Brasilien befindet sich in der schwierigsten politischen Krise seit den frühen 1990er Jahren. 1992 wurde Fernando Affonso Collor de Melloals, Brasiliens erster demokratisch gewählter Präsident seit 29 Jahren, aus einem Amt entfernt. Beweise für Bestechlichkeit und Veruntreuung von Staatsmitteln führten zu Massendemonstrationen und Unruhen in den großen Städten Brasiliens. Am 29. September 1992 stimmte der Kongress mit 441 zu 38 Stimmen für die Absetzung des Staatsoberhauptes, seine Amtsbefugnisse wurden für die Dauer von 180 Tagen aufgehoben und sein Vizepräsident Itamar Franco übernahm die Amtsgeschäfte als amtierender Staatschef.
Im größten Land Lateinamerikas ist nichts unvorstellbar. Präsidentin Dilma Rousseff droht ein Amtsenthebungsverfahren, gegen ihren Vorgänger Lula wird gerade wegen Korruption und Geldwäsche rund um den Fall Petrobras ermittelt. Sowohl Rousseff als auch Lula kämpfen um ihr politisches Überleben. „Normalerweise“, wenn Politiker in Korruptionsvorwürfe verwickelt sind, werden sie entweder entlassen oder temporär von ihrem Arbeitsplatz entfernt und nicht in die Regierung eingeladen. Rousseff hat am Mittwoch (16.) ihren Vorgänger plötzlich zum Minister ernannt und am Donnerstagvormittag (Ortszeit) offiziell zum Minister ernannt. Damit entzieht sich Lula, dem Korruption vorgeworfen wird, zumindest vorläufig der Verfolgung des Bundesrichters Sérgio Moro. Ihm kann nun nur noch in höchster Instanz der Prozess gemacht werden.
Aufgrund finsterer und durchschaubarer Politmanöver ist die politische Krise extrem kompliziert geworden und hat am Mittwochabend eine bizarre Wendung genommen. Im Hauptabendprogramm der TV-Anstalten wurden Mitschnitte aus Telefongesprächen zwischen Lula da Silva und Dilma Rousseff veröffentlicht. Sie waren am gleichen Tag aufgenommen worden – heimlich von der Polizei und auf Geheiß von Bundesrichter Moro. Zusammenschnitte der recht zahlreichen und langen Aufzeichnungen sollen beweisen, dass Lula und Dilma miteinander konspirieren und dass Dilma ihrem Verbündeten schon vorab die Ministerpapiere zukommen ließ, damit er sie vorzeigen könne, falls die Polizei an seine Tür klopfen und ihn abführen wolle, mit Verweis auf seine Immunität. Die Brasilianer, die schon längst jedes Vertrauen in ihre Politiker verloren haben, strömten spontan in 18 Bundesstaaten auf die Straßen und forderten vehement den Rücktritt der aktuellen Regierung. Polizeitruppen mussten das Volk mit Schilden und Tränengas vom Sturm des Regierungspalastes fernhalten und eine Regierung schützen, die bereits sämtliches Vertrauen der Bürger verloren hat. Die ganze Nacht über waren Schüsse zu hören, die Lage gleicht einem Pulverfass. Die politische Krise ist inzwischen so kompliziert geworden, dass es unmöglich ist vorherzusagen, was als nächstes passieren wird.
Wenn die Brasilianer ihre verbrecherische Regierung los sind, können nicht ein paar Millionen von ihnen nach Venezuela kommen und Miraflores stürmen? Mit den Venezolanern wird das nie was.