In Weimar wurde heute die wichtigste Auszeichnung der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Die Goethe-Medaille 2024 ging an drei Frauen — an die literarische Übersetzerin und Dolmetscherin Claudia Cabrera aus Mexiko, an die Kunstwissenschaftlerin und Kulturmanagerin Iskra Geshoska aus Nordmazedonien und an Carmen Romero Quero, die Gründerin und Leiterin des chilenischen Theaterfestivals „Teatro a Mil“. Beim offiziellen Festakt würdigte die Präsidentin des Goethe-Instituts Carola Lentz das Engagement der Preisträgerinnen, deren Kulturarbeit Vielstimmigkeit fördert, widerständige Netzwerke schafft und Brücken baut. Carola Lentz hob in ihrer Rede beim Festakt zur Verleihung der Goethe-Medaille hervor: „Ich freue mich sehr, dass wir heute drei starken Frauen die Goethe-Medaille für ihre Verdienste um die deutsche Sprache und um den internationalen Kulturaustausch verleihen. Alle drei wirken mit leisen Tönen, aber auch mit durchaus lauter Einmischung in ihren eigenen Gesellschaften und weit darüber hinaus. Mit ihrer Kulturarbeit nähren sie die Hoffnung auf eine bessere Welt, auf ein friedliches, tolerantes und kreatives Miteinander in einer herausfordernden Zeit. Gerade angesichts der beklemmenden politischen Krisen und gesellschaftlichen Spaltungen ist ihre Arbeit überlebensnotwendig. Sie schaffen Schutzräume und widerständige Netzwerke, ermöglichen Utopien des freien Miteinanders und der Grenzüberschreitung und vermitteln Mut und Kraft durch die Schönheit der Kunst.“
Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Katja Keul sagte aus diesem Anlass: „Für uns im Auswärtigen Amt ist eine moderne Auswärtige Kultur- und Gesellschaftspolitik ein wesentliches Instrument, weil sie Vertrauen schafft und internationale Beziehungen stärkt und das nicht nur zwischen den Regierungen, sondern auch zwischen den Menschen und Gesellschaften. Sie stärkt freiheitliche Werte und demokratische Teilhabe dadurch, dass sie Brücken baut: Brücken, die Zugänge eröffnen und Verbindungen gerade dort schaffen, wo Dialog sonst kaum noch möglich ist. Wir brauchen diesen Dialog dringend. Kultur ist immer auch hochpolitisch, denn wenn wir die Freiheit von Kultur und Medien fördern, dann stärken wir Frieden und Freiheit.“ Der Thüringische Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten Benjamin-Immanuel Hoff und der Oberbürgermeister der Stadt Weimar Peter Kleine sprachen ebenfalls Grußworte zum Festakt. Ein musikalischer Höhepunkt des Festakts war die Uraufführung der Komposition „Melos“ für Flöte und Elektronik von Aaron Dan, für die der UNESCO-Lehrstuhl Transcultural Music Studies an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar verantwortlich zeichnete.
Die Laudationes auf die Preisträgerinnen hielten die Schriftstellerin Olga Grjasnowa, der Philosoph Boris Buden und die Theaterproduzentin und -intendantin Amelie Deuflhard. Olga Grjasnowa wies auf die Vielschichtigkeit der Arbeit von Claudia Cabrera hin: „Der Beruf der Literaturübersetzerin ist ein leiser, bescheidener und leider viel zu oft ein unsichtbarer. Umso mehr Achtung gebührt dieser Berufswahl, bei der es weder um das eigene Ego noch den Ruhm geht, sondern einzig um die Liebe zur Sprache und Literatur. Dabei ist es auch ein Beruf, der ein außerordentliches Können abverlangt, nicht nur die Kenntnis beider Sprachen, beider Kulturen, Länder, sondern auch noch die magische Fähigkeit ein literarisches Werk mit all seinen Eigenheiten in eine andere Sprache und einem anderen Kulturraum nachzudichten und dabei dem Originaltext möglichst treu zu bleiben. Dabei ist es wichtig, nicht nur den neuesten Änderungen in der Kultur und der Sprache zu folgen, sondern auch in der Literatur, in der deutschen, mexikanischen und der internationalen.“
