Die größere Vielfalt bei Drogenangebot und Konsum stellt die Drogenpolitik und das Gesundheitswesen in Europa vor neue Herausforderungen. Dies ist eines der Themen, die die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) bei der Vorstellung ihres Europäischen Drogenberichts 2023: Trends und Entwicklungen in Brüssel hervorhebt. Der Bericht gibt einen aktuellen Überblick über die Drogensituation in Europa und untersucht die wichtigsten Trends und aufkommenden Bedrohungen. Die Verfügbarkeit ist bei allen Drogen nach wie vor hoch, und der Umfang und die Komplexität der illegalen Drogenproduktion in Europa nehmen weiter zu. Menschen, die Drogen konsumieren, sind heute einer breiteren Palette psychoaktiver Substanzen ausgesetzt, die oft eine hohe Potenz und Reinheit aufweisen. Da diese in Form von ähnlich aussehenden Pulvern oder Pillen verkauft werden können, wissen die Konsumierenden möglicherweise nicht, was sie einnehmen. Der Bericht unterstreicht die Notwendigkeit wirksamer Risikokommunikationsstrategien, um die Konsumierenden auf die gesundheitlichen Schäden im Zusammenhang mit neuen Substanzen, Drogenwechselwirkungen und hochpotenten Produkten hinzuweisen. Die Analyse deckt ein breites Spektrum an illegalen Drogen ab, von Opioiden und Stimulanzien bis hin zu neuen Cannabisprodukten und dissoziativen Drogen (z. B. Ketamin). Darüber hinaus bietet sie einen aktuellen Überblick über neue psychoaktive Substanzen (NPS), die weiterhin eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit in Europa darstellen.
Allein im Jahr 2022 wurden dem Frühwarnsystem der EU (EWS) 41 neue Substanzen gemeldet, sodass die EMCDDA nun insgesamt 930 neue Drogen beobachtet. Ylva Johannson, die EU-Innenkommissarin, erklärt: „Die organisierte Drogenkriminalität stellt eine große Bedrohung für die Gesellschaft dar, und ich bin zutiefst besorgt darüber, dass die heute in Europa konsumierten Substanzen möglicherweise noch gesundheitsschädlicher sind als in der Vergangenheit. Der Europäische Drogenbericht 2023 beschreibt, wie die Mitgliedstaaten Rekordmengen an illegalen Drogen beschlagnahmen. Bei meinen jüngsten Besuchen in europäischen Seehäfen und in Lateinamerika wurde es deutlich, dass Drogenhändler nach wie vor die Lieferketten infiltrieren, Arbeiter:innen ausbeuten und die Gemeinden durch Gewalt und Korruption stark belasten. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die EU bei der weltweiten Bekämpfung des Drogenhandels mit Drittländern zusammenarbeitet. Ebenso ist es an der Zeit, dass die EMCDDA nun ein stärkeres Mandat und einen stärkeren internationalen Aufgabenbereich erhält, um mit diesem fortschreitenden Drogenproblem Schritt zu halten“. Der Bericht unterstreicht den Bedarf an verbesserten forensischen und toxikologischen Daten, um die Bedrohung durch neue und starke synthetische Substanzen, Drogenmischungen, gepanschte Substanzen, sich verändernde Drogenmärkte und Konsummuster besser zu verstehen. Im Rahmen ihres neuen 2024 in Kraft tretenden Mandats wird die Agentur ein europäisches Netz der forensischen und toxikologischen Laboratorien einrichten, um die Kapazitäten in diesem Bereich zu stärken.
