Einst zählte Venezuela nicht nur in Südamerika als wohlhabendes Land. Doch seit Jahren steckt der Staat in einer tiefen Wirtschaftskrise, 80 Prozent der Bevölkerung gelten als arm. Zudem wirken hinter einer demokratischen Fassade repressive Herrschaftsmethoden. Vor diesem Hintergrund hat laut Auswärtigem Amt in den vergangenen zehn Jahren ein Viertel der Bevölkerung das Land verlassen. Zu ihnen zählt auch die Literaturwissenschaftlerin und Historikerin Dr. Laura Febres de Ayala, die nun im dritten Jahr an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) ihre Forschung fortsetzen kann. Gefördert wird sie dabei von Beginn an durch die Philipp-Schwartz-Initiative für gefährdete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Alexander von Humboldt-Stiftung sowie vom Freistaat Bayern.
Als renommierte Expertin für lateinamerikanische Literatur und Geschichte beschäftigte sie sich schon in Venezuela auch mit feministischen Veröffentlichungen und Literatur rund um Migration. „Es ist unmöglich unpolitisch zu sein in der Literatur. Und ich habe immer gesagt, was ich denke“, schildert Febres. Doch solche Themen seien von Seiten der Regierung unerwünscht – auch um sich dezidiert von der sogenannten westlichen Weltordnung zu distanzieren. Forschung und Lehre sind einem „regierungsamtlichen Anpassungsgebot“ unterworfen, wie es in einer Analyse zur Lage der Wissenschaft in Venezuela heißt. „Vielfalt ist nur ein Lippenbekenntnis, es herrscht eine Stimmung der Exklusion“, so Febres.
Doch nicht nur die massive Einschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre waren für sie Anlass, ihre Heimat zu verlassen, sondern auch die alltäglichen Rahmenbedingungen eines Landes, in dem fast die Hälfte der Bevölkerung arbeitslos ist und geschätzt ein Drittel der Kleinkinder an Unterernährung leidet. Schwarzmarkt, Schmuggel und Kriminalität sind an der Tagesordnung. Die 70-Jährige berichtet: „Auf meinem täglich vier Stunden langen Weg zur Universidad Metropolitana in Caracas wusste ich nicht, ob ich von einem Dieb ausgeraubt werde, wie es mehreren meiner Studierenden und Kolleginnen und Kollegen widerfahren ist. Häufig waren Schüsse zu hören.“ Die prekäre wirtschaftliche Lage führt nicht nur dazu, dass Bibliotheken geschlossen bleiben, sondern auch die private Existenz bedroht ist. Laura Febres weiß etwa von einem Professor, der an Hunger starb.
Nachdem sie zunächst als Gastwissenschaftlerin am Institut für Lateinamerikastudien der spanischen Universität Alcalá tätig war, suchte sie den Kontakt zum Zentralinstitut für Lateinamerikastudien (ZILAS) der KU. Dessen Direktorin Prof. Dr. Miriam Lay Brander, Lehrstuhlinhaberin für Romanische Literaturwissenschaften, stimmte umgehend zu, als Mentorin für Febres im Rahmen einer Philipp-Schwartz-Fellowship zu fungieren. „Ich profitiere selbst von ihren langjährigen Erfahrungen aus einem anderen akademischen Umfeld, auch methodologisch“, erzählt Professorin Lay Brander. Sie lobt die große Unterstützung, die der Antrag sowohl durch das International Office, das Zentrum für Forschungsförderung und die Personalverwaltung der KU als auch durch die Behörden erfahren habe. „Die Philipp-Schwartz-Initiative ist eine große Chance für Forschende, einen Ausweg aus schwierigen Umständen in ihren Herkunftsländern zu finden“, so Lay Brander.
Dr. Laura Febres wiederum ist dankbar für die Möglichkeit, sich frei bewegen und frei denken zu können. „Ich empfinde dies als besonderes Privileg!“ Sie beschäftigt sich literaturwissenschaftlich mit einem Komplex, der ihren persönlichen Hintergrund aufgreift: Febres analysiert Romane von Frauen aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die selbst aus Lateinamerika oder Spanien in andere europäische Länder migriert sind. Dabei schwingt auch ihr historisches Interesse mit, denn Geschichte entstehe auch aus der Gesamtschau individueller Erfahrungen. Das verbindende Element der von ihr nach bestimmten Kriterien ausgewählten Romane besteht im Schreiben als Selbsthilfe, um die eigene Migrationsgeschichte zu verarbeiten. Dies lässt sich zum Teil indirekt aus den Texten ableiten, manches Werk spielt wiederum mit einer Meta-Fiktion und lässt die Lesenden am Prozess des Schreibens teilhaben. Viele der Autorinnen mischen ihre persönlichen Erfahrungen mit fiktionalen Elementen und reflektieren ihre eigene Migrationserfahrung.
„Manche von ihnen sind in ihrer Heimat – wie etwa Uruguay, Kuba oder Mexiko – bereits journalistisch tätig gewesen, manche haben erst nach ihrer Ankunft in Europa mit dem Schreiben begonnen“, so Febres. Durch ihre Analyse will sie ein Panorama des spanischsprachigen, weiblichen Migrationsromans entwickeln und das kulturelle Erbe umschreiben, welches in den Werken geschildert wird. Zudem möchte sie untersuchen, wie der Schreibprozess dem Leben von Migrantinnen Sinn verleiht und sie ermächtigt. Febres betritt mit dieser systematischen Untersuchung Neuland, denn bislang haben Literatur- und Sozialwissenschaft nur fragmentarisch die Stimmen von Frauen in Emigrationsromanen des 20. und 21. Jahrhunderts analysiert. Ihre ersten Ergebnisse zeigen, dass der Großteil des Genres im 21. Jahrhundert veröffentlicht wurde. Zudem prangern nahezu alle untersuchten Werke den Machismo in den jeweiligen Heimatländern an. Auch das Ringen um eigene Traditionen nach der Ankunft in Europa und die Bedeutung von Familie spielen zentrale Rollen in den Werken.
Im Hinblick auf ihr Heimatland sagt Dr. Laura Febres: „Mein Land wird einen Weg vorwärts finden, auch wenn sich die Lösung derzeit gut zwischen dem Hunger, der Korruption und der Gewalt versteckt, unter denen die Venezolaner täglich leiden.“
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