In den letzten 40.000 Jahren haben sich Eisschilde, die Tausende Kilometer voneinander entfernt sind, durch Veränderungen des Meeresspiegels gegenseitig beeinflusst. Ein internationales Wissenschaftlerteam unter Beteiligung der Universität Bonn verglich Modellierungen von Eisschildveränderungen während des jüngsten Eiszeitzyklus mit neu verfügbaren geologischen Aufzeichnungen. Die Studie unter der Leitung von Natalya Gomez von der McGill-Universität in Montreal (Kanada) zeigt erstmals, dass in diesem Zeitraum Veränderungen des antarktischen Eisschildes im Süden durch schmelzenden Eisschilde in der nördlichen Hemisphäre beeinflusst wurden. Die Ergebnisse sind nun in Nature veröffentlicht.
Als sich das Klima während der letzten Eiszeit abkühlte, wurde Wasser im Landeis der nördlichen Hemisphäre gebunden, was zu einer Ausdehnung des Eisschildes in der Antarktis führte. Denn wenn der Meeresspiegel im Süden fällt, ist mehr Landfläche vorhanden, die Unterseite des Eises liegt stabil auf und kann sich ausdehnen. Als sich das Klima vor 19.000 bis 9.000 Jahren erwärmte, führte der Rückgang des Eises in der nördlichen Hemisphäre dagegen zu einem Rückzug des Eisschildes in der Antarktis. Durch den steigenden Meeresspiegel wird die Unterlage destabilisiert, das Eis droht aufzuschwimmen und abzubrechen. Dadurch zieht es sich insgesamt zurück.
“Wir haben jetzt ein sehr variables Signal des Eismassenverlusts in den letzten 20.000 Jahren gefunden, das von Eisbergen hinterlassen wurde, die aus der Antarktis abbrechen und in den umliegenden Ozeanen Gerölle beim Abschmelzen zurücklassen”, sagt Michael Weber vom Institut für Geowissenschaften der Universität Bonn. Diese Belege konnten kaum mit bestehenden Modellen in Einklang gebracht werden, solange die Forschenden nicht berücksichtigt haben, wie die Eisschichten beider Hemisphären auf der ganzen Welt miteinander über längere Zeiträume interagieren. „Aus einer früheren Studie wussten wir lediglich, dass die Eisschilde an beiden Polen am Ende der letzten Eiszeit verbunden waren“, ergänzt Weber. Jedoch nur mit Hilfe neuer Modelle, die Ozean, Eisschild und vertikale Krustenbewegungen koppeln, konnten die Forscher nun längere Zeiträume betrachten und mit neuesten geologischen Befunden vergleichen.
“Eisschilde können sich aufgrund des Wassers, das zwischen ihnen fließt, über große Entfernungen hinweg gegenseitig beeinflussen”, sagt Natalya Gomez. “Es ist, als ob sie durch Veränderungen des Meeresspiegels miteinander kommunizieren würden.” Das Ergebnis der Modellrechnungen stimmt mit den Aufzeichnungen in Ozeansedimenten und von vergangenen Küstenlinien überein. Polare Eisschilde seien nicht nur große, statische Eisberge. Sie entwickelten sich auf verschiedenen Zeitskalen und seien in ständigem Fluss. “Wobei das Eis – je nach Klima und den umgebenden Wasserständen – wächst und sich wieder zurückzieht”, so die Wissenschaftlerin weiter. Das Eisschild wächst, wenn sich Schnee darauf auftürmt, und die entstehende Eismasse sich unter ihrem eigenen Gewicht wie ein Wackelpudding nach außen ausbreitet. Dort strömt die Masse in den umgebenden Ozean, von den Rändern brechen Eisberge ab.
Um die Mechanismen zu untersuchen, die die Veränderungen des antarktischen Eisschildes über geologische Zeitskalen vorantreiben, stützt sich die Studie auf numerische Modelle und eine breite Palette geologischer Aufzeichnungen, von Sedimentkernen des Meeresbodens in der Nähe der Antarktis bis hin zu Aufzeichnungen über Landflächen und vergangene Küstenlinien. Mit diesen Informationen waren die Forscher erstmals in der Lage, gleichzeitig Veränderungen sowohl des Meeresspiegels als auch der Eisdynamik in beiden Hemisphären über die letzten 40.000 Jahre zu simulieren. Dieser Zeitrahmen bildet die Grundlage für ein tieferes Verständnis, wie Klimafaktoren die Eisschilde beeinflussen. Denn der Zeitraum umfasst den Höhepunkt der letzten Eiszeit zwischen 26.000 und 20.000 Jahren bis zur Gegenwart.
Wasser und Eisschilde in Bewegung
Die Aufzeichnungen aus Bohrkernen und die Rekonstruktion der Küstenlinien deuten darauf hin, dass der Eisverlust des antarktischen Eisschildes in diesem Zeitraum erheblich war, mit zeitweiligen Perioden beschleunigten Rückzugs. Die Forscher fanden heraus, dass der einzige Mechanismus, der dieses Phänomen erklären könnte, die Änderungen des Meeresspiegels in der Antarktis sind. Sie wurden wiederum durch Veränderungen der Eisschilde in der nördlichen Hemisphäre verursacht.
“Das Ausmaß und die Komplexität der Eisschilde und der Ozeane sowie die Geheimnisse des vergangenen Klimas der Erde sind faszinierend und inspirierend”, sagt Gomez. Die Ergebnisse zeigten, wie vernetzt das Erdsystem ist: Veränderungen in einem Teil des Planeten bewirken Veränderungen in einem anderen Teil. Der Rückzug der großen Eisschilde im sich künftig weiter erwärmenden Klima sei beispiellos. Der Blick auf Aufzeichnungen und Modelle von Veränderungen in der Erdgeschichte könne darüber informieren.
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