Lateinamerika: Von Drogen und Abhängigkeiten► Seite 2

Datum: 01. November 2011
Uhrzeit: 19:55 Uhr
Ressorts: Leserberichte
Leserecho: 1 Kommentar
Autor: Martin Bauer, Caracas (Leser)
Sprachkurs Spanisch (Südamerika)

Also Leute, ihr habt es selber in der Hand: Ohne Nachfrage kein Angebot! Entweder lasst einfach die Finger von den Drogen, dann erledigen sich alle damit verbundenen Probleme von selbst, oder nehmt sie weiterhin und akzeptiert die Konsequenzen ohne zu meckern!

Sähe man wirklich die Entscheidung pro oder contra Drogenkonsum in der Eigenverantwortung des potentiellen Konsumenten, wäre die logische Folge eine völlige Legalisierung von Produktion, Handel und Konsum der Rauschgifte, Minderjährige natürlich ausgeschlossen. Die Idee ist nicht neu, viel mehr seit langer Zeit in der Diskussion. Praktikabel ist sie jedoch nicht. Bereits in den 1960er Jahren wurde ein deutscher Politiker durch Morddrohungen von diesem Ziel abgebracht. Jeder, der ernsthaft diesem Vorhaben nachgeht, unterschreibt damit sein Todesurteil. Nicht nur das organisierte Verbrechen und zahllose Drogen Anbauländer, überwiegend in der Dritten Welt, verlören von einem Tag auf den anderen ihre wesentlichste Einkommensquelle. Wer eine Vorstellung von den Dimensionen des dann jäh unterbrochenen Kapitalstromes hat, dem ist klar, dass damit zahlreiche Volkswirtschaften in eine Krise stürzen würden, gegen die das, was sich gerade auf den Finanzmärkten abspielt, eine Lappalie wäre.

Schon der Pro-Kopf-Umsatz eines durchschnittlichen Drogensüchtigen ist enorm. Die allerwenigsten sind in der Lage, das zur Befriedigung ihrer Sucht nötige Geld selber zu verdienen. DIe Kosten dafür übersteigen bei weitem das Brutto Einkommen eines Durchschnittsverdieners. Den meisten von ihnen bleibt nur der Weg in die Beschaffungskriminalität und/oder die Prostitution, so dass auch das Geld der Opfer ihrer Delikte oder ihrer Freier in den Drogenkreislauf einfliesst. Das sauer verdiente Geld von Menschen also, die selber mit Drogen nichts am Hut haben, wird mehr oder weniger gegen deren Willen zum Kauf von Drogen verwandt. Da kommt schon einiges an Knete zusammen!

Die Drogenhändler, die grossen wie die kleinen, können einem fast schon leid tun. Schliesslich sind sie es, die unter Einsatz ihres Lebens die Ware an die Konsumenten und deren Geld in die Finanzwelt bringen. Die ihnen selber verbleibenden unzähligen Millionen und Milliarden sind vergleichsweise nur ein Trinkgeld. Dafür werden sie gehetzt von Konkurrenten und der Polizei. Ihre Lebenserwartung ist deutlich kürzer als die der Leute, denen sie das Gross ihrer Beute überlassen. In Europa und den USA ist die Szene wenigstens so „zivilisiert“, dass die Grössen der Branche weitgehend gewaltfrei leben. Politiker und Wirtschaftsbosse haben ihnen klar gemacht, dass ihr Geld zwar hoch willkommen ist, nicht jedoch die Methoden eines Al Capone. So hat man sich eben arrangiert. Eine Pizzeria, die bei der Geldwäsche hilft, ob in New York oder Frankfurt, zahlt kein Schutzgeld. Maschinenpistolen kann man ruhigen Gewissens exportieren, in Länder, wo man noch so primitiv und rückständig ist, sie alltäglich zu benutzen. Womit die längst fällige Überleitung zu Lateinamerika geschaffen wäre.

