Ein insgesamt 65.000 Kilometer langes Gebirge zieht sich durch alle Weltmeere. Es markiert die Regionen, in denen jeweils zwei Erdplatten nebeneinanderliegen. Durch den Spalt zwischen den Platten drängt Material aus dem Erdinneren an die Oberfläche, bildet neuen Meeresboden, türmt die unterseeischen Gebirge auf und treibt die Platten auseinander. Oft werden diese Mittelozeanischen Rücken als ein riesiger, langgestreckter Vulkan beschrieben. Doch dieses Bild stimmt nicht überall. Denn das Material, das an die Erdoberfläche gelangt, ist nicht immer aufgeschmolzen, also magmatisch. Teilweise wird es kalt gebildet. Wie groß der Anteil des durch diesen Prozeß gebildeten Meeresbodens ist, war bisher unbekannt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Kiel, Austin (Texas, USA) und Durham (Großbritannien) veröffentlichen jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Nature Geoscience Daten, die erstmals einen detaillierte Abschätzung erlauben, wie viel Gestein aus dem Erdmantel an den Mittelozeanischen Rücken direkt zu Meeresboden wird, ohne vorher aufgeschmolzen zu werden. „Dieser Prozess spielt sich vor allem dort ab, wo sich der Meeresboden mit Geschwindigkeiten von weniger als zwei Zentimeter pro Jahr spreizt“, erklärt Prof. Dr. Ingo Grevemeyer vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Leitautor der aktuellen Studie.
Eine dieser Zonen liegt im Cayman Trog südlich der Insel Grand Cayman in der Karibik. Die Forscherinnen und Forscher haben dort im Jahr 2015 während der Expedition M115 mit dem deutschen Forschungsschiff METEOR den Meeresboden mit Hilfe von Schallwellen – also seismisch – untersucht. Schickt man Schallwellen durch verschiedene Gesteine, verraten die Reflektionen etwas über die Zusammensetzung der einzelnen Schichten. Gestein, das aufgeschmolzen und am Meeresboden wieder fest wurde, hat eigentlich eine andere Signatur als Gestein aus dem Erdmantel, das ohne Schmelzvorgang an die Oberfläche kommt.
Das Problem für die Wissenschaft bisher: Der Kontakt mit dem Meerwasser verändert das Mantelgestein. „Dann ist es in seismischen Daten von magmatischem Gestein kaum noch zu unterscheiden“, sagt Professor Grevemeyer. Bisher ließ sich Mantelgestein am Meeresboden nur nachweisen, indem man Proben aus der Tiefe holte und im Labor analysierte. „Doch damit erwischt man immer nur einen winzigen Fleck. Eine großflächige oder gar in die Tiefe gehende Aussage zur Zusammensetzung des Meeresbodens lässt sich so nicht erreichen“, erklärt der Kieler Geophysiker weiter.
Bei der Expedition im Jahr 2015 nutze das Team allerdings nicht nur die Energie gewöhnlicher Schallwellen, sondern auch sogenannte Scherwellen, die nur in festen Materialien auftreten. Sie konnten dank einer geschickten Auswahl der Messpunkte besonders deutlich aufgezeichnet werden.
Aus dem Verhältnis von beiden Wellentypen ließ sich dann auch verändertes Mantelmaterial vom magmatischen Gestein unterscheiden. „So konnten wir also erstmal mit seismischen Methoden nachweisen, dass an der sich sehr langsam öffnenden Spreizungszone im Cayman Trog bis zu 25 Prozent des jungen Meeresbodens nicht magmatisch ist“, sagt Grevemeyer.
Da es auch in anderen Regionen, zum Beispiel in der Arktis oder im Indischen Ozean, ähnliche Spreizungszonen gibt, haben diese Ergebnisse große Bedeutung für die Vorstellung über die Zusammensetzung des Meeresbodens weltweit. „Das ist unter anderem wichtig, wenn man globale Modelle über die Interaktionen zwischen Meeresboden und Meerwasser oder über Prozesse der Plattentektonik erstellen will“, fasst Professor Grevemeyer zusammen.
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