Reporter ohne Grenzen (ROG) beobachtet mit großer Sorge, dass die mexikanischen Behörden der Welle von Journalistenmorden in diesem Jahr anscheinend machtlos gegenüberstehen. Allein im August sind zwei weitere Journalisten ermordet worden. Die Zahl der wegen ihrer Arbeit getöteten Medienschaffenden in Mexiko steigt damit auf mindestens zehn – mehr als im gesamten Jahr 2018 und weitaus mehr als in jedem anderen Land der Welt. Angesichts der anhaltenden Gewalt, die so gut wie nie gesühnt wird, drängt ROG die mexikanische Regierung, den nationalen Schutzmechanismus für Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger sowie Journalistinnen und Journalisten wie angekündigt zu verbessern sowie die für Verbrechen gegen Medienschaffende zuständigen Ermittlungsbehörden zu stärken.
„Bei den beiden jüngsten Journalistenmorden in Mexiko gibt es starke Anhaltspunkte, dass lokale Funktionäre in die Taten verwickelt waren. Gerade deshalb müssen die Ermittlungsbehörden mit größtmöglicher Unabhängigkeit vorgehen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Leider gibt es in Mexiko noch immer so gut wie keine unabhängigen Ermittlungen nach Journalistenmorden. Die Regierung von Präsident Andrés Manuel López Obrador muss endlich den Ernst der Lage erkennen und die versprochenen Reformen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten umsetzen.“
Das bislang letzte Mordopfer war Nevith Condés Jaramillo, der am Samstag (24. August) nahe Tejupilco im Bundestaat Mexiko erstochen aufgefunden wurde (https://ogy.de/4wds). Er war Chefredakteur der Online-Zeitung El Observatorio del Sur und hatte in seinen Artikeln wiederholt lokalen Funktionären Korruption vorgeworfen. Mitarbeitende und Angehörige berichteten ROG, dass er in den vergangenen Monaten zweimal wegen seiner Arbeit bedroht worden war. Die Drohungen wurden auch an den nationalen Schutzmechanismus gemeldet, Schutzmaßnahmen wurden aber nicht ergriffen. Condés‘ Kolleginnen und Kollegen berichteten zudem, dass es „große Spannungen“ zwischen ihm und dem Bürgermeister von Tejupilco gab.
Am 2. August wurde Jorge Celestino Ruíz Vázquez, Korrespondent der Zeitung El Gráfico de Xalapa, in Actopan im Bundesstaat Veracruz getötet. Er war 2018 mehrfach bedroht und angegriffen worden, weil er über Korruptionsvorwürfe gegen den Bürgermeister von Actopan berichtet hatte. Nachdem er sich bei den lokalen Behörden beschwert hatte, wurde Ruíz unter Schutz gestellt, der allerdings ohne Begründung wieder beendet wurde. Tage vor dem Mord an Ruíz kam ein Bote des Bürgermeisters in die Redaktion und bot Geld dafür, dass die Zeitung auf kompromittierende Berichterstattung verzichtet. Die Redaktion nahm das Geld nicht an.
Auch bei acht weiteren Medienschaffenden kann ROG einen direkten Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und ihrer Ermordung herstellen: Rogelio Barragán Pérez, Norma Sarabia Garduza, Francisco Romero Diaz, Telésforo Santiago Enríquez, Jesús Eugenio Ramos Rodríguez, Rafael Murúa Manríquez, Omar Iván Camacho Mascareño und Santiago Barroso. In mehreren weiteren Fällen untersucht ROG diesen Zusammenhang noch, vor allem bei Samir Flores (Bürgerjournalist und Umweltaktivist, getötet am 20. Februar in Amilcingo) und Reynaldo López (Fernsehjournalist, getötet am 16. Februar in Hermosillo). Allein die zehn nachgewiesenen Fälle machen fast ein Drittel aller getöteten Medienschaffenden weltweit in diesem Jahr aus.
Mehr 90 Prozent der Gewalttaten gegen Journalistinnen und Journalisten bleiben in Mexiko ungestraft. Diese fehlende Abschreckung für potenzielle Täterinnen und Täter trägt entscheidend dazu bei, dass die Spirale der Gewalt sich weiter dreht. Angesichts der katastrophalen Lage hat ROG beim mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador sowie weiteren mexikanischen Behörden eine Reihe von Maßnahmen angemahnt, mit denen sich die Spirale der Gewalt durchbrechen ließe:
– Die Effektivität und Schnelligkeit des nationalen Schutzmechanismus muss verbessert werden. Dafür müssen mehr finanzielle und personelle Mittel bereitgestellt werden. Zudem muss die Rolle des Mechanismus in der Präventionsarbeit vor allem in den gefährlichsten Bundesstaaten ausgebaut werden.
– Die Empfehlungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (https://ogy.de/rj8d) zur Verbesserung des Mechanismus, die am Montag (26. August) öffentlich gemacht und am 29. Juli den mexikanischen Behörden zugestellt wurden, müssen umgesetzt werden.
– Es muss eine grundsätzliche Strategie entwickelt werden, wie sich die Behörden um Medienschaffende und ihre Angehörigen kümmern, die aufgrund einer Gefährdungslage ihre Gemeinde verlassen müssen.
– Die Befugnisse und finanziellen sowie personellen Mittel der Sonderstaatsanwaltschaft für Verbrechen gegen die Meinungsfreiheit (FEADLE), die Teil der künftigen Sonderstaatsanwaltschaft für Menschenrechte werden soll, müssen verstärkt werden.
– Es müssen schnell neue Richtlinien für die Ermittlungen der FEADLE in Fällen von Gewalt gegen Medienschaffende erstellt werden. Beschwerdemöglichkeiten gegen Entscheidungen der FEADLE müssen aufgezeigt werden.
– Die FEADLE muss ihre Kompetenz ausschöpfen, Ermittlungen von der lokalen auf nationale Ebene zu heben. Vor allem in den Fällen von Jorge Celestino Ruíz Vázquez, Norma Sarabia Garduza und Francisco Romero Diaz müsste das unverzüglich geschehen.
– Das im Oktober 2018 beschlossene Protokoll zur Untersuchung von Verbrechen gegen die Meinungsfreiheit muss effektiv umgesetzt werden.
– Die neue Sonderstaatsanwaltschaft für Menschenrechte muss sich schnellmöglich eng mit Organisationen der Zivilgesellschaft vernetzen, um weitere Schritte zu diskutieren.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Mexiko auf Platz 144 von 180 Staaten. Mehr zur Lage der Pressefreiheit in Mexiko finden Sie hier: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/mexiko/
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