Als das kleine Mädchen eine Minute nach der Geburt für tot erklärt wurde, die Mutter jedoch mehr oder minder wohlauf war, konnte Ernandes Kraieske trotz seiner Trauer endlich aufatmen. Über Monate hinweg hatte der 23-jährige Brasilianer um Leib und Leben seiner vier Jahre jüngeren Frau Brendha Soares gefürchtet. Die Geburt am Mittwoch (11.) in Cuiabá im Bundesstaat Mato Grosso war von Komplikationen überschattet, auch die letzten Wochen der Schwangerschaft waren keineswegs unkritisch gewesen.
Bereits in einem frühen Stadium war im Rahmen einer Routineuntersuchung bei dem Fötus Anenzephalie diagnostiziert worden. Die Schädeldecke war nicht geschlossen und auch das Gehirn fehlte fast vollständig. Ein solches Kind ist nach allgemeiner medizinischer Auffassung nicht lebensfähig und stirbt in der Regel bereits kurz nach der Geburt. Das junge Paar beschloss daher, Leid für Kind und Mutter zu beenden und das Baby nicht auszutragen.
Ernandes bemühte sich nach Kenntnis der Behinderung um eine richterliche Entscheidung für einen legalen Schwangerschaftsabbruch. Dieser ist in Brasilien jedoch nur dann erlaubt, wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung ausgelöst wurde oder das Leben der Mutter durch das Austragen des Kindes gefährdet ist. Andernfalls droht allen Beteiligten bis zu zehn Jahre Haft.
So sahen es auch die zuständigen Richter in Cuiabá. Sie lehnten daher ziemlich zügig einen Abort ab. Ein umgehend angestrebtes Berufungsverfahren ist jedoch noch anhängig. Obwohl das Kind mittlerweile bereits geboren wurde – und gestorben ist. Ernandes fühlt sich durch die Justiz seines Landes mehr als „bestraft“. Monatelang musste er mit der Gewissheit leben, dass seine Tochter sterben wird. Und mit der Angst umgehen, dass seine Frau dies ebenfalls nicht überleben könnte.
Die erzwungene Fortführung der Schwangerschaft findet Ernandes daher auch mehr als ungerecht. Und damit steht er selbst im religiös geprägten Brasilien zum Glück nicht mehr alleine. Nun haben werdende Mütter von höchster Instanz das Recht erhalten, selbst darüber zu entscheiden, ein Kind mit Anenzephalie auszutragen oder nicht. Eine Selbstverständlichkeit in vielen Ländern, ein Quantensprung für Brasilien.
In einem mit großem Interesse verfolgten Verfahren hat der oberste Gerichtshof des Landes am Mittwoch und Donnerstag den Abort bei Föten mit einem Anenzephalus genehmigt. Mit 8:2 Stimmen bei einer Enthaltung fällte der „Supremo Tribunal Federal“ (STF) damit eine Grundsatzentscheidung, nach welcher sich zukünftig die Behörden und niederen Instanzen richten müssen.
Noch während der zweitägigen Urteilsverkündung liefen Abtreibungsgegner Sturm, versuchten mit Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude in der Hauptstadt Brasília die Vertreter der höchsten Instanz der brasilianischen Judikative für sich zu gewinnen. Mit philosophischen Betrachtungen zum Leben und mit Einzelfällen von Kindern, die mit Anenzephalie sogar das Säuglingsstadium überlebt hätten.
Vor allem der Beginn des menschlichen Lebens wurde mehr als philosophisch thematisiert. Wissenschaftlich gesehen, beginnt dieses mit der Verschmelzung der Eizelle mit einer Samenzelle, argumentierten die Protestler. Von diesem Moment an sei Leben von der brasilianischen Verfassung geschützt.
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