Ein halbes Jahrhundert nach Nixon erreicht Kokain erneut Rekordwerte: 3.700 Tonnen im Jahr 2023, 25 Millionen Konsumenten. Nun brandmarkt Trumps Krieg gegen die Drogen in seiner zweiten Amtszeit Kartelle als Terroristen, weitet Angriffe aus und stellt die Souveränität Lateinamerikas auf die Probe – während die Nachfrage kaum zurückgeht und die Gewalt neue Wege findet. Ein halbes Jahrhundert ist lang genug, um ein ganzes politisches Vokabular zu verfestigen: „Krieg“, „Kartell“, „Herkunftsland“, „Kingpin“, „Bekämpfung“. Und doch widerlegt die grundlegende Mathematik immer wieder die Slogans. Americas Quarterly und der Analyst Robert Muggah weisen auf den eindeutigsten Beweis hin: Die weltweite Kokainproduktion und der Kokainkonsum befinden sich auf Rekordniveau. Die UN berichtet, dass die Produktion im Jahr 2023 um etwa ein Drittel auf über 3.700 Tonnen gestiegen ist und schätzt, dass 25 Millionen Menschen Kokain konsumieren. Die Lieferkette hat sich in den letzten zehn Jahren diversifiziert, die Nachfrage ist kaum zurückgegangen. In den lateinamerikanischen Hauptstädten ist dies weniger ein politisches Versagen als vielmehr ein gelebtes Muster – jede Razzia führt zu neuen Routen, jeder neue „Plan“ schafft neue Graumärkte, und jedes Versprechen eines entscheidenden Schlags kommt wie das Wetter: laut, saisonal und selten lebensverändernd für die Nachbarschaften, die die Folgen zu spüren bekommen.
Deshalb ist Trumps zweite Amtszeit so wichtig, nicht weil die Region noch nie harte Worte gehört hätte, sondern weil die Rhetorik nun mit einer expansiveren Rechtsposition verbunden ist. Die Regierung hat versprochen, „die Lieferkette von Anfang bis Ende zu unterbrechen” und „mit den Herkunftsländern zusammenzuarbeiten – oder sie anderweitig zur Rechenschaft zu ziehen”, eine Formulierung, die sich auch im DEA National Drug Threat Assessment 2024 wiederfindet. Die Worte selbst signalisieren einen Wandel von Zusammenarbeit zu Konditionalität: Mit der einen Hand wird Partnerschaft angeboten, mit der anderen wird Druck ausgeübt. In der Praxis lädt dies zu einem breiteren Spektrum amerikanischer Instrumente ein – finanzieller, diplomatischer und potenziell kinetischer Art –, während die lateinamerikanischen Regierungen aufgefordert werden, die politische Hitze im eigenen Land zu absorbieren.
Von Kartellen zu Terroristen und von Polizeiarbeit zu Gewalt
Der folgenreichste Schritt in Muggahs Lesart ist der Versuch, kriminelle Syndikate als Terroristen zu behandeln – wodurch die Grenze zwischen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Terrorismusbekämpfung aufgehoben wird. Im Februar stufte das US-Außenministerium das Cártel de Sinaloa, das Cártel de Jalisco Nueva Generación, das Cártel del Noreste, das Cártel del Golfo, das Cárteles Unidos, die La Nueva Familia Michoacana, die MS-13 und den Tren de Aragua sowohl als ausländische terroristische Organisationen als auch als besonders ausgewiesene globale Terroristen ein, wobei die Liste später um Gruppen aus Ecuador bis Haiti erweitert wurde. Der unmittelbare Zweck ist finanzieller Natur: Sanktionen, Einfrieren von Vermögenswerten und Angst vor Verstößen. Die tieferen Konsequenzen sind jedoch politischer Natur: Sobald „Terrorismus” als Rahmen dient, lautet die Frage nicht mehr „Wie gehen wir vor?”, sondern „Wann schlagen wir zu?”.