Alexis Goosdeel, Direktor der EMCDDA, erklärt hierzu: „Der diesjährige Bericht führt uns eindringlich vor Augen, dass überall in unserer Gesellschaft Probleme mit illegalen Drogen zu finden sind. Ich fasse dies mit dem Satz zusammen: Überall, alles und jeder. Etablierte illegale Drogen sind jetzt weithin zugänglich, und es kommen immer wieder neue potente Substanzen auf den Markt. Fast alles, was psychoaktive Eigenschaften hat, kann auf dem Drogenmarkt auftauchen, oft mit falscher Kennzeichnung oder in Mischungen. Aus diesem Grund kann jeder und jede von illegalen Drogen betroffen sein, sei es direkt durch den Konsum oder indirekt durch ihre Auswirkungen auf Familien, Gemeinden, Institutionen und Unternehmen. Außerdem werden unsere Bürgerinnen und Bürger durch diese Drogen zunehmend drogenbedingter Gewalt und deren Folgen ausgesetzt. Heute befassen wir uns mit den Herausforderungen, die Stimulanzien, synthetische Drogen und neue Cannabisprodukte mit sich bringen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die forensischen und toxikologischen Tests verstärken, um neue Bedrohungen besser zu erkennen und die öffentliche Gesundheit zu schützen. Wir müssen auch mehr in die Hilfsangebote investieren, die heute auf vielfältigere und komplexere Bedürfnisse reagieren müssen“.
Neue Entwicklungen in der Cannabispolitik auf einem komplexen Markt
Das Umfeld der Cannabispolitik in Europa wird allmählich ausgeweitet und umfasst nun nicht nur die Kontrolle von illegalem Cannabis, sondern auch die Regulierung von Cannabis und Cannabinoiden für therapeutische und andere Zwecke (z. B. Kosmetik, Lebensmittel). Bislang haben fünf EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Luxemburg, Malta, die Niederlande und die Tschechische Republik) sowie die Schweiz neue Konzepte zur Regulierung des Angebots von Cannabis für den Freizeitkonsum eingeführt bzw. planen dies. Diese in dem Bericht dargelegten Änderungen machen deutlich, dass in die Überwachung und Bewertung investiert werden muss, um Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und Sicherheit vollständig zu verstehen (3). Cannabis ist nach wie vor die am häufigsten verbreitete illegale Droge in Europa. Schätzungen zufolge haben etwa 8 % (22,6 Millionen) der europäischen Erwachsenen (15–64 Jahre) im letzten Jahr Cannabis konsumiert. Im Jahr 2021 erreichten die in der EU beschlagnahmten Mengen an Cannabisharz (816 Tonnen) und Cannabiskraut (256 Tonnen) den höchsten Stand seit einem Jahrzehnt, was auf eine hohe Verfügbarkeit dieser Droge schließen lässt. In Europa begaben sich im Jahr 2021 schätzungsweise 97 000 Patientinnen und Patienten wegen Problemen im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum in eine Form der Drogenbehandlung. Neue Cannabisprodukte stellen eine Herausforderung für die öffentliche Gesundheit dar. Einige Produkte, die auf dem illegalen Markt als natürliches Cannabis verkauft werden, können mit starken synthetischen Cannabinoiden gepanscht sein, was die Gefahr einer Vergiftung birgt. Hochwirksame Extrakte und Edibles wurden in den Notaufnahmen der Krankenhäuser mit akuten Vergiftungen in Verbindung gebracht. Im Jahr 2022 wurde mit Hexahydrocannabinol (HHC) das erste halbsynthetische Cannabinoid in der EU gemeldet. Es wurde in zwei Dritteln der Mitgliedstaaten festgestellt und wird in einigen EU-Ländern als „legale“ Alternative zu Cannabis verkauft (4). Seit Oktober 2022 wird HHC im Rahmen des EU-Frühwarnsystems (EWS) intensiv überwacht, um die potenziellen Risiken für Europa besser zu verstehen.
