Vor der Präsidenten- und Parlamentswahl in Ecuador am kommenden Sonntag fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) eine baldige Reform des Mediengesetzes von 2013, das vielfach zur Kriminalisierung kritischer Medienberichte eingesetzt worden ist. Der bisherige Präsident Rafael Correa kandidiert bei der Wahl nicht erneut. Seit seinem Amtsantritt 2007 hat er systematisch vor allem private Zeitungen und Rundfunksender dämonisiert, denen er eine Verquickung von Journalismus und Geschäftsinteressen vorwirft.
„Das Ausmaß staatlicher Eingriffe in die Arbeit von Journalisten in Ecuador ist besorgniserregend“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das unter Präsident Correa eingeführte Mediengesetz hat sich als Instrument der Unterdrückung kritischer Berichterstattung erwiesen. Das Gesetz muss endlich reformiert werden, um eine freie und unabhängige Presse zu ermöglichen.“ Das Parlament verabschiedete das Mediengesetz im Juni 2013 mit großer Mehrheit. Nach Darstellung der Regierung sollte es in erster Linie dazu dienen, den Medienmarkt Ecuadors zu „demokratisieren“. Neben einem formellen Verbot jeglicher Vorabzensur durch Regierung und Behörden (Artikel 18) garantiert das Gesetz Vertraulichkeit und Quellenschutz für die Arbeit von Journalisten (Artikel 39-41).
Allerdings definiert das Mediengesetz in Artikel 22 ein Recht auf „verifizierte, ausgewogene, präzise und kontextualisierte“ Informationen und macht Nachrichten zu einem „öffentlichen Gut“ (Artikel 71). Dadurch ermöglicht es eine staatliche Regulierung von Nachrichten. Der Straftatbestand der Verleumdung, unter dem missliebigen Darstellungen in den Medien seit langem verfolgt werden, blieb bestehen. Ergänzt wurde er um ein Verbot der „medialen Lynchjustiz“ (Artikel 26), das Berichte über Korruption und Behördenversagen untersagt. Diese Regelung diente unter anderem als Grundlage für unverhältnismäßige Urteile wie die dreijährigen Haftstrafen und Entschädigungsurteile in Millionenhöhe gegen die Führungsspitze der Zeitung El Universo, die Correa erst durch eine Begnadigung aufhob.
EINSEITIGE ANWENDUNG DES MEDIENGESETZES
Die Bilanz des Mediengesetzes sieht düster aus: Die ecuadorianische NGO Fundamedios zählte in den ersten drei Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes 554 Anklagen gegen Medien und Journalisten. In 398 Fällen wurden Strafen verhängt – insbesondere Strafzahlungen (in 55 Prozent der Fälle), Abmahnungen (27 Prozent) und öffentliche Entschuldigungen (11 Prozent). Betroffen waren vor allem private Medien. Überprüft und umgesetzt wird das Gesetz von einem fünfköpfigen Rat für Medienregulierung und -entwicklung (Supercom). Ihm sitzt der Journalist Carlos Ochoa vor, dem bereits bei seiner Wahl Interessenkonflikte vorgeworfen wurden. Ochoa war zuvor in leitender Position beim staatlichen Fernsehsender GamaTV tätig.
Nach Zählung von Fundamedios gehen mehr als die Hälfte aller Klagen unter dem Mediengesetz von der Supercom aus. Bislang wurde noch nie gegen ein staatliches oder regierungstreues Medium geklagt. Die einseitige Anwendung des Gesetzes zeigt sich beispielsweise am Fall der wöchentlichen Fernsehsendung „Sabatina“, in der Correa persönlich teils stundenlang seine Sicht auf Themen darstellt, die ihm wichtig erscheinen. Regelmäßig bezeichnete er dabei bestimmte Medienberichte als Lügen und stellte Journalisten öffentlich an den Pranger.
