Selbst Notoperation kann Chávez-Sozialismus nicht mehr retten

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Bereits 2012 bröckelte der Putz von den sozialistischen Fassaden (Foto: Dietmar Lang / IAP Photo)
Datum: 23. Februar 2014
Uhrzeit: 17:04 Uhr
Ressorts: Editorial, Venezuela
Leserecho: 6 Kommentare
Autor: Dietmar Lang
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Die Rede war einmal mehr fulminant. Der vom Krebs gezeichnete Hugo Chávez vermochte trotz Dauerregens beim Wahlkampfabschluss im Oktober 2012 die Massen zu begeistern. So zumindest musste es für einen Aussenstehenden aussehen. Es war schliesslich das Ziel der kräftezehrenden Aktion in der venezolanischen Hauptstadt nur wenige Tage vor dem Urnengang. Es war allerdings ein offenes Geheimnis, dass viele Menschen in den roten T-shirts, mit Chávez-Käppie und Landesflagge ausgestattet nicht unbedingt freiwillig im Regen standen. Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts hatte sie dazu verdonnert, an den Massenkundgebungen teilzunehmen und den bereits todgeweihten Anführer der bolivarischen Revolution zu unterstützen.

Und vielleicht gerade deswegen brandete im Regen von Caracas nach der Rede letztmalig dieser unvergleichbare Jubel aus. Über eine Million Kehlen feierten ihren „Comandante“ oder taten zumindest so. Schliesslich gab es Lunchpakete, Essen und T-Shirts gratis. Aus dem ganzen Land waren die Chávistas in die Millionenmetropole gekarrt worden, um Stärke zu zeigen. Was sie nicht wussten, es war der Anfang vom Ende. Der Putz am Sozialismus des 21. Jahrhunderts bröckelte schon seit geraumer Zeit ab, das Land war zutiefst gespalten und der Sieg der Regierungsparteien bei den Wahlen war bereits keineswegs mehr sicher. Chávez hatte das Land in seiner mehr als eine Dekade andauernden Herrschaft heruntergewirtschaftet. Mit seinem Charisma und seiner Omnipräsenz allerdings schaffte er es gerade noch, die losen Ziegel in der Wand zu halten. Etwas, das für seinen Nachfolger Nicolas Maduro unmöglich sein sollte.

Maduro war nur sechs Wochen nach Chávez‘ Tod im April 2013 an die Macht gekommen und profitierte dabei gehörig von der durch die gleichgeschalteten Staatsmedien unbarmherzig verlängerte Volkstrauer. Als Zivilist und ohne jegliche militärische Erfahrung konnte der ehemalige Busfahrer sich jedoch kaum oberster Feldherr im Kampfanzug gegen den allgegenwärtigen Imperialismus feiern lassen. Maduro schwor jedoch, die bolivarische Revolution im Sinne seines Vorgängers fortzuführen. Was trotz jeder Menge militärischer Floskeln nicht nur rhetorisch gehörig misslang. Denn für das Gedeihen einer politischen Vision benötigt man das blinde Vertrauen des Volkes. Diese muss hinter den Zielen stehen und dem Anführer auch einem steinigen Weg entlang folgen. Als nach und nach das Bild Chávez‘ in den Köpfen der Bewohner verblasste und die Alltagssorgen wieder das Leben beherrschten, wuchs der Unmut in breiten Bevölkerungsschichten umso stärker. Nicht nur die Mittelschicht muckte nun auf, auch die unteren Schichten sahen ihre Pfründe schwinden.

Maduros „Erfolge“: Inflation, Kriminalität, Lebensmittelknappheit

Weniger als ein Jahr nach dem Amtsantritt Maduros war alles angestiegen, nur nicht die Zustimmung für den neuen Präsidenten: Inflation, Kriminalität, Lebensmittelknappheit. Der wichtigste Schutzwall des Sozialismus des 21. Jahrhunderts war endgültig eingestürzt. Und erneut gingen die Menschen auf die Straße. Zuerst Bürger, die nicht den halben Tag für einen Liter Milch anstehen wollten. Dann die Studenten, die gegen explodierende Gewalt, Korruption und Vetternwirtschaft protestierten. Maduro, sprachlich mittlerweile vollständig außer Kontrolle geraten, bezeichnete das Aufbegehren des Volkes als „Staatsstreich“. Nicht nur die Opposition war nun „faschistisch“, auch Kritiker in den eigenen Reihen und unabhängige Medien wie der amerikanische Nachrichtenkanal CNN werden mittlerweile so klassifiziert.

