Zunehmende Ernährungsunsicherheit, hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Einkommen haben in den letzten Jahren zu einer explosionsartigen Vermehrung der Favelas in Brasilien geführt. Die Zahl der Armenviertel hat sich innerhalb von zehn Jahren in den brasilianischen Städten mehr als verdoppelt. Nach Berechnungen des brasilianischen Instituts für Geographie und Statistik (IBGE), die am Freitag (15.) veröffentlicht wurden, ist die Gesamtzahl der „subnormalen Siedlungen“ (Favelas, Palafitas u. a.) zwischen 2010 und 2019 von 6.329 auf 13.151 in 734 Städten gestiegen. Die Zahl der Wohnungen, die sich in diesem Zustand befinden, ist von 3,2 Millionen auf 5,1 Millionen gestiegen, was auf unregelmäßige städtebauliche Standards und fehlende sanitäre Einrichtungen zurückzuführen ist.
Aber auch die Ernährungsunsicherheit nahm zu, was durch die Covid-19-Pandemie noch verschärft wurde. Fast zwanzig Millionen Brasilianer leben vierundzwanzig Stunden oder länger ohne Nahrung. Weitere 24,5 Millionen haben ihre Ernährung bereits reduziert – sowohl in Bezug auf die Menge als auch auf die Qualität. Weitere vierundsiebzig Millionen Brasilianer leben, ohne zu wissen, ob ihnen das Gleiche widerfahren wird. Laut einer Umfrage von „Datafolha“ für das brasilianische Institut für Verbraucherschutz (IDEC) essen die Brasilianer seit Beginn der Coronavirus-Pandemie mehr ultra-verarbeitete und billige Lebensmittel. Bei den Erwachsenen zwischen fünfundvierzig und fünfundfünfzig Jahren ist diese Art des Konsums am stärksten gestiegen, nämlich von neun auf sechzehn Prozent.
Aus den IBGE-Daten geht hervor, dass die Ernährungsunsicherheit in Brasilien seit 2004 zurückgegangen war, aber ab 2014 aufgrund der starken Rezession 2015-2016, die das BIP um 7,2 Prozent schrumpfen ließ, in all ihren Formen wieder zunahm. Seitdem ist das durchschnittliche Wirtschaftswachstum nur noch mittelmäßig, während Brasilien eine akute Haushaltskrise durchläuft. Hinzu kommen die Auswirkungen der Pandemie und die autoritäre Führung von Jair Messias Bolsonaro. In diesem Szenario überwiegt die Schaffung von informellen und schlecht bezahlten Arbeitsplätzen, die die Einkommen der Ärmsten abflachen lassen. In diesen Haushalten wird fast das gesamte Einkommen für Lebensmittel, Transport und Wohnen ausgegeben. Die kumulierte offizielle Inflation lag zwischen Ende 2014 und September letzten Jahres bei 47,5 Prozent und der Wert des US-Dollars hat sich mehr als verdoppelt, was sich unmittelbar auf die Lebensmittelpreise und die Produktionskosten, etwa für importierte Düngemittel, auswirkt.
Obwohl Brasilien einer der größten Soja-, Fleisch- und Maisproduzenten der Welt ist, werden die Preise für diese Rohstoffe in US-Dollar gehandelt, der Währung, in die sich viele wohlhabendere Brasilianer in Zeiten politischer, wirtschaftlicher und steuerlicher Unsicherheit geflüchtet haben. Diese Tatsache setzt die Preise unter Druck.
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