Für Sportfans, die ihr Fernsehgerät regelmäßig für Leichtathletik, Fußball oder andere Events einschalten, sind die langgezogenen Werbebanden am Spielfeldrand ein vertrautes Bild. Sportveranstalter und Werberechtevermarkter verdienen damit gutes Geld, Werbetreibende erreichen ein Millionenpublikum. Doch im Zeitalter des digitalisierten und zielgruppengerechten Marketings hat dieses Format einen Nachteil: Alle Zuschauer sehen dieselbe Werbung, egal in welchem Land oder welcher Region.
Jetzt hat das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS eine Technologie entwickelt, die es ermöglicht, die Inhalte auf den Boards für jede Zielgruppe anzupassen. Der Fernsehsender zeigt dann den Inhalt auf der Boardoberfläche an, der vom Werbetreibenden auf ein bestimmtes Publikum zugeschnitten ist oder einen länderspezifischen Fokus hat. Wenn Sie beispielsweise Spiele der Europameisterschaft in Deutschland ansehen, können Sie auf EM 2021 wetten, wo Sie die Gewinnchancen aller Teams einsehen können. Zudem sehen bei einem weltweit übertragenen Fußballspiel Millionen Zuschauer in Europa oder Südamerika dieselben Banden, aber jeweils mit ganz verschiedenen Inhalten.
Chromakey-Technik mit Magenta
Die Fraunhofer-Forschenden aus Sankt Augustin bei Bonn kombinieren das bei TV-Produktionen etablierte Chromakey-Verfahren mit einer innovativen technologischen Eigenentwicklung. Bei Chromakey, auch als Blue oder Green Screen bekannt, stehen TV-Moderatorinnen oder -Moderatoren vor einer monochromen Farbfläche, auf der ein beliebiges Bild oder Video eingespielt wird. Für die Zuschauer sieht es dann beispielsweise so aus, als stünde die Nachrichtensprecherin vor einer Winterlandschaft. Das Fraunhofer-Team setzt dabei auf Magenta als Hintergrundfarbe, es ist aber auch nahezu jede andere Farbe verwendbar, falls die Trikotfarbe der Spieler sich nicht genügend von einer Magenta-Bande abhebt.
Doch wie genau funktioniert das bei den Werbebanden? Moderne Bandenwerbung arbeitet mit LED-Panels. Diese werden elektronisch gesteuert und präsentieren einen Stream mit wechselnden Inhalten.
Ulrich Nütten, Leiter der Abteilung Media Engineering, erläutert das am Institut entwickelte Verfahren: »Die Streams auf den LED-Banden bestehen aus einer Abfolge von Einzelbildern, die jeweils 20 Millisekunden lang angezeigt werden. Wir kürzen die Anzeige der Werbung auf 18 Millisekunden, für die restlichen zwei Millisekunden zeigt die Bande eine Magenta-Farbfläche. Dieser Magenta-Blitz ist zu kurz, um vom menschlichen Auge wahrgenommen zu werden. Aufnahmezeitpunkt und -dauer der TV-Kamera sind so eingestellt, dass sie nur ihn aufzeichnet. Die Kamera sieht also die reale Werbung nicht, sondern nur die Bande mit der Farbfläche. Jetzt kommt Chromakey zum Einsatz: Im Bild, das die Kamera aus dem Stadion ins TV-Studio liefert, wird ein neuer Inhalt auf die Magenta-Farbfläche gesetzt. Auf diese Weise entsteht ein Werbestream, der sich nahtlos in das TV-Bild einfügt.«
Während die Zuschauer im Stadion die reale Bandenwerbung sehen, bekommen Menschen vor den Fernsehgeräten eine andere Werbung gezeigt. Für sie wirkt es aber so, als ob die Werbung im Stadion auf den Banden abliefe. Auch wenn ein Sportler oder eine Sportlerin vor einer Bande steht oder vor dieser hin und her läuft, ist das kein Problem. »Die Technik ist inzwischen so ausgereift, dass in so einer Situation keinerlei Säume, Farbverfälschungen oder Unschärfen entstehen«, sagt Nütten.
Perspektivisch korrekt auch bei Kameraschwenks
Die Forschenden mussten hierbei noch ein Problem lösen. Denn durch wechselnde Kameraperspektiven oder Schwenks erscheinen die Banden-Elemente perspektivisch verzogen. Die extern generierten Werbeinhalte müssen angepasst werden, damit sie jederzeit innerhalb der Bandenbegrenzung bleiben. Das Fraunhofer-Team hat das Problem gelöst, indem es Tracking-Module an den Kameras platziert, die die Neigung der Kamera und Schwenks kontinuierlich registrieren. Eine KI-gestützte Software nutzt diese Daten, um den Aufnahmewinkel zur Bande laufend neu zu berechnen und die daraus resultierende perspektivische Verzerrung auszugleichen. Trotz der hierfür erforderlichen erheblichen Rechenkapazität benötigt das System keine Großrechner. »Es genügen zwei handelsübliche PCs mit rechenstarker Grafikkarte. Ein PC erkennt die Magenta-Bande im TV-Bild, der andere spielt die Werbeinhalte ein.«
Spin-out der Technologie an Vermarktungspartner ViboTec
Bei dem Projekt konzentriert sich das Fraunhofer IAIS auf die Weiterentwicklung des Grundkonzepts, dessen technische Umsetzung und die bedienfreundliche Gestaltung der entsprechenden Software. Die Vermarktung der innovativen Technik wiederum hat das Schweizer Unternehmen ViboTec AG übernommen. ViboTec-CEO Marc Pfister sagt: »Mit der virtuellen Bandentechnologie bedienen wir nicht einfach einen bestehenden Markt, sondern schaffen einen neuen Markt der zielgruppengerechten Werbung bei Live-TV-Übertragungen. Hier entstehen völlig neue Business-Modelle wie etwa die personalisierte Werbung bei Streamingangeboten«.
Jetzt schon arbeiten die Forschenden des Fraunhofer IAIS am nächsten Schritt. Die Technik soll künftig auch TV-Formate im höchstauflösenden 8K-Format unterstützen.
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