Das Phänomen ist nicht unbedingt neu, aber es breitet sich aus, zumindest geographisch: die Ruhestandsmigration. Seit den 1980er-Jahren zieht es deutsche Rentnerinnen und Rentner in den Mittelmeerraum, vor allem nach Spanien, um dort den Lebensabend zu verbringen. Der Grund für diese Auswanderer ist oft das bessere Wetter und eine schöne Umgebung. Seit einiger Zeit verlagert sich die Auswanderung von Ruheständlern allerdings zunehmend ins außereuropäische Ausland und ganz besonders in die Länder des Globalen Südens. „Viele Rentnerinnen und Rentner erhoffen sich von dem Umzug in ein Land mit geringeren Lebenshaltungskosten wie zum Beispiel Thailand ein besseres Leben. Die Rechnung geht aber häufig nicht auf. Viele sind mit erheblichen Problemen konfrontiert“, sagt Prof. Dr. Cornelia Schweppe von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Die Sozialpädagogin erforscht mit ihrem Team die sozialen Bedingungen und Herausforderungen des Alterns und alter Menschen in grenzübergreifenden Zusammenhängen und veranstaltet am 12. und 13. März eine internationale Tagung zur Ruhestandsmigration vom Globalen Norden in den Globalen Süden.
Situation im Heimatland als Ursache für Auswanderung
Die Ruhestandsmigration in den Globalen Süden, insbesondere in Länder Südostasiens, Mittel- und Südamerikas oder Afrikas, ist für viele ältere Menschen eine Suche, um vor dem Hintergrund diverser Probleme in Deutschland ein besseres Leben führen zu können. „Geringe Renten, soziale Isolation, eine schlechte Pflegesituation, aber auch die Schwierigkeit, im Alter eine Partnerin zu finden sind wesentliche Gründe, die Menschen in Länder des Globalen Südens führen“ , erklärt Schweppe. Mit der Verlagerung des Wohnorts ins außereuropäische Ausland geht allerdings der Verlust der sozialen Sicherung beispielsweise bei Krankheit oder Unfall einher. Viele Rentnerinnen und Rentner stehen vor erheblichen gesundheitlichen Problemen, weil sie keine Krankenversicherung haben. Kommt es dann zu einer Einweisung ins Krankenhaus, können die Kosten oft nicht beglichen werden. „Das ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern für das Gesundheitswesen in diesen Ländern eine enorme Belastung. Thailand beispielsweise entstehen dadurch jährliche Kosten in Millionenhöhe“, sagt Schweppe.
Sozialstrukturen in Gastländern leiden häufig unter der Zuwanderung
Das ist nicht die einzige Schwierigkeit für die Gastländer. Auch die Sozialstrukturen und die lokale Bevölkerung profitieren nicht immer von der Zuwanderung aus dem relativ wohlhabenden Globalen Norden. In Thailand hat der Sextourismus den Boden für die Ruhestandsmigration insbesondere von Männern bereitet, die in der Hoffnung auf eine intime Partnerschaft Deutschland verlassen. Offizielle Statistiken fehlen, aber Schätzungen gehen davon aus, dass in Thailand rund 100.000 Deutsche ihren Ruhestand verbringen, 20.000 davon alleine in Pattaya, der Hochburg des Sextourismus.
In anderen Ländern wie Kenia wird die lokale Bevölkerung durch die Ansiedlung von „Rentnerparadiesen“ in schlechtere Wohngebiete verdrängt. „Luxuswohnanlagen liegen in Kenia inmitten einer Gegend absoluter Armut. Das ist für die lokale Bevölkerung und für den Wohnungsmarkt äußerst problematisch.“ Cornelia Schweppe merkt an, dass Kenia zu den Ländern gehört, in die nicht vorwiegend Männer, sondern ebenso alleinstehende Frauen oder Paare auswandern. Der sozioökonomische Hintergrund ist divers, ehemalige Zahnärzte und Architekten sind ebenso vertreten wie einfache Angestellte.
Schwierigkeiten bei der Anpassung an fremde Umgebung
Während sich die Migrantinnen und Migranten von einem Wohnsitzwechsel meist neue Erfahrungen, mehr Möglichkeiten für Aktivitäten und Teilhabe und manchmal auch neue Beziehungen erhoffen, sieht die Realität vor Ort oft anders aus. Abgesehen von dem Problem der Krankenversicherung gelingt es den Zugezogenen häufig nicht, in der Fremde Fuß zu fassen und sich tatsächlich einen zufriedenstellenden Lebensabend einzurichten. „Wenn es nicht klappt, greifen viele zu Alkohol. Es kann auch in Rassismus münden, das heißt die Einheimischen sind sozusagen die Schuldigen“, so Schweppe.
Trotz der vielfältigen Probleme zieht es offenbar wenig Rentnerinnen und Rentner wieder zurück in die Heimat, vor allem wenn die persönlichen Verbindungen abgebrochen wurden. Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler gehen davon aus, dass die Auswanderung in wirtschaftlich ärmere Länder auch in Zukunft weiter zunimmt – zumal viele Länder die Ruhestandsmigration als ökonomische Strategie für sich entdeckt haben und beispielsweise durch Visumserleichterungen fördern.
Internationale Konferenz mit Referentinnen und Referenten aus fünf Kontinenten
Dass die Ruhestandsmigration bei Weitem nicht nur Deutschland betrifft, sondern alle wohlhabenden Länder Mitteleuropas sowie Australien, Kanada und die USA, spiegelt auch die internationale Tagung „Retirement migration to the ‚global South‘“ wider. Hierzu konnten die Veranstalter renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen fünf Kontinenten gewinnen. Die Tagung findet am 12. und 13. März 2020 im Erbacher Hof, Grebenstraße 24-26, 55116 Mainz statt. Die interessierte Öffentlichkeit ist zu der Veranstaltung in englischer Sprache ebenfalls herzlich eingeladen.
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