Der Amazonas beherbergt 13 % der weltweit bekannten Artenvielfalt an Gefäßpflanzen und Wirbeltieren. Allein von Bäumen und Palmen gibt es schätzungsweise 16.000 Arten. Die Besiedlung des Amazonasgebiets durch indigene Völker vor etwa 12.000 Jahren führte zur Domestizierung von Dutzenden bis Hunderten dieser Arten, die noch immer Teil der Lebensweise der Amazonasbevölkerung sind. Einheimische Arten wie Maniok, Pfeffer, Urucum, Paranüsse, Kakao und Açaí sind weltweit beliebt geworden und verdeutlichen die Bedeutung der Biodiversität und des indigenen Erbes im Amazonasgebiet. Allerdings sind die Biodiversität und das indigene Erbe im Amazonasgebiet bedroht. Die Abholzung in dieser Region ist die höchste aller Tropenwälder der Erde und betrug in den letzten zwei Jahrzehnten durchschnittlich 1,7 Millionen Hektar pro Jahr. Zu den wichtigsten wirtschaftlichen Aktivitäten in diesen Gebieten zählen Viehzucht, Soja- und Maismonokulturen. Jüngste Studien deuten darauf hin, dass die Abholzung und die damit verbundenen wirtschaftlichen Aktivitäten mit einem komplexen illegalen Landhandelssystem zusammenhängen. Ebenso führt der fast ausschließlich illegale Holzeinschlag zu einer starken Degradierung des Waldes und macht ihn anfällig für Waldbrände.
Tatsächlich birgt die Umwandlung ausgedehnter öffentlicher Waldflächen in privatwirtschaftlich genutzte Agrarflächen große Risiken für den Verlust der biologischen Vielfalt und der Ökosystemleistungen wie Regenrückhalt und Nahrungsmittelversorgung. Die Abholzung und Walddegradierung führen in Verbindung mit dem globalen Klimawandel dazu, dass der Amazonas-Regenwald an einen Punkt ohne Wiederkehr gelangt. Dies bedeutet erhebliche Veränderungen für den Amazonas, wie wir ihn heute kennen und uns vorstellen, und verwandelt ihn in ein degradiertes Ökosystem mit offenem Blätterdach (was weniger Schutz durch die Baumkronen bedeutet) und geringerer Biodiversität, mit negativen Auswirkungen auf das globale Klima und die Lebensweise der indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften.
Seit mehr als fünf Jahrzehnten beobachten Wissenschaftler, dass die nachhaltige Gewinnung und Bewirtschaftung einheimischer Waldprodukte in Bezug auf die Rentabilität die Viehzucht oder den Sojaanbau im Amazonasgebiet übertrifft. Dieses wirtschaftliche Potenzial wird jedoch von Unternehmern und Politikern nach wie vor unterschätzt, während die Ausweitung der Viehzucht im brasilianischen Amazonasgebiet durch kontinuierliche staatliche Anreize gefördert wird. Die Rentabilität der Viehzucht liegt zwischen 50 und 100 US-Dollar pro Hektar und Jahr, während der Sojaanbau einen Gewinn von 100 bis 300 US-Dollar pro Hektar und Jahr erzielt. Darüber hinaus sind Viehzucht und Sojaanbau manchmal von Preisschwankungen und extremen Wetterbedingungen wie Überschwemmungen und Dürren betroffen.
Andererseits zeigen Studien, dass etwa 25 % der Bäume und Palmen in intakten Wäldern einen Marktwert haben. Die in diesen Wäldern geernteten Nicht-Holz-Waldprodukte haben das Potenzial, jährliche Gewinne in Höhe von 57 bis 400 US-Dollar pro Hektar zu erzielen. In Agroforstsystemen (SAFs) kann die Bewirtschaftung von Arten wie Açaí, Paranuss, Kakao, Cupuaçu, Maniok und anderen noch höhere Gewinne erzielen, die zwischen 300 und 700 US-Dollar pro Hektar und Jahr liegen. Neben der höheren Rentabilität kann eine neue sozioökonomische Nutzung des Waldes mehr Arbeitsplätze schaffen als die Viehzucht und der Sojaanbau im Amazonasgebiet. So beschäftigt beispielsweise die Viehzucht pro 100 Hektar ein bis zwei Arbeitnehmer und der Sojaanbau 0,5 bis 1 Arbeitnehmer. Die Wiederaufforstung mit Agroforstsystemen schafft hingegen 20 bis 40 Arbeitsplätze pro 100 Hektar und bringt damit einen großen Nutzen für die Bevölkerung im Amazonasgebiet.
