Nach mehr als einem Jahrzehnt der boomenden wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Lateinamerika mehren sich die Anzeichen dafür, dass das während der letzten drei Jahrzehnte andauernde explosive Wachstum des asiatischen Riesen zu einem Ende kommt. Dies könnte zu schwerwiegenden Folgen bei Ländern wie Venezuela, Argentinien, Chile und Peru führen. Deren Wirtschaften blühten dank ihrer Rohstoff-Exporte in das bevölkerungsreichste Land der Erde.
„Die Zeichen sind unverkennbar: China befindet sich in großen Schwierigkeiten“, schrieb Wirtschaftsnobelpreisträger (2008) Paul Krugman am 18. Juli in der „New York Times“. „Wir reden hier nicht von einigen kleineren Rückschlägen – sondern von einer grundlegenden Änderung. Ich möchte es einmal so bezeichnen: Das chinesische Modell ist auf die Große Mauer getroffen und die einzige Frage die bleibt lautet, wie schlimm der Absturz sein wird“.
George Friedman, Gründer der einflussreichen geopolitischen Think Tank „Stratfor“, veröffentlichte am 23. Juli einen Artikel mit dem Titel „Das Ende des chinesischen Wirtschaftswunders“. Unter Bezugnahme auf die plötzliche Veränderung in China wies er unter anderem darauf hin, dass sich die jährlichen Wachstumsraten von 10 Prozent bereits im Jahr 2011 auf 9,2 Prozent und im Jahr 2012 auf 7,7 Prozent abgeschwächt haben. Für das laufende Jahr wird mit einem Wachstum von voraussichtlich 7,5 Prozent – oder weniger – gerechnet.
Eine aktuelle gemeinsame Studie der Weltbank und dem China Development Research Center prognostiziert eine weitere Abschwächung bis auf 5 Prozent im nächsten Jahrzehnt. Am Mittwoch (24.) stufte auch die in der Regel optimistische Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) ihre Wachstumsprognose für Lateinamerika im Jahr 2013 von 3,5 Prozent auf 3 Prozent herunter. Dies zu einem großen Teil wegen des sich anbahnenden Rückgangs der Rohstoffkäufe Chinas in der Region.
Lateinamerikanische Exporte nach China – hauptsächlich Rohstoffe – stiegen von fast 4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 71 Milliarden im Jahr 2012. Einige Ökonomen hatten vorausgesagt, dass China die USA als wichtigsten Handelspartner Lateinamerikas bis zum Jahr 2015 übertreffen wird. Dies scheint inzwischen immer unwahrscheinlicher, diesbezügliche Prognosen wurden bereits relativiert.
Unter den lateinamerikanischen Ländern, die am stärksten vom sich abschwächenden Wirtschaftswachstum Chinas getroffen werden, sind laut der UN-Agentur Metall-Exporteure wie Peru, Chile und Suriname, Öl-Exporteure wie Venezuela, Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Lebensmittel Exporteure wie Argentinien. Mexiko und Brasilien werden weniger betroffen sein, weil sie über stärker diversifizierte Volkswirtschaften verfügen und weniger China-abhängig sind.
Chinas wirtschaftlicher Abschwung kann das Ende des Rohstoff-basierten populistischen Zyklus in Lateinamerika markieren, in dem Venezuela, Bolivien, Ecuador, Argentinien und andere Ländern ihre boomenden Rohstoff-Exporte in Wohlfühl-Subventionen verschwendeten – statt Investitionen in die Infrastruktur und Bildung zu tätigen. Höchstwahrscheinlich wird China allerdings nicht zusammenbrechen, sondern nur in einem erheblich langsameren Tempo wachsen. Dies dürfte ebenfalls Lateinamerikas Wirtschaft nicht zum Stillstand bringen – die „Fiesta Latina“ ist allerdings vorbei.
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