Mehr Tourismus bedeutet mehr Menschen und die Schaffung oder den Ausbau einer funktionierenden Infrastruktur. Die Gäste wollen untergebracht werden. Hotels, Restaurants, Kneipen, Cafes und Diskotheken müssen gebaut werden um den Bedürfnissen der Gäste genüge zu leisten. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken muss gewährleistet sein. Neue Touristenattraktionen müssen erschlossen werden. Laut den ATCO-Vertretern unter anderem Erlebnispfade in Nationalparks. Und für Kreuzfahrten müssen mehr Schiffe auf die Flüsse um die zukünftigen Touristenströme transportieren zu können.
Die Risiken dieser Entwicklung werden dramatisch sein. Dörfer und Städte expandieren. Die Folge: Regenwald muss für Häuser und Straßen weichen. Ernorme Energie wird verbraucht für Elektrizität oder das heranschaffen von Lebensmitteln oder Getränken. Umstrittene Wasserkraftwerke werden realisiert und unter dem Label erneuerbare Energien gehandelt. Nachhaltiges Green Washing für ein ruhiges Gewissen. Dass dabei zig tausende Hektar wertvollster Regenwald unwiederbringlich zerstört und die indigene Bevölkerung vertrieben wird, das wird schlicht ausgeblendet. Des weiteren kommt auf die Kommunen und Gemeinden ein enormes Müll- und Abwasserproblem dazu. Und die zunehmende Flussschifffahrt birgt ihre eigenen Gefahren und wirft Fragen auf. Was für Schiffe werden eingesetzt? Mit welcher Technologie sind sie ausgestattet? Wie und wo werden Altöl, Abfall und Abwässer entsorgt? Harald Petrul vom Regenwaldschutz-Projekt Chanchamayo stellte diese Fragen den ATCO-Akteuren und bekam verblüffende Antworten. So haben die Vertreter von Guayana, Surinam, Ecuador, Bolivien und Brasilien unisono mitgeteilt, dass es in der Vergangenheit große Probleme mit illegalem Holzeinschlag und dem Bergbau gab. Dass diese Entwicklung sehr problematisch sei, hätten die Regierungen erkannt und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet, wie etwa den Stopp eines Bergbauprojektes in Ecuador. Der Schutz der Natur und ihre Artenvielfalt sind von größter Bedeutung und wird mit dem Ausbau eines ökologisch nachhaltigen und Gemeindebasierten Tourismus gefördert, so die Vertreter.
Über Abfälle, Abwässer oder Verklappung von Altöl oder Brauchwasser fiel nicht ein Wort. Die Lanze brach dann Karola Tippmann von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) die das Projekt in der Funktion als Tourismn Advisor innerhalb der ATCO vertritt. Laut Tippmann stellt die ATCO nur die Rahmenbedingungen für eine funktionierende Infrastruktur. Alles andere liege in der Verantwortung der einzelnen Kommunen und Gemeinden. Aha! Die Touristen bekommen also ein Green-Book mit Empfehlungen für umweltbewusstes Reisen während Kommunen und Gemeinden mit ihren Müllproblemen allein gelassen werden. Hier müssen verbindliche Umweltstandards festgelegt werden. Know how , logistische und finanzielle Unterstützung müssen gewährleistet werden, wie etwa zum Bau von Kläranlagen.
Außer dem zu erwarteten regionalen Tourismusboom in Amazonien hat der Massentourismus schon Einzug genommen. Kreuzfahrtschiffe der Superklasse unter anderem von AIDA Cruises, Hapag Lloyd, Phoenix Kreuzfahrten oder der Carnival Cruise Line, fahren das Gebiet regelmäßig an. Mit fatalen Folgen. Die schwimmenden Glitzerwelten in den Grünen Wäldern bergen ein enormes Umweltproblem. So benötigen diese Giganten durchschnittlich 7.000.000 Liter Brauchwasser und produzieren um die 800.000 Liter Abwässer, ca. 130.000 Liter ölhaltiges Wasser und 50 Tonnen Müll, und das wöchentlich. Glaubt man den Reedereien so werden Abwässer geklärt, Müll gesammelt und vorschriftsmäßig entsorgt. Doch es gibt immer noch viele schwarze Schafe, die Abwässer und Müll illegal auf hoher See verklappen oder für wenig Geld in Karibikhäfen loswerden, wo eine unsachgemäße Entsorgung gewährleistet ist.
Viel problematischer ist aber das Schweröl bzw. Treibstoffe mit einem extrem hohen Schwefelanteil. Zwar verfügen viele Schiffe der großen Reedereien die Technik um umweltfreundlicheren, schwefelarmen, Schiffsdiesel zu verwenden, doch dieser Treibstoff ist in Lateinamerika nicht verfügbar. Die Folge daraus ist ein hoher Ausstoß von extrem giftigen und unweltschädlichen Abgasen.
Keine Frage, den mächtigsten Fluss der Welt und seine Nebenflüsse zu befahren und erfahren ist ein außergewöhnliches Erlebnis. Doch wie sich die gesamte Region in den letzten 27 Jahren entwickelt hat ist erschreckend, erschütternd und schockierend. Wie diese Entwicklung weitergeht möchte man sich schon gar nicht mehr ausmalen. Erst kamen die Holzfäller, dann die Soja- und Zuckerrohrbarone, gefolgt von den Rinderzüchtern. Dadurch sind seit den 1970er Jahren die Amazonaswälder um fast 50% verschwunden oder irreparabel gestört. Indigene Völker wurden aus ihrem Wald vertrieben und zum Teil ausgerottet. Und jetzt zum Schluss kommt der Tourismus …
Der Tourismus kann eine Chance sein, den Kampf um die letzten Wälder Amazoniens zu gewinnen. Doch dazu bedarf es Länderübergreifender Standards in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Ebenso muss eine ökologisch und ökonomisch gerechte Entwicklung gewährleistet sein, sowie die Einhaltung von Menschenrechten, insbesondere der Schutz Indigener Volksgruppen. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die ACTO gefordert, sondern auch die nationalen und internationalen Reiseverbände, Reiseveranstalter bis hin zum einzelnen Reisebüro. Es ist eine Herausforderung die nicht von den einzelnen Gemeinden und Kommunen allein gestemmt werden kann.
Eine Herausforderung der sich auch die Verbraucher stellen sollten und müssen. Es kommt einzig darauf an was und wie weit wir sehen möchten. Ob wir nur das außergewöhnlich schöne, oder auch den Dreck wahrnehmen. Ob wir die letzen Wale, Orang Utans, Papageien oder Pumas schützen oder sie vollends verrecken lassen wollen. Ob wir die letzten Naturparadiese bewahren wollen oder sie vollends der Zerstörung preisgeben. Ob wir es weiterhin zulassen, dass durch die Erschließung neuer touristischer Zielgebiete Menschen von ihrem Land vertrieben werden, Recourcen wie Trinkwasser verknappen, Naturräume zerstört, Kinderarbeit gefördert oder Menschenrechte missachtet werden. Nachhaltigkeit fängt ganz unten an. Jeder einzelne kann mit seiner Macht als Konsument dazu beitragen. Eine Macht die Anbieter und Politik zum handeln zwingt und in die Pflicht ruft. Gemeinsam können wir es schaffen, dass über Nachhaltigkeit nicht nur geschrieben und geredet wird, sondern dass sie gelebt wird. Eine Lebens- und Reisephilosophie die belohnt wird, in dem wir auch in Zukunft von uns bereits besuchte Länder und Orte wieder aufsuchen können, um erneut in ihre unzerstörten, fremden und faszinierenden Kultur- und Naturräume einzutauchen.
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