Wohlstand ohne Abholzung und mit Wiederaufforstung
Wirtschaftlicher Wohlstand im Amazonasgebiet ist ohne Abholzung möglich. Extensive Viehzucht und Sojamonokultur laugen den Boden aus und schaffen eine künstliche Nachfrage nach neuen Abholzungsflächen. Die Umwandlung von Wald in Viehweiden oder Sojafelder erhöht zudem die Temperatur und verringert die Niederschlagsmenge in den abgeholzten Gebieten. Die Abholzung hat zu einer starken Ungleichheit in der Landverteilung, zu Gewalt und zu einer Situation der sozialen und klimatischen Gefährdung in der Region geführt, anstatt wirtschaftlichen Wohlstand zu bringen. Etwa 16 Millionen Hektar wurden im brasilianischen Amazonasgebiet abgeholzt und aufgegeben. Dieses Gebiet hat das Potenzial für regenerative Landwirtschaft und Waldwiederherstellung, was bedeutet, dass die land- und forstwirtschaftliche Produktivität gesteigert werden kann, ohne weitere Wälder abholzen zu müssen.
Die durchschnittlichen Investitionen für die Wiederaufforstung mit Agroforstsystemen liegen zwischen 2.500 und 7.000 US-Dollar pro Hektar, wobei die jährlichen Bewirtschaftungskosten zwischen 863 und 1.229 US-Dollar pro Hektar liegen. Durch den Verkauf von Holzprodukten wie Andiroba und Paricá sowie von Nicht-Holzprodukten wie Früchten, Samen, Wurzeln und Harzen kann sich die Amortisationszeit zwischen 2 und 13 Jahren bewegen. Im Hinblick auf die großflächige Wiederaufforstung wurde das Projekt „Arcos da Restauração“ vom Wissenschaftlichen Gremium für den Amazonas während der COP27 in Ägypten im Jahr 2022 ins Leben gerufen. Das Projekt hat zum Ziel, mindestens 50 Millionen Hektar abgeholzte und degradierte Flächen in Brasilien, Bolivien, Venezuela, Kolumbien, Ecuador und Peru wiederaufzuforsten. Wissenschaftler weisen jedoch darauf hin, dass eine großflächige Wiederaufforstung effektiver sein kann, wenn sie Strategien der Vereinigung und Zusammenarbeit einbezieht, damit Technologien eingesetzt werden können, um den Wert regionaler Produkte zu steigern.
Wertsteigerung regionaler Waldprodukte durch Bioindustrialisierung
Es ist notwendig, industrielle Technologien zur Verfügung zu stellen, damit indigene Völker und lokale Gemeinschaften Primärprodukte (Samen, Früchte, Wurzeln, Harze, Farbstoffe) in Produkte mit höherer Wertschöpfung umwandeln können. So ermöglicht beispielsweise eine Infrastruktur mit Anlagen zum Entpulpen, Pressen, Filtern, Trocknen, Kühlen und Pasteurisieren die Herstellung von Ölen, Fruchtfleisch und getrockneten Samen. Diese Produkte sind tatsächlich zwei- bis fünfmal so viel wert wie Primärprodukte aus dem Wald. Feldbeobachtungen zwischen 2016 und 2018 zeigten, dass Andiroba-Samen für 0,4 bis 2,3 US-Dollar pro Kilogramm verkauft wurden, während das Öl aus ihren Samen Preise von 7 bis 12 US-Dollar erzielte. Açaí-Früchte wurden zu Preisen zwischen 0,4 und 0,5 US-Dollar pro Kilogramm verkauft, während das Fruchtfleisch für 2 bis 3 US-Dollar gehandelt wurde. Im Fall der Paranuss wurden die frischen Samen mit Schale für 2 bis 4 US-Dollar pro Kilogramm verkauft, während die getrockneten Samen für den Verzehr für 15 US-Dollar pro Kilogramm verkauft wurden. Diese Beispiele zeigen das Potenzial der Wertsteigerung regionaler Waldprodukte durch einfache industrielle Technologien.
Darüber hinaus zeigt die vom Projekt Amazônia 4.0 durchgeführte Finanzierbarkeitsstudie, dass das Wertsteigerungspotenzial durch den Einsatz von Technologie noch größer sein könnte. Dies ist beispielsweise bei Kakao für die Schokoladenherstellung der Fall. Getrocknete Kakaobohnen werden in der Regel für etwa 2 US-Dollar pro Kilogramm verkauft, während edle Schokolade Preise zwischen 20 und 40 US-Dollar pro Kilogramm erzielen kann. Dies bedeutet, dass der Mehrwert der Bohnen bei der Herstellung von edler Schokolade mehr als zehnmal so hoch sein kann wie beim Verkauf der getrockneten Bohnen. Aus diesem Grund fordern Wissenschaftler, indigene Völker und lokale Gemeinschaften einen neuen Ansatz für die Landnutzung im Amazonasgebiet. Ohne Abholzung und Waldzerstörung, mit Waldwiederherstellung als naturbasierte Lösung, um die Region vor einem Punkt ohne Wiederkehr zu bewahren. In diesem Prozess spielen die biologische Vielfalt, das indigene Erbe, die Technologien und das Engagement der Regierungen der Amazonasregion und der Privatwirtschaft eine wesentliche Rolle.
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