Neue Studie: Woher kommen Riesenschildkröten?

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Fossile Schildkröten aus dem ZNS Markus Scholz / Uni Halle
Datum: 23. Oktober 2018
Uhrzeit: 22:28 Uhr
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Redaktion
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Die Evolution von Riesenschildkröten ist womöglich nicht so stark an Inseln gebunden, wie dies bisher angenommen wurde. Auch auf dem Festland entwickelten sich unabhängig voneinander mehrere Arten der großen Tiere. Das haben Forscher der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Paläontologischen Museums Trelew in Argentinien herausgefunden. Mit Hilfe genetischer und osteologischer Daten lebender Arten und fossiler Schildkröten erstellten sie den bisher umfangreichsten Familienstammbaum von ausgestorbenen und noch lebenden Schildkröten. Ihre Studie erschien kürzlich im Fachmagazin „Cladistics“.

Landschildkröten leben in sehr verschiedenen Regionen der Welt – von Wüsten bis hin zu Wäldern. Sie umfassen Arten wie die griechische Landschildkröte und die Galapagos-Schildkröte. Einige der Vertreter entwickelten im Laufe ihrer Evolution große Körper mit einer Panzerlänge von über einem Meter, während andere nicht größer als wenige Zentimeter sind. Obwohl Naturforscher bereits seit der Zeit von Charles Darwin den Riesenwuchs bei Schildkröten untersuchen, gibt er ihnen bis heute Rätsel auf.

Weil alle lebenden Riesenschildkröten auf Inseln zu finden sind, gehen viele Forscher davon aus, dass ihre Entwicklung der sogenannten Inselregel folgte: ein Trend zum Zwergenwuchs bei Großtieren und zum Riesenwuchs bei Kleintieren auf Inseln. Frühere Arbeiten über existierende Riesenschildkröten lieferten jedoch keine konsistente Antwort auf die Frage nach ihrem Ursprung: Einige Studien legten nahe, dass der Riesenwuchs mit dem Fehlen von Raubsäugetieren auf Inseln in Verbindung steht. Andere kamen zu dem Schluss, dass die Schildkröten bereits sehr groß gewesen sein mussten, als sie die abgelegenen Archipele erreichten. Da heute noch nur sehr wenige Riesenschildkrötenarten existieren, lassen sich diese Hypothesen ohne die Analyse ausgestorbener Arten mit Hilfe von Fossilien nicht überprüfen.

In ihrer neuen Studie haben sich der Argentinier Dr. Evangelos Vlachos und Dr. Márton Rabi von der MLU – gefördert durch die Volkswagen-Stiftung – genau an dieses Desiderat gewagt: Die Forscher analysierten genetische Daten von lebenden Arten, die sie mit Knochenmessungen von fossilen und lebenden Schildkröten kombinierten. Anhand dieser Untersuchungen erstellten sie den bisher umfangreichsten Stammbaum ausgestorbener und heute noch lebender Schildkröten. Es handelt sich um die erste Studie in einer globalen Größenordnung, die es ermöglicht, die Entwicklung der Körpergröße bei Schildkröten nachzuzeichnen.

Aus dieser Analyse ergibt sich für die Vergangenheit ein ganz anderes Bild: „Die Fossilien zeigen eine große Anzahl von ausgestorbenen Riesenarten auf dem Festland und deuten darauf hin, dass die Entwicklung des Riesenwuchses nicht an Inseln gebunden war“, sagt Dr. Evangelos Vlachos. Stattdessen entwickelte sich der Riesenwuchs im Lauf der Erdgeschichte mehrfach unabhängig voneinander auf dem Festland – in Asien, Afrika, Europa, Nord- und Südamerika. Spätestens in der Eiszeit des Pleistozäns starben jedoch alle diese Festlandsarten aus.

Ein weiteres unerwartetes Ergebnis der Studie ist, dass die Schildkröten des Mittelmeerraums, die vor allem als Haustiere bekannt sind, in Wirklichkeit eine Zwergenlinie darstellen, da sich ihre Vorfahren als wesentlich größer erwiesen.

„Schildkröten gibt es seit über 55 Millionen Jahren und wir sind jetzt in der Lage, die Entwicklung dieser erfolgreichen Gruppe besser zu verstehen. Heute gelten jedoch von den rund 43 lebenden Arten 17 als stark gefährdet und viele weitere als gefährdet, was vor allem auf den Verlust von Lebensräumen durch den Menschen zurückzuführen ist. Das ist eine enttäuschende Tatsache“, sagt Dr. Márton Rabi. Die heute noch lebenden Artgenossen, wie die auf den Galapagos-Inseln und den Seychellen, stellen vermutlich eher Überlebende nicht verwandter Riesenarten dar, die einst in Südamerika, Ostafrika oder Madagaskar heimisch waren. „Riesenschildkröten sind vielleicht deshalb besser an das Inselleben angepasst, weil sie den Wasser- und Nahrungsmangel während ihrer Reisen über den Ozean für längere Zeit besser ertragen als kleinere Arten. Es gibt Berichte von Riesenschildkröten, die 740 Kilometer von der Küste entfernt verdriftet gesichtet wurden“, so Rabi weiter.

„Wir nehmen an, dass das wärmere Klima und der evolutionäre Druck durch Raubtiere eine Rolle bei der Entwicklung des Riesenwuchses spielen, aber das Bild ist komplex und unsere Proben der fossilen Nachweise sind noch immer begrenzt“, sagt Vlachos.

Was zum Aussterben dieser Festlandriesen führte, bleibt weiter unklar. Für die eiszeitlichen Arten kann es eine Kombination aus der Bedrohung durch Raubtiere, einschließlich des Menschen, und dem Klimawandel gewesen sein. Ebenfalls ist unklar, was dann die Schildkröten dazu treibt, sich immer wieder zu Riesenformen zu entwickeln, falls die Inselregel nicht zutrifft.

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