit den Funden zu konfrontieren und das Drogenkartell zu Wiedergutmachungen an der vom Terror geschädigten Zivilbevölkerung verpflichten. Grundlage dafür ist das im Januar 2012 verabschiedete “Gesetz über Entschädigung der Opfer und Land-Rückerstattung“.

Die Ermittlungen machten deutlich, daß die Einnahmen der FARC sich nicht auf den Drogenhandel begrenzten, sondern auch in der herkömmlichen, schweren Kriminalität, wie Lösegeld für Entführungen, Landraub und Viehdiebstahl ihre Quellen haben. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Bogotá, befinden sich 300.000 Hektar bebautes Land und 106.934 Stück Vieh in Händen der Narco-Guerrilla, die die ursprünglichen Eigentümer mit Gewalt von ihrem Besitz vertrieb. Einundzwanzigtausend Beschwerden gegen Landraub gingen bei den Sicherheitsbehörden ein, 5,2 Millionen Meschen wurden nach Angaben von Menschenrechts-Organisationen von der Narco-Guerrilla und rechtsgerichteten paramilitärischen Verbänden vertrieben.

Mit diesen „Eigentums“verhältnissen mauserte sich die FARC zu einer der mächtigsten kriminellen Vereinigungen auf dem amerikanischen Kontinent.

Die „akzeptablen Minimalzugeständnisse“

Jedoch die Regierung selbst hat sich brutaler Gewaltanwendung zu verantworten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt z.B. über das Schicksal von mindestens 1.000 Verschwundenen während der Amtszeit Santos´ als Verteidigungsminister. Der neu amtierende Präsident räumte auch im November 2011 öffentlich ein, dass das unter seinem Kommando stehende Militär Hinrichtungen und standrechtliche Erschiessungen von Regimegegnern zu verantworten habe, weshalb 27 höhere Offiziere fristlos entlassen und Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden.

Die schwierigste Hürde der Gespräche in Havanna ist deshalb die Aushandlung sog. „akzeptabler Mindestzugeständnisse” . Die kolumbianische Öffentlichkeit jedenfalls erwartet daß die FARC ihre eigenen Verbrechen anerkennen, dafür hinter Gittern bestraft werden und ihre Opfer entschschädigen. Jedoch, nach dem Motto, wo gehobelt wird, fällt Späne, denken die FARC garnicht daran: In Oslo drehte Arango den Spiess herum – die „wirklichen Opfer“ seien die FARC!

Vom Militär unter Druck gesetzt, dem ultrakonservativen Uribe-Kreis angefeindet, und stationiert bei einer ramponierten Popularität von 40 Prozent, braucht Santos die Befriedung Kolumbiens für seine Widerwahl in zwei Jahren. Die Narco-Guerrilla weiß das nur zu gut, und versucht rücksichtslos Zugeständnisse heraus zu pressen, die die Mehrheit der Kolumbianer allerdings für unakzeptabel empfinden dürfte.

Über den Autor

Frederico Füllgraf wuchs als Sohn deutscher Einwanderer in südbrasilianischen Curitiba, einst Metropole der südamerikanischen Kaffeeprodukion, auf. Er studierte Publizistik, Politische Wissenschaften und Lateinamerikanistik an der Freien Universität Berlin. Füllgraf ist auch als Regisseur zahlreicher Dok- und Industriefilme über Umweltmanagement (u.a Siemens, Osram) und nachhaltige Enwicklung bekannt.

Als Rundfunkautor und Produzent und wegen seiner Sprachkenntnisse in Portugiesisch und Spanisch, wurde er im Auftrag der ARD (v.a. des WDR, Köln) öfter in politische Krisengebiete, darunter Portugal, Angola, Argentinien und Chile entsandt.

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In seiner wöchentliche Kolumne stellt Frederico Füllgraf aktuelle Themen vor und versucht zugleich, indiskutable Fortschritte in Politik, Bilateralen Beziehungen, Wirtschaft, Soziales, Umwelt und Kultur auf die Spur zu kommen.

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  1. 1
    Martin Bauer

    Ausgezeichneter, sehr informativer Artikel! Vielen Dank!
    Die Ziffer von einer Milliarde $ pro Jahr als Gesamteinnahme aus dem Drogengeschäft allerdings erscheint mir überhaupt nicht hoch, schon gar nicht als „schwindelerregend“. Ich habe zwar selber keine besseren Zahlen, aber wenn, wie berichtet wurde, mexikanische Kartelle der Polizei 800 Millionen $ monatlich an Bestehungsgeldern zahlen, dann sollte „das grösste Drogenkartell aller Zeiten“ im Jahr etwas mehr einnehmen, als die mexikanische Polizei in nur 5 Wochen an Schmiergeld.
    „Laut der Meinungsumfrage Gran Encuesta, vom September 2012, erwarten 78% der Kolumbianer daß die FARC für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, doch bezweifeln immerhin 41 Prozent, dass sich die Guerilla überhaupt auf dauerhaften Frieden einlässt.“
    Ich meine, dies ist ein klares Votum des Volkes, die FARC mit Stumpf und Stiel zu eliminieren. Das Drogengeschäft werden dann andere an sich reissen. Doch dieser Konzern des Terrors und Kapitalverbrechen jeder Art kann und darf unter keinen Umständen in die Gesellschaft eingegliedert werden. Die Folgen wären zumindest für die nächsten Generationen katastrophal und unerträglich.

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