Brasiliens „Seleção“ (Auswahl) hat den ersten Härtetest der „FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022“ gegen Serbien erfolgreich bestanden und träumt von der „Rumo ao Hexa“ in Katar („Hexa“ ist die griechische Vorsilbe für die Zahl sechs). Doppelpacker Richarlison war beim 2:0 (0:0)-Sieg der Held des Abends – und begeisterte die Fußball-Fans der südamerikanischen Nation vor allem mit seinem zweiten Treffer. Ausnahmekicker Neymar musste allerdings verletzt ausgewechselt werden, humpelte nach einem der zahlreichen Fouls gegen ihn mit stark geschwollenem Knöchel in die Kabine. Nach Angaben von Teamarzt Rodrigo Lasmar hat Neymar sich eine Verstauchung des rechten Sprunggelenks zugezogen, Erinnerungen an die Horror-Verletzung bei der WM 2014 wurden wach. Damals war der Kolumbianer Juan Zuniga im Viertelfinale gegen Brasilien Neymar brutal mit dem Knie in den Rücken gesprungen. Der brasilianische Superstar blieb regungslos und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen liegen. Für den Stürmer war das Turnier beendet, Brasilien musste ohne den Hoffnungsträger im Halbfinale gegen Deutschland antreten, der Rest ist Geschichte.
Obwohl Neymar inzwischen 30 Jahre alt ist, befindet er sich in der besten Form seiner Karriere und es besteht die Hoffnung, dass dies sein und Brasiliens Jahr werden könnte. Neymar begann seine Karriere beim brasilianischen Verein Santos, bevor er 2013 nach Barcelona wechselte. Seit Neymar 2009 als junger, explosiver Spieler bei Santos auf der Bildfläche erschien, wurde von ihm erwartet, dass er ein großer Star für seinen Verein und sein Land werden würde. Der Stürmer kann mit Sicherheit stolz auf seine bisherigen Erfolge sein. Er ist der teuerste Fußballer der Geschichte. Er erzielte 105 Tore in 186 Spielen für Barcelona und hat in 163 Spielen für Paris St-Germain 115 Mal getroffen. Und er ist mit 75 Toren der zweitbeste Torschütze Brasiliens, hinter Pelé. Allerdings konnte er sich bei einer Weltmeisterschaft noch nicht von seiner besten Seite zeigen. Während ihn eine Verletzung 2014 im eigenen Land eines möglichen Märchens beraubte, gehörte er vier Jahre später zu einer brasilianischen Mannschaft, die in Russland trotz der Siege gegen Costa Rica und Mexiko nicht überzeugen konnte.
Neymar ist seit 12 Jahren Teil der Nationalmannschaft, doch seine einzigen großen Erfolge mit seinem Land sind der Confederations Cup 2013 und Olympia-Gold in Rio 2016. Die Copa América 2019, die Brasilien gewann, verpasste er wegen einer Verletzung. Die jahrelange Erwartungshaltung und der begrenzte Erfolg schienen ihren Tribut zu fordern, denn im vergangenen Jahr deutete er an, dass die Weltmeisterschaft 2022 seine letzte sein würde. „Ich sehe sie als meine letzte an, weil ich nicht weiß, ob ich noch die Kraft habe, mich mit Fußball zu beschäftigen“, sagte er in der DAZN-Dokumentation. „Ich werde alles tun, um gut abzuschneiden, alles zu tun, um mit meinem Land zu gewinnen, um meinen größten Traum zu verwirklichen, seit ich klein war. Und ich hoffe, ich kann es schaffen.“
Neymars Statistiken sind umso beeindruckender, als er in seiner Karriere immer wieder längere Zeit verletzungsbedingt ausfiel. Im Januar dieses Jahres hatte er seit seinem Wechsel zu PSG im Jahr 2017 fast 100 Spiele verpasst, während eine angeblich frostige Beziehung zu seinem Teamkollegen Kylian Mbappe dazu führte, dass die französische Mannschaft im Sommer bereit schien, die Verbindung zu Neymar zu kappen und er mit einem Wechsel zu einem anderen Verein in Verbindung gebracht wurde. Neymar hatte die PSG-Hierarchie schon einmal enttäuscht, als er zu Beginn der Vorsaison zu spät kam, doch in diesem Sommer beendete er seinen Urlaub vorzeitig, um mit den Vorbereitungen für die neue Saison zu beginnen. Das Ergebnis dieser Konzentration und Hingabe sind 11 Tore und neun Vorlagen in 14 Ligue-1-Spielen. Er ist reifer geworden, aber es geht um mehr als das. Er hat etwas zu beweisen. Brasiliens Trainer Tite ist mit der Form von Neymar bei der Weltmeisterschaft sehr zufrieden: „Er fliegt. Das ist das Ergebnis der ganzen Vorbereitung, die er absolviert hat.“
Neymar hofft nicht nur, Brasilien zu einem rekordverdächtigen sechsten WM-Titel zu führen, sondern steht auch an der Schwelle zur Geschichte. Ihm fehlen nur noch drei Tore, um Pelé zu übertreffen, der mit 77 von der Fifa registrierten Toren Brasiliens Rekordtorschütze ist. Neymar ist fest entschlossen, dieses Ziel zu erreichen, wie er letzten Monat dem französischen Fußballsender „Telefoot“ sagte: „Ich hoffe, dass ich ihn überholen kann. Ich werde mit meinen Mannschaftskameraden darüber sprechen und ihnen sagen, dass sie mir helfen sollen, ein Tor zu erzielen, damit ich es endlich schaffe. Was Neymar auch helfen könnte, ist, dass anders als 2014 und 2018 die Hoffnungen einer ganzen Nation nicht nur auf seinen Schultern ruhen. Brasilien setzt bei der Weltmeisterschaft in Katar vor allem auf die Offensive und hat neun Stürmer in den Kader berufen. „Brasilien ist nicht von Neymar abhängig, vor allem nicht in diesem Jahr, denn es gibt mehrere Spieler wie Vinicius Junior, Rodrygo, Richarlison und Lucas Paqueta“, betonte Cafu, der Kapitän des letzten Weltmeisters von 2002. „Diese Spieler sind alleine in der Lage, den Pokal für Brasilien zu gewinnen und dieses Jahr ist die Mannschaft ganz anders. Vor vier Jahren war es nur Neymar“.
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