Das ist keine Hypothese. Americas Quarterly beschreibt, wie rechtliche Drohungen mit Maßnahmen einhergehen: In den letzten Wochen gab die Regierung grünes Licht für Seeblockaden und gab mehrere Angriffe auf mutmaßliche Drogenschmugglerboote bekannt, die von Venezuela aus operierten. Für lateinamerikanische Diplomaten – insbesondere diejenigen, die von den Erinnerungen an vergangene Interventionen geprägt sind – ist die Botschaft unmissverständlich. Washington signalisiert, dass die Hohe See und ausländische Küsten wieder als umkämpfter Raum behandelt werden, in dem die Durchsetzung von US-Recht in die Anwendung von US-Gewalt übergehen kann. Deshalb ist die rechtliche Debatte bereits in vollem Gange: Analysten stellen die Frage, ob eine solche Anwendung von Gewalt mit der UN-Charta und dem Seerecht vereinbar ist, und warnen vor Problemen in Bezug auf Souveränität, Extraterritorialität und ein ordnungsgemäßes Verfahren. In der Region geht es nicht nur um die Rechtmäßigkeit, sondern auch um Präzedenzfälle. Ist diese Schwelle einmal überschritten, kehrt man selten zum ursprünglichen Zustand zurück.
Die diplomatische Schärfe dieser Politik wird durch die Aberkennung von Zertifizierungen noch verstärkt. Anfang dieser Woche haben die USA Venezuela, Bolivien und Kolumbien die Zertifizierung entzogen, weil sie ihren Verpflichtungen zur Drogenbekämpfung nicht nachgekommen sind – eine besonders schmerzhafte Zurechtweisung für Kolumbien, das lange Zeit als Washingtons engster Partner im Kampf gegen Drogen galt, auch wenn durch eine Ausnahmeregelung ausgewählte Hilfsleistungen weiterhin fließen. Der Zeitpunkt fällt in eine Zeit, in der der Kokaanbau Rekordwerte erreicht und es Streitigkeiten über die Strategie unter Präsident Gustavo Petro gibt, der die Entscheidung scharf kritisierte und den USA vorwarf, sie wollten sich vor den Präsidentschaftswahlen 2026 in die Politik Kolumbiens „einmischen“. Diese Anschuldigung findet in Lateinamerika großen Anklang, weil sie bekannt ist: Drogenpolitik ist selten nur Drogenpolitik. Sie wird zu einem Hebel für Haushalte, Sicherheitsprioritäten, innenpolitische Narrative – und manchmal auch für Wahlen.
Mexikos rote Linie und die Gratwanderung der Region
Auch in Mexiko steigt die Temperatur. Berichten zufolge, auf die sich Americas Quarterly bezieht, hat Trump eine Richtlinie unterzeichnet, die den Weg für den Einsatz des US-Militärs gegen Kartelle auf ausländischem Boden und auf See frei macht. Präsidentin Claudia Sheinbaum hat sich aus Gründen der Souveränität vehement dagegen gewehrt, obwohl Mexiko Dutzende von Kartellmitgliedern an die USA ausgeliefert hat. Diese Kombination – öffentlicher Widerstand gepaart mit selektiver Zusammenarbeit – verdeutlicht die Gratwanderung der Region. Mexiko kann nicht als zustimmend zur Präsenz ausländischer Truppen angesehen werden, aber es kann auch den Sog des Drucks der USA nicht ignorieren, wenn Handel, Migration und Sicherheitszusammenarbeit miteinander verflochten sind. Souveränität ist hier kein Schlagwort. Sie ist eine tägliche Verhandlung mit Konsequenzen für die interne Legitimität.
Aus lateinamerikanischer Sicht, so Muggah, könnte der Neustart weniger wie eine Drogenbekämpfung, sondern eher wie eine Machtdemonstration der Hemisphäre mit anderen Mitteln aussehen. Kartelle und Terroristen können als solche bezeichnet werden, und Washington kann Sanktionen verhängen, Beschlagnahmungen vornehmen und zuschlagen. Durch die Aberkennung der Zertifizierung eines Partners erweitert sich der Einfluss auf Hilfe, Handel und Sicherheitszusammenarbeit. Durch die Einordnung von Drogen als Terrorismus wird das Instrumentarium des Pentagons zum fairen Spiel. Selbst wenn jeder einzelne Schritt als pragmatisch verteidigt wird, führt die Kombination dieser Maßnahmen dazu, dass der Ermessensspielraum der USA erweitert und der lokale politische Spielraum eingeschränkt wird. Die Risiken steigen entsprechend: angespannte Allianzen, rechtliche Rückschläge, Fehleinschätzungen auf See und finanzielle Überregulierung, die den legitimen Handel – Banken, Spediteure, Versicherer – behindern kann, insbesondere in kleineren Volkswirtschaften, die es sich nicht leisten können, standardmäßig als verdächtig behandelt zu werden.
