Schon morgens gegen sieben rollen sie vor das Hotel ‚Plaza Colón‘ und das ehrwürdige ‚Alhambra‘ am Parque Central von Granada: die Kutschen in Rot-Blau oder Rot-Weiß oder Blau-Schwarz, geschmückt mit großen Papierschleifen in allen Farben. Auch einige der Pferde tragen welche in der Mähne. Die von ‚La Coneja‘ nicht, das haben sie nicht nötig, denn ihre Kutscherin ist Attraktion genug. La Coneja, die Häsin, heißt eigentlich Carmen und ist die einzige Frau im illustren Fuhrpark an der Plaza. Dem einen oder anderen in der Riege der Macho-Kutscher mag das noch immer ein Dorn im Auge sein, denn von jeher war der Job den Männern vorbehalten, aber Coneja Carmen hat sich Respekt verschafft in den fast fünfzehn Jahren, in denen sie mit Ihrer Kutsche Nummer 22 Touristen durchs koloniale Granada schaukelt.
Die Dame verfügt über eine imposante Figur und ein Herz erfrischendes Lachen. Behend erklettert sie das Gefährt, streicht ihren Pferden, die sie Betube und Burromina getauft hat, fast zärtlich mit der Peitsche über den Hintern und schlägt noch schnell ein Kreuz, bevor sie um die Ecke in die Calle Atravesada einbiegt, in Richtung Norden, wo der See liegt, mit dem Rücken zum Vulkan Mombacho. Carmen ist immer fröhlich, besonders dann, wenn sie schon kurz nach sieben ihren ersten Fahrgast hat. Sie erzählt von Häusern, Geschichte und Geschichten. Auch ihre. Dass ihr Vater Kutscher war und sie oft auf seine Touren mitgenommen hat.
Carmen durfte neben ihm auf dem Bock sitzen, manchmal die Zügel halten und nach Feierabend die Pferde versorgen. Sie träumte davon, eines Tages selbst eine Kutsche zu haben und damit durch die Stadt zu fahren. Ihr Vater fand die Idee allerdings nicht so gut. Das sei eine Arbeit für Männer, sagte er zu seiner ‚Coneja‘, und schickte sie stattdessen in eine Näherei. „Die Arbeit machte mir zwar Spaß“, sagt sie, „aber irgend fand ich sie langweilig, und außerdem bekam ich Nackenschmerzen. Also habe ich eines Tages aufgehört, mir eine Kutsche und zwei Pferde gemietet und bin zum Park gefahren. Seitdem bin ich jeden Tag hier. Den Männern gefiel das am Anfang überhaupt nicht, und auch heute versucht mancher noch, mich einzuschüchtern, aber da stehe ich längst drüber. Ich liebe diese Arbeit, ich freue mich jeden Morgen, weil ich weiß, dass immer etwas Neues passieren wird. Der Park ist mein Leben!“
Carmen lacht und winkt jemandem mit ihrer Peitsche zu. Die Altstadt von Granada ist klein, hier kennt jeder jeden. Die Kutsche holpert über die Geschwindigkeitsbarrieren, von denen es jede Menge auf Granadas Straßen gibt, in Richtung alter Bahnhof. Züge fahren schon lange keine mehr. Die damalige Präsidentin Violeta Chamorro ließ den Eisenbahnverkehr 1993 aus Rentabilitätsgründen einstellen.
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