Rekordbeschlagnahmungen von Kokain und wachsende Besorgnis über den Konsum synthetischer Stimulanzien
Der Handel mit großen Mengen Kokain in handelsüblichen Containern über europäische Seehäfen ist der Grund für die hohe Verfügbarkeit dieser Droge. Es wird befürchtet, dass diese Situation zu erhöhtem Kokainkonsum, Gesundheitsschäden und Drogenkriminalität beitragen könnte. Im Jahr 2021 wurde in den EU-Mitgliedstaaten die Rekordmenge von 303 Tonnen Kokain beschlagnahmt. Auf Belgien (96 Tonnen), die Niederlande (72 Tonnen) und Spanien (49 Tonnen) entfielen zusammen 75 % der sichergestellten Gesamtmenge. Vorläufige Daten für 2022 zeigen, dass die Menge des in Antwerpen, dem zweitgrößten Seehafen Europas, beschlagnahmten Kokains von 91 Tonnen im Jahr 2021 auf 110 Tonnen gestiegen ist. Es gibt Hinweise darauf, dass die organisierte Kriminalität zunehmend auch kleinere Häfen in anderen EU-Ländern sowie in den an die EU angrenzenden Ländern ins Visier nimmt. Die illegale Kokainherstellung in der EU gewinnt immer mehr an Bedeutung. 2021 wurden 34 Kokainlaboratorien ausgehoben (23 im Jahr 2020), von denen einige in großem Maßstab betrieben wurden. Kokain ist in Europa die am häufigsten konsumierte illegale Stimulanzdroge, die im letzten Jahr von etwa 1,3 % (3,7 Millionen) der europäischen Erwachsenen (15–64 Jahre) konsumiert wurde. Es war im Jahr 2021 die häufigste Substanz im Zusammenhang mit akuten Vergiftungen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser und wurde in 27 % der Fälle genannt. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass der injizierende Kokainkonsum und der Crack-Konsum in einigen Ländern in Randgruppen zunehmen, so dass die Maßnahmen zur Schadensbegrenzung ausgeweitet werden müssen. Im Jahr 2021 haben schätzungsweise 7 500 Personen eine Behandlung in Zusammenhang mit Crack begonnen.
Die größere Vielfalt an synthetischen Stimulanzien, die jetzt auf dem illegalen Markt erhältlich sind, erhöht die Risiken für die öffentliche Gesundheit. In der Vergangenheit war Amphetamin das am häufigsten verwendete synthetische Stimulans in Europa. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass sowohl Methamphetamin als auch synthetische Cathinone heute stärker als in der Vergangenheit zu den Gesamtproblemen Europas im Zusammenhang mit Stimulanzien beitragen. In dem Bericht heißt es auch, dass Stimulanzien jetzt häufiger injiziert werden, manchmal in Kombination mit Heroin oder anderen Opioiden. Das Verständnis der Schäden, die mit den sich ändernden Mustern des injizierenden Drogenkonsums verbunden sind, ist der Schlüssel zur Entwicklung von Maßnahmen, die die mit diesem Verhalten verbundenen Schäden verringern.
Potenzielle Gesundheitsrisiken durch weniger bekannte Stoffe
Ketamin, das in der Medizin als Narkosemittel und Schmerzmittel verwendet wird, hat sich in einigen Bereichen als Freizeitdroge etabliert. Es wird häufig geschnupft und manchmal auch anderen Drogenmischungen, einschließlich MDMA-Pulvern und -Tabletten, beigemischt. Bei Langzeitkonsumenten von Ketamin können gesundheitliche Probleme auftreten (z. B. Blasenschäden). Der zunehmende Freizeitkonsum von Distickstoffoxid (Lachgas) in einigen Teilen Europas gibt Anlass zu gesundheitlichen Bedenken. In einer kürzlich durchgeführten EMCDDA-Studie (5) wurde auf die mit der Droge verbundenen Risiken hingewiesen, die nun offenbar leichter zugänglich, billiger und bei einigen jungen Menschen beliebt ist. Diese Risiken können Vergiftungen, Verbrennungen und Lungenverletzungen sowie in einigen Fällen bei längerem Gebrauch auch Nervenschäden umfassen. Es spricht viel dafür, dass sich die Angebote für Drogenprävention und Schadensbegrenzung in ihrer Arbeit mit dieser Substanz befassen. Die Vorschriften für den Verkauf und die Verwendung dieser Substanz sind von Land zu Land unterschiedlich.
Der aktuelle Bericht geht auch auf das wachsende Interesse am therapeutischen Potenzial psychedelischer Drogen ein. Zwar gibt es vielversprechende Forschungsergebnisse über das Potenzial dieser Substanzen zur Behandlung verschiedener psychischer Erkrankungen, doch wird in dem Bericht auf die Gefahr hingewiesen, dass in der EU und anderswo unkontrollierte Programme betrieben werden. Das wachsende Interesse an diesem Thema könnte zu einem verstärkten experimentellen Konsum dieser Substanzen ohne medizinische Unterstützung führen, wodurch vulnerable Personen in Gefahr geraten könnten.