So forderte er die Journalistin Tania Tinoco 2015 auf, ihre Anstellung beim Fernsehsender Ecuavisa zu kündigen – sie hatte zuvor die staatliche Versicherungsgesellschaft in einem Twitter-Post kritisiert (http://t1p.de/ofyl). Die Journalistin Janet Hinostroza wurde im August 2016 verklagt, weil sie kritisch über die staatliche Behörde für öffentliche Auftragsvergabe berichtet hatte. Zuvor hatte Correa sie in seiner „Sabatina“ beschuldigt, gegen den Artikel 22 – das Recht auf „verifizierte Informationen“ – verstoßen zu haben.
Während Correa öffentlich über Medien herzieht, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, werden unabhängige Medien häufig unter fadenscheinigen Gründen angeklagt. Der Radiosender FM Futból La Redonda etwa wurde zu einer Geldstrafe von über 40.000 US-Dollar verurteilt, weil die Kommentatoren eines Fußballspiels wiederholt sexuelle Anspielungen geäußert hätten – zu einer Uhrzeit, zu der laut Supercom vorwiegend Familien Radio hörten. In den vergangenen Jahren hat die Regierung zudem wiederholt die Berichterstattung über politisch unbequeme Themen unter Berufung auf Artikel 22 des Mediengesetzes zensiert. So untersagte die Supercom Berichte über die Proteste gegen eine Ölförderung im Yasuní-Nationalpark. Im August 2015 verbot die Regierung die Berichterstattung über den Ausbruch des Vulkans Cotopaxí, um „Fehlinformation und Gerüchte“ zu verhindern .
FEHLENDE TRANSPARENZ BEI DER VERGABE VON RUNDFUNKLIZENZEN
Das Mediengesetz sieht auch die paritätische Aufteilung der Rundfunklizenzen auf private, staatliche und nichtkommerzielle Medien vor. ROG begrüßte diese Pläne der Regierung als potenziellen Schritt zu mehr Medienpluralismus – jedoch wurden sie in dieser Form nie umgesetzt. Laut den Zahlen der staatlichen Kommunikationsbehörde (Secom) hielten die privaten Medien seit 2014 stets rund 78 Prozent der Lizenzen, wogegen lediglich ein Prozent auf nichtkommerzielle Sender entfiel.
So bekam der mexikanische Medienkonzern Albavisión bei der letzten Vergaberunde 104 der insgesamt 1472 verfügbaren Rundfunkfrequenzen zugesprochen. Dem oppositionellen Lokalsender Radio Ondas Azuayas wurde nach 68 Jahren aus unklaren Gründen die Sendelizenz entzogen. Weitere traditionsreiche unabhängige Medien wie Exa-Democracia, Eres oder Teleamazonas wurden zugunsten regierungstreuer Sender bei der Vergabe benachteiligt.
EINSCHÜCHTERUNG DURCH URHEBERRECHTS- UND VERLEUMDUNGSGESETZE
In den vergangenen Monaten häuften sich daneben Zensurversuche gegen Internetmedien. Die Behörden beriefen sich wiederholt auf ausländische Urheberrechtsgesetze, um missliebige Berichte und Webseiten sperren zu lassen. Das Portal Mil Hojas etwa wurde Anfang dieses Monats verklagt, weil es Porträtfotos eines 2010 ermordeten Generals veröffentlichte. Die Fotos illustrierten einen offenen Brief, in dem die Witwe des Ermordeten die Regierung für ihre Untätigkeit im dem Fall angreift. Obwohl sie ausdrücklich die Verwendung der Fotos erlaubt hatte, wirft die Kommunikationsbehörde Secom der Onlinezeitung vor, gegen Urheberrechte verstoßen zu haben.
Auch der Tatbestand der Verleumdung wird immer wieder gegen kritische Journalisten eingesetzt. Der Reporter Fernando Villavicencio wurde im Januar 2017 zu einer Geldstrafe von 44.000 US-Dollar verurteilt, die direkt an den Präsidenten zu zahlen sei. Er hatte Correa 2013 gemeinsam mit zwei Aktivisten beschuldigt, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Die Journalisten Gerard Potillo und Pablo Chambers wurden im Dezember 2016 zu einjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten über Aufträge recherchiert, die der Bruder des Präsidenten von der Regierung erhalten hatte. Ecuador steht in der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 109 von 180 Staaten. Vor der Verabschiedung des Mediengesetzes hatte Ecuador noch Platz 95 der Liste eingenommen.
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