Einzelhandelsunternehmen können die Pandemie nicht länger als Ausrede dafür nutzen, nicht in den digitalen Handel einzusteigen. Nach Meinung von Juliana Etcheverry, Direktorin für Expansion und strategische Allianzen in Lateinamerika beim Finanzlösungsanbieter „Ebanx“, ist es vollkommen klar, dass der Grund für das Wachstum des elektronischen Handels nicht nur die Pandemie ist. Laut der dritten Ausgabe des „Beyond Border“-Berichts von „Ebanx“ ist Lateinamerika einer der am schnellsten wachsenden Märkte für den digitalen Handel in der Welt. Derzeit macht der E-Commerce rund fünfzehn Prozent des Einzelhandelsumsatzes in Lateinamerika aus und bis Ende 2021 soll der Markt um siebenunddreißig Prozent wachsen. Außerdem wird erwartet, dass der Markt für den digitalen Handel seine Wachstumsrate von dreißig Prozent pro Jahr bis 2025 beibehalten wird.
Große Länder wie Brasilien und Mexiko mit einem Marktvolumen von 156,2 Milliarden bzw. 49,6 Milliarden US-Dollar führen das Wachstum mit zweiunddreißig und siebenundzwanzig Prozent pro Jahr bis 2025 an. Argentinien, Chile und Kolumbien werden ebenfalls ein zweistelliges Wachstum im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen, nämlich zweiunddreißig, achtundzwanzig und einundzwanzig Prozent. Die Schwellenländer, darunter Bolivien, Guatemala, Paraguay und Peru, werden mit zweiundachtzig, fünfzig, sechsundfünfzig und zweiundvierzig Prozent noch schneller wachsen. „Die Zahlen für den digitalen Handel in Lateinamerika zeigen zu Recht einen Wachstumsmarkt. In drei Jahren wird sich dieses Segment in Lateinamerika voraussichtlich verdoppeln“, so Etcheverry.
Internationale Unternehmen schielen gierig auf das Hyperwachstum des lateinamerikanischen E-Commerce. Einige sind bereits in großer Zahl in der Region eingetroffen, vor allem diejenigen, die Juliana Etcheberry als „Wale“ bezeichnet, wie z. B. die Unternehmen „Amazon“ und „Shopee“. „Die reiferen Märkte wie die Vereinigten Staaten, China oder Europa haben ihren Sättigungspunkt erreicht. Deshalb beginnen sie, in Lateinamerika zu konkurrieren“, erklärt Etcheberry. Die internationalen Giganten verfügen über viel mehr Kapital, das sie für ihr Wachstum ausgeben können und laut der Studie haben globale Marktplätze wie „Ali“, „Amazon“ und „Shopee“ damit begonnen, einheimische Verkäufer auf ihre Plattformen zu locken, um in der Region wettbewerbsfähiger zu sein. Trotzdem seien die lokalen Akteure dabei, ihre Marktplätze zu stärken, indem sie kleine und mittlere Unternehmen in ihre Plattformen aufnehmen und die Zahl der importierten Produkte erhöhen.
Zu den führenden E-Commerce-Anbietern in der Region gehören „MercadoLibre“ und „Olx“, während traditionelle Kaufhäuser wie „Bodega Aurrera“, „Casas Bahia“, „Falabella“ und „Magazine Luiza“ im „Hyperwachstumsmodus“ sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Lateinamerika ist zu einem Schlachtfeld geworden, auf dem Global Player auf Augenhöhe mit großen lokalen Marken konkurrieren“, bekräftigt Etcheverry. „Es gibt also einen fruchtbaren Boden, auf dem ausländische und einheimische Spieler koexistieren“, fügt sie hinzu. Die Studie „Beyond Borders“ kommt zu dem Schluss, dass das Wachstum des elektronischen Handels mit der beschleunigten Einführung alternativer Zahlungsmethoden einhergeht, die eine symbiotische Beziehung eingehen. Demzufolge haben alternative Zahlungsmittel (außer Kreditkarten oder Bargeld) in Lateinamerika einen Verbreitungsgrad von dreißig Prozent, wobei Länder wie El Salvador, Argentinien und Kolumbien mit fünfundvierzig, dreiundvierzig und einundvierzig Prozent führend sind.
Die alternative Zahlungsmethode, die die „digitale Zahlungsrevolution“ in Lateinamerika anführt, ist „Pix“, das von der brasilianischen Zentralbank entwickelte Sofortzahlungssystem. Dieses Netzwerk arbeitet mit Finanzinstituten, Fintechs und Zahlungsinstituten zusammen und ermöglicht sofortige Überweisungen vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Es ist erst seit November 2020 voll funktionsfähig, aber es ist derzeit das am schnellsten wachsende Sofortzahlungssystem der Welt. Mehr als die Hälfte der brasilianischen Bevölkerung nutzt „Pix“ und es hat Kreditkarten, Debitkarten und Boletos Bancários (eine Form der Barzahlung, bei der der Nutzer in Bankfilialen, Supermärkten oder Online mit einem Dokument bezahlen kann) als beliebteste Methode der brasilianischen Nutzer überholt. Was den elektronischen Handel betrifft, so macht „Pix“ vierzig Prozent aller Online-Transaktionen in Brasilien aus und laut Juliana Etcheverry hat das Wachstum von „Pix“ die Bedeutung von Kreditkarten von sechzig auf zweiunddreißig Prozent und die von Boletos Bancários von achtundzwanzig auf einundzwanzig Prozent reduziert. Nach ihrer Ansicht hat der rasche Aufstieg von „Pix“ eine größere Auswirkung auf die gesamte Region: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Echtzeit-Zahlungen dazu beitragen werden, ein größeres Ökosystem für digitale Zahlungen in Lateinamerika zu initiieren“. Dieses Ökosystem für digitale Zahlungen umfasst digitale Geldbörsen, Buy Now Pay Later (BNPL)-Lösungen, Händlerfinanzierung, Treueprogramme, verbesserte Online-Einkaufserlebnisse und sogar grenzüberschreitende Zahlungen. Die brasilianische Zentralbank erwägt sogar, „Pix“ als lateinamerikanische Drehscheibe für grenzüberschreitende Sofortzahlungen einzuführen.
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