Die Menschheit hat seit 1970 durchschnittlich 69 Prozent aller beobachteten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien vernichtet. Das geht aus dem 14. Living Planet Report hervor, den der WWF heute in Berlin veröffentlicht hat (deutsche Zusammenfassung hier). Süßwasserarten sind mit einem durchschnittlichen Rückgang von 83 Prozent aller beobachteten Populationen am stärksten von der Artenkrise betroffen. Geographischer Hotspot des Artensterbens ist Süd- und Zentralamerika, dort sind die untersuchten Tierbestände mit durchschnittlich 94 Prozent besonders stark geschrumpft. Die Ursachen für den Artenverlust sind laut WWF allesamt menschengemacht. Vor allem die Zerstörung der Lebensräume vieler Tiere und Pflanzen, Umweltverschmutzung sowie die Klimakrise sind die Hauptgründe für die Artenkrise. Die Autor:innen vom WWF und der Zoologischen Gesellschaft London werteten für den Living Planet Report über 31.000 Bestände von über 5.230 Wirbeltierarten auf der ganzen Welt aus.
„Unsere Gesundheit, Wirtschaft, ja unsere gesamte Existenz hängt von der Natur ab. Sie ist wie ein Turm, in dem jeder Baustein eine Tier- oder Pflanzenart darstellt. Je mehr Steine aus dem Turm herausgeschlagen werden, sprich je mehr Arten aussterben, umso instabiler wird er“, sagt Christoph Heinrich, geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland. „Der Living Planet Index zeigt: Wir zerstören diesen Turm gerade mit dem Presslufthammer und verlieren sehenden Auges unsere Lebensgrundlagen. Unsere Fehler im Umgang mit der Natur werden Generationen nach uns auf ewig belasten.“ Die Chance dazu, das Artensterben zu stoppen, bietet sich auf der Weltnaturkonferenz diesen Dezember in Montreal. Dort wird ein neues globales Abkommen zum Erhalt der biologischen Vielfalt verhandelt. Ziel davon ist es, das Artensterben und den Verlust von Ökosystemen bis 2030 zu stoppen. Der WWF fordert die Bundesregierung auf, sich in Montreal für ambitionierte Ziele für unsere Natur einzusetzen und die internationale Biodiversitätsfinanzierung Deutschlands bis 2025 auf mindestens zwei Milliarden Euro im Jahr zu erhöhen.
Die „fatale Wechselwirkung“ zwischen Artensterben und Klimakrise steht erstmal im Fokus des Living Planet Reports. Bei einer globalen Erderhitzung um 1,5 Grad liegt der Anteil der Arten mit hohem Aussterberisiko durch die Klimakrise bei vier Prozent. Erhöht sich die Erhitzung auf 3 Grad, steigt dieser Anteil auf 26 Prozent. Erhöht sich die Erhitzung um 3 Grad, steigt der Anteil auf 26 Prozent. Umgekehrt heizt der fortschreitende Verlust an biologischer Vielfalt die Klimakrise weiter an. Brennende Regenwälder, aussterbende Arten und immer größere Monokulturen verringern die Kohlenstoffspeicherung der Ökosysteme. Christoph Heinrich sagt: „Wenn wir so weitermachen wie bisher, drohen wir im Kampf gegen die Klimakrise unsere beste Verbündete zu verlieren: die Natur.“
Als potenzielles Opfer der Zwillingskrise nennt der WWF zum Beispiel den afrikanischen Waldelefanten. Laut dem Living Planet Index sind die Waldelefanten-Bestände in einigen Gebieten bereits um mehr als 90 Prozent zurückgegangen. Mit fatalen Folgen: Ohne Waldelefanten verändert sich die Zusammensetzung des Waldes, sodass dieser deutlich weniger Kohlenstoff speichern kann. Gleichzeitig ist ihre Nahrungsversorgung und damit ihr Gesundheitszustand durch die Klimakrise in Gefahr, dazu kommt der große Wildereidruck.
Besoders gefährdete Tiere im Living Planet Index sind der Westliche Flachlandgorilla (Rückgang von 69 Prozent zwischen 2005 und 2019 im Nki-Nationalpark in Kamerun), der Amazonasdelfin (Rückgang um 65 Prozent zwischen 1994 und 2016 in Brasilien) sowie die Feldlerche (Rückgang von 56 Prozent zwischen 1980 bis 2019 in Europa).
Dass der Naturverlust auch gestoppt werden kann, zeigen hingegen wachsende Bestände von Seeadlern (Zuwachs von einem Revierpaar 1945 auf 57 in 2010 in Schleswig-Holstein), Tigern (Zuwachs um 91 Prozent von 2009 bis 2018 in Nepal) und der Kegelrobbe in der Ostsee (Zuwachs um 139 Prozent zwischen 2013 und 2019). Heinrich sagt: „Einzelne Erfolgsmeldungen zeigen, dass wir mit mehr Schutzgebieten, einer Umstellung der Landbewirtschaftung und nachhaltigerem Konsum den Verlust der biologischen Vielfalt noch aufhalten können. Dafür muss sich die Bundesregierung auf der Weltnaturkonferenz für ein Abkommen einsetzen, das den ökologischen Fußabdruck unserer Gesellschaften drastisch verringert, unsere Ökosysteme schützt und dabei in jedem Moment die Beteiligung und die Rechte lokaler Gemeinschaften und indigener Bevölkerungen garantiert.“
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