Am Sonntag (12.) fand ein seltsames Spektakel in der „Cerveceria Munich“, Vergnügugnsviertel Puerto Madero von Buenos Aires, statt: Hamlet, Shakespeares tragischer Anti-Held, trat mit einem Fahrrad auf. Ende des 1. Akts radelten die Schauspieler, mit Publikum im Gefolge, zur Fuente de las Nereidas in der benachbarten Reserva Ecológica Costanera Sur, Schauplatz der nächsten drei Akte. Als die Akteure an der Freilichtbühne angelangten, waren es bereits fünfzig Radler. Dort rannte nun Vorlagentreu Philosophie-Student Adrián Bo (Hamlet) das heimtückische Schwert in den Leib des Königs Claudio, der von Hernán Lombardi gemimt wurde, nicht weniger als der Landeskulturminister von Buenos Aires selbst. Der wollte damit zwei Fliegen mit einem Schwertstich, ähh… Klappe schlagen.
Auf einem gelben Fahrrad des vor wenigen Monaten eingeweihten städtischen Projekts „Mejor en Bici“ sitzend, erklärte Lombardi, das Shakespeare-Festival von Buenos Aires sei „eingeweiht um zu bleiben“. Gekleidet in einem arg durch seine „Erstechung“ ramponierten, doch penibel weissen Marken-Trainingsanzug, erklärte Lombardi, Shakespeare sei ein universeller und zeitloser Autor, und die Absicht der Stadtverwaltung der 12-Mio.-Metropole sei es, den englischen Dramaturgen von seinem elitistischen Nimbus zu befreien und volksnahe anzubieten, z.B. mit Einttritsfreien Bühnenspielen. Die zweite Fliege, das war „Mejor en Bici“.
Mit dem Rad durch 2,4 Mio. Autos…
Vor knapp einem Jahr als Maßnahme zur Förderung der Nachhaltigen Urbanen Mobilität eingeführt, hat das Programm die Fahrradnutzung um 107% in Buenos Aires erhöht. Daran mag, wie so mancher Feuilleton-Autor ironisch sinniert, wohl David Byrne, von den Talking Heads, ein wenig schuld sein. Dieser trat 2012 in Argentinien auf, um sein neuestes Buch „Bycicle Diaries“ vorzustellen. In diesem berichtet er von seinen seit 1980 gesammelten Impressionen als passionierter Radler. Ein Jahr danach gibt es jedenfalls 60.000 überzeugte Radfahrende Porteños – nicht arg so viele, aber doch ein Anfang in der babylonischen Blechlawine der argentinischen Hauptstadt, in der 2,4 Mio. Autos verkehren und monatlich rund 40.000 neue Vehikel zugelassen werden.
Der Druck von unten
Die neue Begeisterung für den Drahtesel ist nicht allein Verdienst der rechtskonservativen, doch in Teilbereichen recht innovativ handelnden Stadtverwaltung, sondern von still und stur handelnden Bürgerinitiativen wie „700 Night Riders“ oder „Masa Critica“, die sich seit Jahren zusammenraufen um den Verkehr in der Stadt mit ihren „Bicicleteadas“ lahm zu legen und Alternativen in der Verkehrspolitik zu verlangen. Insofern und obwohl die Stadtverwaltung die Lorbeeren kassiert, ist „Mejor en Bici“ wohl eher das Ergebnis der weltweit bewährten Bürgerpolitik des Drucks von unten. Aber auch von nebenan, aus dem „Feindeslager“, denn der Gesetzesentwurf von 2009, für die öffentliche Vemietung von Fahrrädern, stammt aus der Feder des Abgeordneten Pablo Failde, einem eingefleischten „Kirchnerista“. Damals, schien die Initiative Faildes schiere Utopie, eine Gutgemeinte, doch unpraktikable Maßnahme, denn in Buenos Aires gab es keinen Zentimeter „Ciclovías“, weshalb Radfahren zwischen Plaza Italia und dem Obelisk an der 24 de Julio als Abenteuer für Lebensmüde empfunden wurde.
Cristina Kichners Erzfeind und Bürgermeister von Buenos, Mauricio Macri, griff nun Erfolgszuversichtlich die Initiative von unten und nebenan auf, und seine Dirección de Movilidad Saludable de la Subsecretaría de Transporte begann 2010 mit dem Bau der ersten 70 Kilometer Radwege [„BiciSendas“], die umgerechnet je ausgebautem 100m-Strassenblocks stolze 5.400 Euro kosteten. Mit dieser Plattform wurde Faildes Idee implementiert: Auf den Radwegen befinden sich zahlreiche Leihstationen, an denen die gelben Räder von „Mejor en Bici“ gegen Vorlage von Personalausweis und Anschrift kostenlos entnommen werden können. Aber nicht wie in São Paulo, nur an manchen Tagen oder am Wochenende, sondern täglich: „Mejor en Bici“ ist kein Freizeitangebot, vielmehr jedoch integrierter Bestandteil der neuen Stadtpolitik für Nachhaltige Mobilität, wofür Buenos Aires im Januar 2012 den internationalen „Sustainable Transport Award“ erhielt.
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