Claudia Cabrera betonte in ihrer Dankesrede, sie versuche „jeden Tag die Entfernung zwischen Deutschland und Mexiko zu verringern und die ,Fremdheiten‘ anzunähern. Das mache ich nicht nur, indem ich Bücher übersetze, sondern auch kulturelle Zusammenhänge übersetze. ,Über-Setzen‘, das schöne deutsche Wort für ,von einem Ufer zum anderen gelangen‘: für mich bedeutet das seit knapp 30 Jahren, den ,Sprachozean‘ zwischen Mexiko und Deutschland tagtäglich mehrmals zu überqueren, mit jedem einzelnen der vielen, vielen Worte und Gedanken, die ich von Deutschland nach Mexiko übersetze.“
Boris Buden ehrte Iskra Geshoska, indem er auf die hohen Hürden für unabhängige Kulturarbeit hinwies, die die Preisträgerin in Nordmazedonien zu nehmen weiß: „Wie macht man Kunst in einer sich ständig auflösenden Kultursphäre? Was ist ihre Rolle in einer Gesellschaft, die nur noch in ihren Zerfallserscheinungen existiert? Wo findet man Geld für Bücher, Konzerte, Veranstaltungen, Konferenzen, wenn die Volkswirtschaft eines Landes weit mehr dessen Abgrund als dessen Fundament ähnelt? Und schließlich, wie bewahrt man dabei seine moralische und intellektuelle Integrität? (…) Iskra aber hat es geschafft, auch dann noch aufrecht zu gehen, als ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.“ Iskra Geshoska erklärte in ihren Dankesworten: „Ich glaube an die Politik des Teilens und Sorgens in einer organischen Gemeinschaft, die durch kritische Selbstbetrachtung Räume der ständigen Emanzipation eröffnet. Gesellschaftliche Dynamiken können nur dann förderlich und offen sein, wenn sie einen freien Austausch zwischen couragierten Individuen erlauben, denen es gelingt, sich über den gemeinsamen Aufbau solider und lebendiger Plattformen der Solidarität ihre Autonomie zu bewahren.“
Amelie Deuflhard zog den Hut vor Carmen Romero Quero: „Respekt, liebe Carmen, für dein bahnbrechendes Schaffen, deine Kunstkenntnis und deinen niemals nachlassenden Entdecker*innengeist. Deinen Glamour, deine Energie, scheinbar Unmögliches möglich zu machen. Für deine vielen Stadtprojekte, die Theater zu den Menschen bringen und neue Zugänge für Viele zum Theater schaffen! Liebe Carmen, du bist eine der Personen – viele sind es nicht – die das internationale Theater geprägt haben und bis heute prägen.“ Carmen Romero Quero dankte den Partnerinstitutionen aus Deutschland: „Wenn es ein Land gibt, das mit unserer Vision von der grundlegenden Bedeutung der darstellenden Künste für das Leben eines Landes und seiner Bürger übereinstimmt, dann Deutschland. Seinen Kultureinrichtungen, insbesondere dem Goethe-Institut, sind wir zu Dank verpflichtet, dass sie unsere Künstler aus Chile und Lateinamerika in den finsteren Zeiten der Diktatur und in all diesen Jahren des demokratischen Wiederaufbaus begleitet und aufgenommen haben.“
Die Goethe-Medaille
Seit 1955 verleiht das Goethe-Institut einmal im Jahr die Goethe-Medaille als offizielles Ehrenzeichen der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist der wichtigste Preis der auswärtigen Kulturpolitik. Die Kandidat*innen werden von den Goethe-Instituten in aller Welt in Abstimmung mit den deutschen Auslandsvertretungen nominiert. Aus diesen Vorschlägen entwickelt die Kommission zur Verleihung der Goethe-Medaille, die sich aus Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur zusammensetzt, eine Auswahl, die das Präsidium des Goethe-Instituts bestätigt. Die Verleihung der Goethe-Medaille macht dem Publikum in Deutschland weltweit relevante kulturelle Themen und Akteur*innen bekannt und unterstützt die Internationalisierung der deutschen Kulturlandschaft.
Die Verleihung findet traditionell am 28. August, dem Geburtstag Goethes, statt. Seit der ersten Verleihung 1955 wurden insgesamt 380 Persönlichkeiten aus 70 Ländern geehrt, darunter Dogan Akhanlı, Juri Andruchowytsch, Daniel Barenboim, David Cornwell alias John le Carré, Princess Marilyn Douala Manga Bell, Sofia Gubaidulina, Ágnes Heller, Wen Hui, Neil MacGregor, Petros Markaris, Ariane Mnouchkine, Tali Nates, Shirin Neshat, Sandbox Collective (Nimi Ravindran und Shiva Pathak), Irina Scherbakowa, Jorge Semprún, Yoko Tawada, Robert Wilson und Helen Wolff.
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