Europas Opioidprobleme entwickeln sich weiter
Heroin ist nach wie vor das am häufigsten konsumierte illegale Opioid in Europa, aber in einigen Regionen wächst auch die Besorgnis über den Konsum synthetischer Opioide. Viele synthetische Opioide sind hochwirksam und bergen die Gefahr von Vergiftungen und Tod. Es werden nur geringe Mengen benötigt, um Tausende von Dosen herzustellen, was sie zu einer potenziell lukrativeren Substanz für organisierte kriminelle Banden macht. Auf dem europäischen Drogenmarkt tauchen immer wieder neue unkontrollierte synthetische Opioide auf; seit 2009 wurden insgesamt 74 davon identifiziert. In den letzten Jahren handelte es sich bei den meisten der neu identifizierten Opioide, die dem EWS gemeldet wurden, um hochwirksame Benzimidazol- (Nitazen-)Opioide. Im Vergleich zu Nordamerika spielen neue synthetische Opioide (z. B. Fentanyl-Derivate und Nitazene) derzeit auf dem europäischen Drogenmarkt insgesamt eine relativ geringe Rolle, obwohl sie in einigen Ländern ein großes Problem darstellen.
Neue synthetische Opioide (einschließlich Benzimidazole und Fentanyl-Derivate) wurden in den baltischen Ländern mit einem Anstieg der Todesfälle durch Überdosierung in Verbindung gebracht. In Estland wurden neue synthetische Opioide in Mischungen gefunden, die ein Benzodiazepin und das Beruhigungsmittel Xylazin für Tiere enthalten. Diese Kombinationen, die als „Benzo-Dope“ bzw. „Tranq-Dope“ bekannt sind, wurden in Nordamerika mit Todesfällen durch Überdosierung in Verbindung gebracht. In dem Bericht heißt es: „… auch wenn die Probleme in diesem Bereich derzeit relativ begrenzt sind, stellt diese Gruppe von Substanzen eine Bedrohung dar, die sich in Zukunft stärker auf die Gesundheit und die Sicherheit in Europa auswirken kann.“ Die Verfügbarkeit von Heroin scheint derzeit weiterhin hoch zu sein. Die von den EU-Mitgliedstaaten beschlagnahmte Menge an Heroin hat sich im Jahr 2021 mit 9,5 Tonnen mehr als verdoppelt, während in der Türkei eine Rekordmenge von 22,2 Tonnen beschlagnahmt wurde. Fast das gesamte in Europa konsumierte Heroin stammt aus Afghanistan, wo die Taliban im April 2022 ein Verbot des Anbaus von Schlafmohn verkündet haben. Es ist zwar noch zu früh, um zu sagen, wie sich das Verbot auf den europäischen Heroinmarkt auswirken wird, aber es wird befürchtet, dass eine Verknappung der Droge mit einem Anstieg des Angebots an und der Nachfrage nach synthetischen Opioiden einhergehen könnte.
Der Vorsitzende des Verwaltungsrats der EMCDDA, Franz Pietsch, bemerkt abschließend: „Der heute vorgelegte Bericht ist eine wichtige Quelle, um einen strategischen Einblick in die europäische Drogensituation und ihre Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und Sicherheit zu gewinnen. Die Veröffentlichung des Berichts erfolgt zu einem entscheidenden Zeitpunkt, da sich die EMCDDA auf ein neues Mandat und eine neue Zukunft vorbereitet. Wir freuen uns auf die Umsetzung dieser vielversprechenden neuen Aufgabe, mit der die Agentur ihre Monitoringkapazitäten ausbauen, die EU besser auf Herausforderungen vorbereiten und zur Entwicklung von Kompetenzen für bessere Maßnahmen im Drogenbereich beitragen wird.“
Leider kein Kommentar vorhanden!