Warum der Markt nicht zusammenbricht, sondern sich verändert
Das Schwierige daran ist, dass der voraussichtliche Ertrag dieser Strategie gering erscheint. Die Daten der UN zeigen, dass Kokainproduktion, -beschlagnahmungen und -konsum gleichzeitig Rekordwerte erreichen – Zeichen für eine Verlagerung, nicht für eine Niederlage. Der Druck durch Strafverfolgung führt eher dazu, dass die Ströme auf neue Routen verlagert werden, als dass sie unterbunden werden. In dem Artikel zitierte akademische Meta-Reviews deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach illegalen Drogen preisunelastisch ist: Wenn die Strafverfolgung das Risiko erhöht und die Preise steigen, sinkt die Nachfrage, jedoch nicht proportional. Das Ergebnis sind gedämpfte Einnahmen und Anreize für Verlagerung, Verfälschung und Gewalt – manchmal alles auf einmal. In dieser Welt kann jede Razzia unbeabsichtigt den Wert der Kontrolle von Engpässen erhöhen: Häfen, Grenzstädte, Dschungelkorridore und Stadtviertel, in denen die Rekrutierung am einfachsten ist.
Die Fentanyl-Pipeline veranschaulicht dieselbe Anpassungslogik. Investigative Berichte haben beschrieben, wie Chemikalienhändler in China trotz regulatorischen Drucks mexikanische Labore beliefern können, und zeigen Lieferketten, die sich wie Wasser unter einer Tür verhalten. Selbst die ermutigende Statistik – ein Rückgang der Todesfälle durch Überdosierung in den USA um 27 % im Jahr 2024 – ist hauptsächlich auf Naloxon, den Zugang zu Behandlungen und Veränderungen in der heimischen Drogenmischung zurückzuführen, nicht auf einen Zusammenbruch des globalen Drogenhandels. Die Schlussfolgerung ist unbequem: Was am zuverlässigsten funktioniert, sind oft öffentliche Gesundheit und Regierungsführung, nicht Spektakel. Muggahs Fazit lautet nicht, dass Strafverfolgung sinnlos ist, sondern dass eine ernsthafte Strategie zur Schwächung der Kartelle eher auf das Geschäftsmodell als auf das Theater abzielen sollte. Das bedeutet koordinierte Finanzkontrollen, glaubwürdige Regulierung von chemischen Vorläufersubstanzen und Dual-Use-Gütern, Gewaltbekämpfung und Institutionenaufbau in den Rekrutierungsgebieten der Kartelle sowie Behandlung und Nachfragereduzierung im Inland. Diese Schritte erfordern Vertrauen, Zeit und Politik – genau die Ressourcen, die durch Terrorismusbekämpfung, Entzug von Zertifizierungen und episodische Streiks tendenziell untergraben werden.
Für Lateinamerika besteht die Gefahr, dass es am Ende das Schlimmste aus beiden Welten bekommt: einen lauteren Krieg gegen Drogen, der Macht demonstriert, ohne die Märkte zu schrumpfen, während sich Souveränitätsstreitigkeiten häufen und umkämpfte Knotenpunkte immer gewalttätiger werden. Kartelle und Drogenmärkte passen sich an, weil die Nachfrage kaum zurückgeht. Die Gemeinden tragen die Kosten, weil der Staat immer noch ungleichmäßig präsent ist. Und die Region – die bereits durch Ungleichheit, Migrationsdruck und institutionelle Erschöpfung geschwächt ist – wird gerade dort fragiler, wo sie sich einen weiteren „Krieg“ in ihrem Namen am wenigsten leisten kann.







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