Kritische Mineralien: Globaler Wettlauf und neuer Ausbeutungszyklus

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Acht Länder teilen sich das Amazonasbecken, darunter Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Peru, Suriname und Venezuela (Foto: Fabio Rodrigues Pozzebom/ Agência Brasil)
Datum: 23. Mai 2025
Uhrzeit: 04:41 Uhr
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Autor: Redaktion
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Das Amazonasbecken, das als größter Kohlenstoffspeicher und Biodiversitätshotspot der Erde gilt, steht im Mittelpunkt einer weiteren globalen Debatte: dem Wettlauf um kritische Mineralien und Metalle der Seltenen Erden. Da die Länder ihre Bemühungen zur Dekarbonisierung beschleunigen, wächst die Nachfrage nach Metallen, die für saubere Energie unerlässlich sind, wie Lithium, Nickel, Kupfer, Kobalt und andere, die in Solarzellen, Elektrofahrzeugen, Windturbinen und Waffen verwendet werden. Dieser Wettlauf um „grüne Mineralien“ offenbart jedoch einen Widerspruch: Der Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Zukunft könnte die Zerstörung der Umwelt beschleunigen, die lokale Bevölkerung beeinträchtigen und die Vorschriften in einer der gefährdetsten Regionen der Erde schwächen.

Der neue Wettlauf um das grüne Gold

Der Amazonas hat bereits andere Zyklen der Ausbeutung erlebt. Von Kautschuk bis Rindfleisch, von Holz bis Soja – seine Wälder wurden von ausländischen Märkten geprägt. Jetzt liegt der Fokus auf den Bodenschätzen, die von multinationalen und staatlichen Unternehmen begehrt sind. Brasilien verfügt über mehr als 90 % der weltweiten abbaubaren Reserven an Niob – einem Metall, das für Legierungen in Supraleitern unerlässlich ist. Der Carajás-Komplex im Bundesstaat Pará, der von Vale SA betrieben wird, ist eine der größten Tagebau-Eisenminen der Welt und enthält außerdem Kupfer, Gold und Mangan. Norsk Hydro betreibt Bauxitminen in Paragominas, ebenfalls in Pará, und stärkt damit die Verbindung des Amazonasgebiets zu den globalen Lieferketten.

Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Guyana positionieren sich als neue Zentren für strategische Mineralien. In der bolivianischen Tiefebene wächst der informelle Goldabbau, außerdem gibt es dort Zinnvorkommen und eine unberührte Lagerstätte für Seltene Erden. In der kolumbianischen Region Vichada befindet sich das Projekt Minastyc des kanadischen Unternehmens Auxico Resources, das Tantal, Niob und Gallium abbaut. Der Südosten Ecuadors öffnet sich für den Abbau von Kupfer und Gold, wobei Megaprojekte wie Cascabel und Mirador Milliarden von Dollar anziehen. Suriname und Guyana, die früher auf Gold und Bauxit ausgerichtet waren, untersuchen nun Vorkommen von Seltenen Erden im Guayana-Schild.

Dieses Szenario spielt sich inmitten des globalen Streits um strategische Mineralien ab. China, führend in der Raffination von Seltenen Erden, weitet seine Präsenz in Südamerika durch Infrastruktur und Bergbauverträge aus, darunter auch im Lithium-Dreieck zwischen Argentinien, Chile und Bolivien. Außerdem expandiert es aktiv seine Investitionen in Minen in Brasilien und Peru. Unterdessen suchen die USA, die Europäische Union, Kanada und Japan nach alternativen Quellen und Routen außerhalb der chinesischen Kontrolle. Die Amazonasländer sind zu zentralen Zielen geworden, wo westliche und asiatische Unternehmen um Explorationsgebiete konkurrieren, meist mit staatlicher Finanzierungshilfe.

Ein Wald unter Belagerung

Die logistischen und regulatorischen Hindernisse sind enorm. Viele der mineralreichen Gebiete liegen in abgelegenen Regionen mit geringer Infrastruktur und Kontrolle. Geodaten, die vom Netzwerk für georeferenzierte sozioökologische Informationen im Amazonasgebiet (RAISG) und der Nationalen Bergbaubehörde (ANM) zur Verfügung gestellt werden, zeigen Überschneidungen zwischen Konzessionen, indigenen Gebieten und Schutzgebieten, was darauf hindeutet, dass der Bergbau in gesetzlich geschützten Gebieten voranschreitet. In Brasilien und Kolumbien verwischen illegale Gruppen und informelle Kooperativen die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität und erschweren so die Überwachung. Die geografische Isolation der Region verschärft die Situation zusätzlich: Einige Orte sind nur mit dem Boot erreichbar, wobei die digitale Verbindung bestenfalls instabil ist.

