Ich glaube, man begreift ein Land nur, wenn man sich zu Fuß auf den Weg macht und sich erschöpft. Das Land muss einen auslaugen, auswringen und erschöpfen. Wenn Stephen King sagt, Schreiben sei ein Akt gewollten Verstehens, so kann man folgerichtig sagen, das Wandern sei ein Akt gewollten Begreifens. Man lernt nichts, wenn man in einem klimatisierten Auto durch die Landschaft fährt, nichts, wenn man darüber hinwegfliegt oder das Land in Gedanken ad acta legt, weil es politisch einen schalen Geruch hat.
Man muss auf den Seitenstraßen gehen und über Feldwege pilgern, dorthin gehen, wo Touristen nicht hingehen sollen, weil sie sonst den Teil der Welt sehen, der nur schlecht beleuchtet ist.
Ich habe Kuba im strömenden Regen begriffen, im sengenden Sonnenlicht, im Sturm und in der Windstille, dann, wenn ich allein zu Fuß unterwegs war, verschwitzt, erschöpft, am Ende meiner Kräfte. Das scheint die Seele zu reinigen – zumindest meine – und wenn ich mich dann am Ufer eines Flusses oder am Strand erfrischen konnte und rastete, dann habe ich zumindest emotionell eine Verbindung aufbauen können.
Viele Menschen, die sich mit Kuba auseinandersetzen, fokussieren auf die politische Situation des Landes, und selbst wenn sie über das Leben der Menschen schreiben, schwingt immer auch Kritik an der Politik mit, so, als ob die Kubaner irgendeine unaussprechliche Mitschuld daran hätten, was vor über fünfzig Jahren begonnen, aber nie vollendet wurde.
Die Politik Kubas interessiert mich nicht, berührt mich aber da, wo sie meinen Lebenserfahrungen und Erwartungen nicht entspricht und mir Einschränkungen aufzwingt. Und damit meine ich nicht das absolute Fehlen jener maßlosen Verfügbarkeit von allem, die bei uns schon lange zur Kultur erhoben wurde, sondern die Brachialität, mit der mir vor Augen geführt wird, wie leicht es ist, zu scheitern, wenn gewohnte Grundsätze außer Kraft gesetzt werden.
Ich glaube, es war Eliseo Alberto der schrieb, dass die kubanische Politik kurz nach dem Sturz des Baptista Regimes eine zarte und kränkliche Pflanze war, die genau deswegen umso rabiater verteidigt und geschützt werden musste. Revolutionär zu sein, ist eine Sache, ein Land zu führen, eine ganz andere. Die Kubaner wuchsen mit dieser Nichtübereinstimmung auf. Es gab Gründe genug, eine Revolution anzuzetteln, es gab Gründe genug, sich nach einer Änderung zu sehnen, aber es gab keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass die Revolutionäre dann zwangsläufig auch diejenigen sein müssen, die das Land führen können. Es wurde in der ersten Euphorie als gegeben angenommen, und die Künstler und Intelektuellen, die Theatermacher, Schriftsteller und Dichter des Landes, die eine positive Haltung zu linksliberalen Themen einnahmen, sahen sich bald nicht nur enttäuscht und vor den Kopf gestoßen, sondern in Folge auch regelrecht unterdrückt, verfolgt, verurteilt, verdammt, ihr Werk zu wiederrufen und aufzugeben. Feinsinnige Kunst, die Thematisierung von Liberalität, Homosexualität, “Künstlertum” als Hort konterrevolutionärer Untugenden waren besonders Che Guevara zuwider, der einem hundertprozentigen Machismo huldigte.
Leider kein Kommentar vorhanden!