Um greifbare Lösungen für den Schutz der Ozeane zu finden, sollten wir den Menschen zuhören, die am meisten von den aktuellen Problemen der Ozeane betroffen sind: den Menschen in den Tropen. Das sagen 25 Autoren eines Kommentars, der in der Fachzeitschrift Ocean Sustainability veröffentlicht und vom Smithsonian Tropical Research Institute (STRI) in Panama initiiert wurde. An der Publikation beteiligt war auch Estradivari, eine indonesische Meereswissenschaftlerin am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen. Die Autoren kommen aus allen Regionen der Tropen und vertreten verschiedenste Fachdisziplinen. In der Publikation erörtern sie, wie die dringendsten Probleme der Ozeane, insbesondere in den globalen Tropen, angegangen werden können. Der Fokus auf die Tropen ergab sich aus der Our Ocean Conference, die im März 2023 in Panama stattfand. Statt sich jedoch ausschließlich auf praktische Aspekte des Meeresschutzes zu konzentrieren, thematisiert der Artikel grundlegendere Probleme wie eine gerechtere und effektivere Gestaltung von Meerespolitik und -wissenschaft.
Um Lösungen für die Probleme der Ozeane zu schaffen, argumentieren die Autoren, dass zunächst vier wichtige Maßnahmen ergriffen werden müssten, die auf Perspektiven, Erfahrungen und Wissen aus den Tropen beruhen. Dazu zählen Gleichberechtigung in der Ozeanforschung und -verwaltung, die Menschen und den Ozean wieder miteinander verbinden, Neudefinition der Meereskompetenz und Entkolonialisierung der Meeresforschung. Diese Maßnahmen seien von entscheidender Bedeutung, um der tropischen Bevölkerung eine führende Rolle beim Erhalt prosperierender Küstengemeinschaften und gesunder Meeresökosysteme zu sichern. „Der Grundtenor ist, dass systemische Veränderungen in Bezug auf Ungerechtigkeit und Zugang wichtig sind“, sagt die Erstautorin Ana Spalding vom STRI. „Wir haben auch die eher technisch-wissenschaftliche Seite der Dinge einbezogen, aber darüber wurde schon viel geschrieben und gesprochen.“
Die Publikation mache deutlich, so Ana Spalding weiter, dass das Problem nicht nur in den Veränderungen der natürlichen Ökosysteme, der Fische und Mangroven liege, sondern auch in den unverhältnismäßigen Auswirkungen, die diese Veränderungen auf bestimmte Bevölkerungsgruppen haben, insbesondere in den Tropen. „Wir werden keine Veränderungen in der Natur sehen, solange wir keinen Wandel in der Art und Weise sehen, wie die Menschen in diesen Regionen teilnehmen, sich engagieren, sich mit den Problemen verbunden und für diese Veränderungen verantwortlich fühlen.“ Wie die Autoren hervorheben, beherbergen die Tropen den größten Teil der weltweiten Meeresbiodiversität. Die meisten Menschen, die direkt vom Meer abhängig sind, leben in tropischen Regionen. Dennoch werde die Agenda für ein Management der Ozeane weitgehend auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Finanzmitteln und Institutionen aus Ländern mit hohem Einkommen in den gemäßigten Zonen festgelegt. Politische Entscheidungen würden unverhältnismäßig häufig von Entscheidungsträgern außerhalb der tropischen Regionen getroffen, deren Interessen würden bewusst oder unbewusst die Gespräche bestimmen.
„Diese von außen gesteuerten Ansätze untergraben die Gerechtigkeit und Wirksamkeit der derzeitigen Lösungen und behindern die Selbstverantwortung und mögliche künftige Führungsrolle der Tropen, die gut positioniert sind, um evidenzbasierte Lösungen für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Ozeane zu entwickeln“, so Co-Autorin Estradivari vom ZMT. „Die Stimme der tropischen Mehrheit in der Ozeanforschung und -verwaltung zu stärken, ist der Schlüssel, um sicherzustellen, dass bei Entscheidungen, die die Tropen betreffen, die Perspektiven der wichtigsten Akteure aus den Tropen berücksichtigt werden“, erklärt Mitautorin Josheena Naggea vom Center for Ocean Solutions der Stanford University in den USA.
„Die derzeitigen für wissenschaftliche Führung Verantwortlichen müssen erkennen, dass die Forschenden in den Tropen lange Zeit ignoriert oder an den Rand gedrängt wurden und dass wir dennoch wichtiges Wissen produzieren, und zwar oft auf viel gerechtere Weise“, ergänzt der Co-Autor Andrés Cisneros-Montemayor von der Simon Fraser University in Kanada. Das ZMT unterstreicht die Bedeutung derartiger Denkanstöße. Das Institut verfolgt seit seiner Gründung 1991 den Ansatz von Partnerschaften „auf Augenhöhe“ in den Tropen, die in den „Bremer Kriterien“ verankert sind. „Sowohl der neue Vertrag zum internationalen Meeresnaturschutz als auch die Perspektive einer „Blue Economy“ erfordern Forschungsarbeiten zu indigenem und lokalem Wissen, zu Solidarität und Fairness. Das ist kein schmückendes Beiwerk, sondern integraler Bestandteil der Arbeiten am ZMT“, so der wissenschaftliche Direktor des ZMT, Prof. Dr. Raimund Bleischwitz.
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