Das südamerikanische Land Argentinien wird im Jahr 2025 voraussichtlich bis zu 13 Milliarden US-Dollar an Deviseneinnahmen verlieren, was mehr als 1,6 % seines BIP entspricht. Der Grund dafür ist einfach, aber schmerzhaft: Für die Bürger ist es mittlerweile günstiger, im Ausland Urlaub zu machen als im eigenen Land, während internationale Besucher Argentinien als eines der teuersten Reiseziele der Welt empfinden. Ökonomen bezeichnen dies als den größten Rückgang im Tourismus in der modernen Geschichte Argentiniens. Allein in den ersten neun Monaten des Jahres 2025 reisten 9,7 Millionen Argentinier ins Ausland. Im Gegensatz dazu kamen nur 4,1 Millionen ausländische Touristen ins Land. Das ist ein Nettoabfluss von 5,6 Millionen Menschen. Der Oktober verlief genau nach dem gleichen Muster. Etwa 1,2 Millionen Argentinier reisten ins Ausland, ein Anstieg von 9,3 % gegenüber dem Vorjahr, während weniger als 680.000 Ausländer ins Land kamen, ein Rückgang von 10 %. Das monatliche Tourismusdefizit belief sich auf 365 Millionen Dollar. Die Einheimischen gaben fast 600 Millionen Dollar im Ausland aus, während Ausländer nur 232 Millionen Dollar in Argentinien ausgaben. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird 2025 alle bisherigen Rekorde bei den Dollarverlusten im Tourismusbereich brechen und die 10,7 Milliarden Dollar, die 2017 unter Mauricio Macri verloren gingen, leicht in den Schatten stellen.
Warum ist Argentinien so teuer?
Der Hauptgrund dafür ist der erfolgreiche Kampf von Präsident Javier Milei gegen die Inflation, verbunden mit einem unbeabsichtigten Nebeneffekt. Nachdem die Regierung die monatliche Inflation durch strenge Sparmaßnahmen und einen quasi festen Wechselkurs von dreistelligen auf einstellige Werte gedrückt hat, hat sie einen Peso geschaffen, der real, inflationsbereinigt, drastisch überbewertet ist. Das Ergebnis ist ziemlich verrückt. Eine Woche am Strand in Florianópolis oder Punta del Este ist für eine argentinische Mittelklassefamilie jetzt billiger als ein Aufenthalt in Mar del Plata oder Pinamar. Ein Wochenende mit Shopping in Santiago oder Asunción kostet weniger als ein Aufenthalt in Buenos Aires. Selbst die Fünf-Sterne-Lodges in Patagonien und die Weintouren in Mendoza, einst legendäre Schnäppchen, sind für die meisten europäischen und nordamerikanischen Besucher mittlerweile unerschwinglich. Florencia Fiorentin, Chefökonomin bei Epyca Consultora, stellt fest, dass für jeden, der über Dollar oder Zugang zum offiziellen Wechselkurs verfügt, Reisen ins Ausland lächerlich günstig sind. Derweil ist ein Aufenthalt in Argentinien im Grunde zu einem Luxusgut geworden.
Wohin reisen die Argentinier?
Chile liegt mit fast 22 % der Auslandsreisen zum Skifahren und Einkaufen an der Spitze. Brasilien folgt mit rund 20 % dicht dahinter, hauptsächlich wegen der Strände in Rio und Búzios. Auch Paraguay verzeichnet einen massiven Anstieg, mit einem Anstieg der Tagesausflüge zum Einkaufen um 116 % gegenüber dem Vorjahr. Selbst die Kreditkartendaten belegen diesen Trend. Die auf Dollar lautenden Kreditkartenschulden erreichten im Januar dieses Jahres 761 Millionen Dollar, den höchsten Stand seit 2018 und fast das Dreifache des Vorjahreswertes.
Die Geisterstädte des argentinischen Tourismus
Während die Argentinier Flugzeuge und Busse füllen, um ins Ausland zu reisen, leeren sich die touristischen Juwelen Argentiniens. El Calafate und sein berühmter Gletscher verzeichneten 2024 einen Rückgang der ausländischen Touristen um 30 % sowie sieben Monate in Folge sinkende Hotelauslastungen. In der Winterskisaison in Bariloche gab es fast 12 % weniger Übernachtungen. Luxuslodges in der Nähe der Iguazú-Wasserfälle und in Mendoza melden Buchungsrückgänge zwischen 40 % und 60 %. Experten bezeichnen die Situation als katastrophal. Hotels entlassen Mitarbeiter, Restaurants schließen unter der Woche und Reiseveranstalter verkaufen ihre Busse, nur um zu überleben.
Die makroökonomische Zeitbombe
Jeder Dollar, den ein Argentinier in Rio oder Miami ausgibt, ist ein Dollar, den die Zentralbank nicht verdient, und die Reserven sind bereits kritisch niedrig. Ökonomen warnen, dass ein Verlust von 11 bis 13 Milliarden Dollar an Tourismuseinnahmen einfach nicht tragbar ist. Irgendwann muss der Peso angepasst werden. Das könnte eine geordnete Abwertung bedeuten, die das Risiko einer erneuten Inflation birgt, oder einen ungeordneten Crash, der die Ersparnisse vernichtet. So oder so, das derzeitige Modell kann nicht unbegrenzt Bestand haben. Es ist eine seltsame Dynamik, in der die argentinische Oberschicht die günstigsten Auslandsreisen seit Jahrzehnten genießt, während die heimische Tourismusbranche zusammenbricht.
Eine grausame Ironie
Argentinien verfügt über alles, was ein Land braucht, um eine Tourismus-Supermacht zu sein, von Gletschern und Wasserfällen bis hin zu Bergen, Wein und Tango. Doch derzeit macht es die Wirtschaftslage unmöglich, davon zu profitieren. Da der Peso so hoch bewertet ist, stimmen die eigenen Bürger mit ihren Koffern ab, und der Rest der Welt bleibt einfach zu Hause. Bis diese Diskrepanz beim Wechselkurs behoben ist, wird die Tourismuskrise Argentiniens weiterhin Dollars verschlingen und Arbeitsplätze vernichten. Sie droht, einen der größten Naturschätze des Kontinents zu einem Luxus zu machen, den sich selbst viele Ausländer nicht mehr leisten können.







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