Die aktuellen Praktiken der Drogenhändler in Mittel- und Südamerika lassen diesbezüglich jede Kultur und Intelligenz vermissen. Leichen pflastern ihren Weg, auch die eigenen. Die Machos dort verwechseln noch immer Angst mit Respekt und Brutalität mit Stärke. Einen Drogenbaron ohne Blutspur nimmt keiner ernst, nicht einmal die Chicas auf der Strasse. Dass allein die Polizei im Norden Mexikos monatlich rund 800 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern empfängt, macht sie weder reich noch unsterblich. In vielen anderen Ländern Mittel- und Südamerikas sieht es kaum besser aus. Vor allem Venezuela strebt diesbezüglich steil nach oben.

Allerdings gibt es dort auch Zeichen des Fortschritts im Sinne einer Integration von Drogenbossen in die legale Geschäftswelt und Politik. Über viele Monate kämpfte die venezolanische Regierung hart gegen die kolumbianische und die US amerikanische um die Auslieferung des mutmasslichen Drogenkönigs Walid Makled. Die USA werfen diesem vor, der grösste Kokain Drahtzieher weltweit zu sein, in Venezuela gab es „lediglich“ einen Haftbefehl wegen Mordes an einem Journalisten in Valencia. Empört wetterte Hugo Chávez im Fernsehen, „Un maldito narcotraficante!“, da Makled von Kolumbien aus zahlreiche Minister, Gouverneure und Generäle von Chávez der passiven Bestechung beschuldigte. Er will jedem einzelnen Millionen von Dollar gezahlt haben, z.B. an Carabobos früheren Gouverneur Acosta Carles und allein 1,5 Millionen für die „SI“ Kampagne zur unbegrenzten Wiederwahl von Chávez. Warum auch nicht? Eine Hand wäscht die andere! Die Regierung hatte ihm ja freundlicherweise den Hafen von Puerto Cabello verkauft, den mit Abstand grössten Hafen des Landes, zum freien Schalten und Walten nach eigenem Gutdünken. Zum Vergleich, der Transport eines Containers von Rotterdam nach Shanghai kostet $600-700. Makled verlangte pauschal $40.000, egal woher und wohin, wenn man den speziellen Service in Anspruch nahm, dass der Inhalt Privatsache blieb, also ohne Zoll, Kontrollen und sonstige Störfaktoren. Dann wurde das Ding auch pünktlich abgefertigt, frei Haus geliefert und niemals geklaut. Sicherheit und perfekter Service sind also in Lateinamerika durchaus im Rahmen des Möglichen, für ein wenig Extra-Kohle. Das lief alles wunderbar, bis zur überfallartigen Enteignung. Von Kolumbien aus beklagte er sich bitterlich und nicht ganz zu unrecht, dass sich nun einer jener venezolanischen Generäle seine lukrative Firma unter den Nagel gerissen hätte, den er vorher teuer „gekauft“ hatte.

Makled wollte mit seiner Denunziation im Rahmen eines Fernsehinterviews erreichen, nach den USA ausgeliefert zu werden, anstatt nach Venezuela, weil er für diesem Fall weitaus weniger um sein Leben fürchtete. Doch Chávez gewann und bekam ihn. Nur, das ist inzwischen Monate her. Wo bleibt die Anklage, der Prozess? Es ist still geworden, um Walid Makled. Anscheinend wieder Friede, Freude, Eierkuchen zwischen ihm und der Regierung! Warum…? Ich weiss es nicht. Das mag sich jeder selber ausmalen!

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  1. 1
    Der Bettler

    Martin,nach längerer Zeit wieder ein hervorragender Bericht.Da ich mit Drogen nichts am Hut habe,habe ich mich auch nicht damit befaßt.Es ist
    äußerst interessant,ja spannend,was sich alles um die Drogenwelt abspielt.
    Man könnte es ja fast mit der Angst bekommen,wenn man hört,daß Banken
    ja ganze Industriezweige mit der Geldwäsche involtiert sind.Durch Deinen Bericht habe ich in meinen schon fortgeschrittenen Alter wieder neue Erkenntnisse und Denkanstöße bekommen. Sehr gut.

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