Trotz all dieser logistischen Einschränkungen schreitet die organisierte Kriminalität voran. Netzwerke, die mit dem Kokainhandel, illegalem Holzeinschlag und Kleinbergbau in Verbindung stehen, expandieren nun auf wertvollere Mineralien. In Kolumbien kontrollieren abtrünnige FARC-Kämpfer und paramilitärische Gruppen Teile des Handels mit Gold und Coltan (Columbit-Tantalit). Im brasilianischen Tapajós-Gebiet nimmt der illegale Kleinbergbau trotz Operationen wie „Escudo Yanomami“ zu. In der gesamten Region zerstört die durch den Kleinbergbau verursachte Quecksilberverseuchung der Flüsse das Leben im Wasser und vergiftet indigene Gemeinschaften. Aber nicht nur die Umwelt ist gefährdet. Diese Aktivitäten untergraben die staatliche Autorität, korrumpieren Institutionen und destabilisieren Regionen. In Bolivien und Ecuador verschärfen sich die Proteste gegen Konzessionen – viele davon ohne vorherige Konsultation –, was zu Blockaden, Gerichtsverfahren und gewaltsamen Repressionen führt. Im Arco Mineiro do Orinoco in Venezuela ist der Bergbau militarisiert worden: Der Staat und bewaffnete Gruppen kämpfen mit Gewalt, Zwangsarbeit und massiver Abholzung um Territorien. Vor Ort hat die Verbindung zwischen Gold, Diamanten und Coltan angesichts von Straflosigkeit und Repression eine humanitäre Krise hervorgerufen, die als Fortschritt getarnt ist.

Es gibt Initiativen für Transparenz und Umweltregulierung, aber es mangelt an Konsequenz. Die Bergbaubehörde Kolumbiens (ANM) hat ein digitales Register eingerichtet und Rückverfolgungssysteme wie das Einheitliche Register der Mineralienhändler des Landes (RUCOM) eingeführt. Brasilien hat den Waldkodex und Behörden wie IBAMA und SISNAMA. Bolivien mit GeoBolivia und Ecuador mit dem Geoportal de Cadastro Mineiro bieten Karten mit Umweltüberlagerungen an, aber die Daten sind ungleichmäßig und werden schlecht kontrolliert – vor allem in den Grenzgebieten. Es gibt auch Versuche, den Bergbau an internationale Abkommen wie die UN-Konvention gegen die transnationale organisierte Kriminalität (UNTOC) zu koppeln.

Gerechter Übergang oder neue Ausbeutung?

Das Dilemma ist offensichtlich: Wie lässt sich die Nachfrage nach strategischen Mineralien, die für die Energiewende unerlässlich sind, mit der ökologischen und sozialen Integrität des Amazonasgebiets in Einklang bringen? Es gibt keine einfache Antwort. Maßnahmen wie die Formalisierung des Kleinbergbaus, die Förderung quecksilberfreier Technologien und die Verstärkung von Umweltverträglichkeitsprüfungen sind notwendig, aber noch nicht ausreichend. Gefragt sind Governance-Modelle, die die Interessen der lokalen Gemeinschaften in den Vordergrund stellen, strenge Konsultationen gewährleisten und ökologische Grenzen über die Logik der Ausbeutung um jeden Preis stellen. Programme wie die Initiative für Transparenz in der Rohstoffindustrie (EITI) bieten Strukturen für die Rechenschaftspflicht, aber ihre Wirksamkeit hängt vom Engagement der Regierungen und der aktiven Beteiligung der Zivilgesellschaft ab.

Vor allem muss die Debatte über saubere Energie ihre eigenen Kosten berücksichtigen. Die Dekarbonisierung darf nicht auf Kosten zerstörter Wälder, verschmutzter Flüsse und vertriebener Gemeinschaften erfolgen. Der Amazonas ist nicht nur ein Rohstofflager, sondern ein lebender Organismus, der das Klima reguliert, Kulturen erhält und Alternativen aufzeigt. Wenn die Mineralien, die grüne Energie liefern, mit denselben Schäden abgebaut werden, die sie eigentlich verhindern sollen, wird der ökologische Wandel nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte der Ausbeutung des Amazonasgebiets sein.

Während Investoren, Regierungen und Umweltschützer nach den Bausteinen einer kohlenstoffarmen Wirtschaft suchen, steht der Amazonas an einem Scheideweg: Wird er als neue Mineralienfront der globalen Nachfrage geopfert? Oder kann sie Schauplatz eines gerechten und nachhaltigen Wandels werden, der Menschen und Ökosysteme ebenso respektiert wie Produktionsziele? Die Antwort könnte nicht nur die Zukunft der sauberen Energie prägen, sondern auch das Schicksal des größten Regenwaldes der Welt.

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