Eine der umstrittensten Fragen unserer Zeit ist, ob die rasante, weltweite Verbreitung digitaler Medien mitverantwortlich für einen Rückgang der Demokratie ist. Während Diskussionen über die Risiken sozialer Medien in letzter Zeit ein großes Medienecho fanden, argumentieren Technologieunternehmen, dass deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht eindeutig sind. Pauschal zu verteufeln sind digitale Medien sicherlich nicht. Allerdings können sie Polarisierung und Populismus – besonders in etablierten Demokratien – befeuern. Darauf weist eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, der Hertie School in Berlin und der University of Bristol hin.
Für die einen sind digitale Medien eine Gefahr für die Demokratie, für die anderen bedeuten sie die Chance auf mehr Partizipation für Bürger*innen. Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, der Hertie School und der University Bristol haben sich in einer Übersichtsarbeit damit beschäftigt, ob und wie sich digitale Medien auf politische Verhaltensweisen auswirken. Die empirischen Studien zeigen, dass einige Auswirkungen vorteilhaft für die Demokratie sein können. Beispielsweise können digitale Medien besseres politisches Wissen fördern und für ein vielfältigeres Nachrichtenangebot sorgen. Andere Auswirkungen können aber schädlich sein; sie können zum Beispiel Polarisierung und Populismus Vorschub leisten.
Die Bewertung von Auswirkungen wie größerer politischer Mobilisierung und abnehmendem Vertrauen in Institutionen und Medien hängt stark vom politischen Kontext ab. Was in einer aufstrebenden Demokratie förderlich ist, kann in etablierten Demokratien jedoch potenziell destabilisierend wirken. „Unsere Übersichtsarbeit bietet – angesichts der kontrovers und auch von Interessen geleiteten Debatte – den Vorteil, dass sie systematisch ist und die Ergebnisse unvoreingenommene Schlüsse zulassen,“ sagt Autor Philipp Lorenz-Spreen vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Er beschäftigt sich im Forschungsbereich Adaptive Rationalität damit, wie neue Technologien zu einer online gelebten partizipativen Demokratie beitragen können. Zwar lasse sich die Rolle der digitalen Medien für die Demokratie nicht einfach nur als ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ bewerten, doch zeigten die Ergebnisse deutlich, dass digitale Medien sehr wohl einen negativen Einfluss auf politisches Verhalten haben können, so der Autor weiter.
In ihrer Übersichtsarbeit fassen die Wissenschaftler*innen kausale und korrelative Belege aus fast 500 Artikeln über den Zusammenhang zwischen digitalen Medien und Demokratie weltweit zusammen. Sie gliedern ihre Untersuchung entlang der zehn am häufigsten untersuchten politischen Variablen: politische Beteiligung, Wissen, Vertrauen, Nachrichtenkonsum, politische Meinungsäußerung, Hass, Polarisierung, Populismus, Netzwerkstruktur und Fehlinformation. „Bei der Untersuchung komplexer politischer und gesellschaftlicher Phänomene ist es wichtig zu prüfen, ob wirklich ein ursächlicher Zusammenhang besteht“, erläutert Autorin Lisa Oswald von der Hertie School in Berlin. Deshalb konzentrierten sich die Wissenschaftler*innen auf die Artikel, die kausale Belege für den Zusammenhang zwischen digitalen Medien und Demokratie liefern. Darunter fallen Forschungsprojekte, die entweder groß angelegte Feldexperimente auf Social-Media-Plattformen durchführten oder Artikel, in denen kausale Schlussfolgerungen getroffen werden konnten, wenn zum Beispiel Daten im Zeitverlauf berücksichtigt wurden.
Die Wissenschaftler*innen können mit ihrer Arbeit auch bei umstrittenen Themen des jungen Forschungsfelds zur Klärung beitragen – beispielsweise, ob es das viel diskutierte Phänomen der „Echokammern“, also dem Eindruck online nur von Gleichgesinnten umgeben zu sein, überhaupt gibt. Die jeweiligen Studienergebnisse hängen stark davon ab, welche digitalen Medien untersucht wurden. So können bei der Nachrichtenexposition im Internet keine Echokammern festgestellt werden, innerhalb der Beziehungsnetzwerke in sozialen Medien dagegen schon.
„In unsere Arbeit gingen Studien aus aller Welt ein. So können wir zeigen, wie sich digitale Medien auf politische Systeme im globalen Kontext unterschiedlich auswirken“, so Co-Autor Ralph Hertwig, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Der positive Einfluss der digitalen Medien auf politische Partizipation und Informationskonsum waren in den aufstrebenden Demokratien in Südamerika, Afrika und Asien am stärksten ausgeprägt. Durch digitale Medien befeuertes, abnehmendes politisches Vertrauen, Populismus und Polarisierung waren in etablierten Demokratien wie in Europa und in den Vereinigten Staaten stärker zu beobachten. „Die Ergebnisse zeigen, dass die Auswirkungen von digitalen Medien weltweit von Bedeutung sind. Die Komplexität der Auswirkungen erfordert aber weitere Forschungsanstrengungen und eine stärkere Synthese“, sagt Co-Author Stephan Lewandowsky, Lehrstuhlinhaber für Kognitive Psychologie an der Universität Bristol. Doch bereits die vorhandenen Forschungsergebnisse würden klare Tendenzen aufweisen und Regierungen und Zivilgesellschaften zur Wachsamkeit aufrufen, um die Wechselwirkung zwischen digitalen Medien und Demokratie besser zu verstehen und aktiv zu gestalten.
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