Allein in der Familie der Buntbarsche gibt es halb so viele Arten wie in der Klasse der Säugetiere insgesamt. Biologische Vielfalt ist im Tierreich sehr unterschiedlich verteilt. Aber warum? Und wie weit lässt sich Evolution vorhersagen? Zahlreiche „interne“ wie ökologische Faktoren spielen bei der Evolution eine Rolle. Ein entscheidender Faktor könnten die ökologischen Bedingungen darstellen – die Anzahl verschiedener Habitate und Ähnlichkeit ökologischer Nischen. Auch die demografische Geschichte einer Population kann ein bestimmendes Kriterium für biologische Diversität sein: Ist ausreichend genetische Variation vorhanden, um sich an ökologische Nischen anzupassen? Hatte die Population ausreichend Zeit dafür? Es ist nicht einfach, all die in Frage kommenden Faktoren zu quantifizieren, selbst innerhalb derselben Gruppe von Tieren. Von dem „Birnen-mit-Äpfel-Vergleich“ zwischen Säugetieren und einer Gruppe von Fischen ganz zu schweigen.
Der „Birnen-mit-Äpfel-Vergleich“ stammt von Dr. Andreas Kautt, jetzt Postdoc an der Universität Harvard, allerdings gilt er nicht für dessen Forschung. Seine Untersuchungen an Buntbarsch-Arten zeigen, wie „deterministisch“ Evolution sein kann – selbst bei den extrem artenreichen Buntbarschen, einem Paradebeispiel für die Diversität und „Kreativität“ der Evolution. „Stellen Sie sich 500 bis 1.000 Arten an Buntbarschen vor, die in einem der großen afrikanischen Seen leben, einem der größten Süßwasserhabitate der Welt. Die Komplexität ist unvorstellbar groß. Selbst die Verwandtschaftsverhältnisse der Buntbarscharten in diesen Seen sind zum Teil immer noch ungeklärt“, sagt der ehemalige Doktorand von Prof. Dr. Axel Meyer. Dessen Konstanzer Arbeitsgruppe für Evolutionsbiologie erforscht in einem Projekt – das durch einen ERC Advanced des European Research Council (ERC) mit 2,5 Millionen Euro gefördert wird – Fragen wie: Warum gibt es diese unglaubliche Vielfalt? Wie entsteht Biodiversität? Und wie vorhersehbar ist die Evolution?
Prof. Dr. Axel Meyer, Dr. Andreas Kautt und Dr. Gonzalo Machado-Schiaffino, ehemaliger Mitarbeiter der Arbeitsgruppe und mittlerweile Assistant Professor an der Universität von Oviedo in Spanien, können in ihrer Publikation in der aktuellen Ausgabe des Online-Journals „Evolution Letters“ Faktoren identifizieren, die positiv dazu beitragen, dass unter Buntbarschen widerholt gleiche Diversität entsteht. Die weitergehende Frage formuliert Andreas Kautt so: „Wie wirken sich einzelne Faktoren vorhersagbar auf Evolution aus?
Die Arbeitsgruppe von Axel Meyer forscht nicht nur in den großen Seen Afrikas mit ihrer immensen Vielfalt, sondern auch im Rahmen eines überschaubareren evolutionären „Experiments“: zu den parallelen Artenschwärmen der Midas-Buntbarsche in den zwei großen Seen und mehreren Kraterseen Nicaraguas. Die Wissenschaftler fokussieren dabei auf deren Morphologie, Populationsgenetik und Habitat und vergleichen die Ergebnisse mit denen der Ursprungspopulationen in den großen Seen Nikaraguas. Die Kraterseen sind allein durch ihre erheblich geringere Größe nicht nur weniger komplex, sondern haben auch den Vorteil, dass ihr maximales Alter bekannt ist. Sie sind mit zwischen 1.000 und 24.000 Jahren evolutionär sehr jung, was nochmals mehr Übersichtlichkeit garantiert.
Außerdem sind die Kraterseen nicht mit der Außenwelt verbunden und so klein, dass geografische Distanzen innerhalb der Seen keine Rolle spielen. „Die Kraterseepopulationen stellen quasi ein natürliches evolutionäres Experiment dar“, sagt Andreas Kautt.
Das Ergebnis aufgrund statistischer Methoden, von Literatur und einer großen Anzahl genetischer Marker lässt sich mit Andreas Kautts Worten so zusammenfassen: „Je unähnlicher der Kratersee dem großen See der Urpopulation, desto unähnlicher die Fische.“ Das bedeutet: Die unterschiedlichen Habitate stellen sich – im Gegensatz zu den demografischen Kriterien – als entscheidender Faktor für die Diversität heraus. Die Daten der Konstanzer Wissenschaftler zeigen, dass sich die Körperform aller Kraterpopulationen gegenüber der Ursprungspopulation hauptsächlich in dieselbe Richtung verändert hat: Fische in den Kraterseen haben immer einen eher langgestreckten Körper als die in den großen Seen.
Als Beleg für die Bedeutung der ökologischen Faktoren gilt gleichfalls, dass die Diversität der Körperformen unter den verschiedenen Kraterseen mit deren durchschnittlicher Tiefe in Verbindung steht. Andreas Kautt: „Das macht Sinn. Je tiefer ein See, desto wahrscheinlicher gibt es mehr unterschiedliche ökologische Nischen.“ Dies alles liefert starke Belege für die Annahme: Evolution ist – unter bestimmten Bedingungen – vorhersagbar.
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