Ich bin damit vermutlich auch ein Faschist – einer von denen, die Maduro gerne zum Schweigen bringen möchten. Natürlich nicht durch die in Chávez-Zeiten mit Kriegsgerät ausgestatteten Milizen, die nun ihre Runden drehen und auf friedliche Demonstranten schiessen. Auch nicht durch das jüngst aus Kuba eingeflogene Militär, womit Castro vermutlich die kostenlosen Öl-Lieferungen sicherstellen will. Selbst von den Fallschirmspringern der venezolanischen Armee, die in einigen Landesteilen derzeit die öffentliche Sicherheit herstellen sollen, droht mir keine Gefahr. Doch es besteht durchaus die Möglichkeit, dass diese Zeilen in Venezuela nicht gelesen werden können. In zahlreichen Städten wurde zumindest zeitweilig das Internet abgeschaltet, in anderen Regionen soziale Netzwerke wie Twitter oder Smartphone-Apps wie Walkie-Talkie blockiert. Auch unser Portal soll in einigen Städten aufgrund der Netzsperren temporär nur über Proxys erreichbar gewesen sein. Und nachdem CNN-Reportern mittlerweile die Akkreditierung entzogen wurde, ein kolumbianischer News-Channel aus dem Kabelnetz geflogen ist und der Rest über die gesetzlich vorgeschriebene Senderkette stundenlange Regierungsprogramme ausstrahlen muss, darf man in Venezuela mittlerweile ganz offen von drastischen Eingriffen in die Pressefreiheit sprechen.

Friedlicher Politikwechsel und Neuwahlen oder bürgerkriegsähnliche Zustände unter Maduro-Diktatur

Aber alle diese überhasteten und unüberlegten Notoperationen werden den Chávez-Sozialismus nicht mehr retten können. Die letzten Mauern der bolivarischen Revolution sind eingestürzt oder am Einstürzen. „Sozialismus oder Tod“ sind nicht mehr die einzigen Optionen, wo der Blick wieder bis zum Horizont reicht. Venezuela steht damit abermals am Scheideweg: entweder es gibt einen einigermaßen friedlichen Politikwechsel mit vorgezogenen Neuwahlen – oder dem Land drohen bürgerkriegsähnliche Zustände bei dem sich das Maduro-Regime immer stärker in eine Diktatur verwandeln und darüber stürzen wird. Willkürliche Festnahmen durch korrupte Justiz, Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte, Erschiessungen auf offener Straße durch von der Regierung unterstützten Banden – die Ereignisse der letzten Tage zeigen bereits auf, dass der Weg bis zur Eskalation nicht mehr weit ist.

Doch die Menschen auf den Straßen werden nach mittlerweile insgesamt zehn Toten und Hunderten an Verletzten nicht mehr klein beigeben. Der Rückhalt für das Ziel eines demokratischen Wandels ist ungleich größer als nach der verlorenen Wahl im vergangenen Jahr, die Opposition hat mit Leopolo Lopez einen markanteren Anführer dazugewonnen und die Sorgen der Menschen im Land sind ungleich größer. Zudem zeigen sich die Demonstranten von den zeitgleich in der Ukraine verfolgten Entwicklungen motiviert. Dort ist der Präsident mittlerweile abgesetzt. Und als hätte es Maduro geahnt, versuchte selbiger schon vor Tagen die Parallelen vom Tisch zu wischen. „Venezuela ist nicht die Ukraine“ beschwor er die Menschen im Land. Inzwischen macht er allerdings wie der längst entmachtete Wiktor Janukowytsch gleichermaßen Zugeständnisse. Der hatte sich vor seiner Absetzung mit der Opposition an einen Tisch gesetzt und einen Kompromiss verhandelt. Maduro will dies am kommenden Mittwoch tun. Dann findet eine von ihm einberufene „nationale Friedenskonferenz“ statt. Auf dem Schutthaufen des Chávez-Sozialismus!

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Die Kolumne von latinapress Herausgeber Dietmar Lang – Gedanken und Erfahrungen über das Leben in Lateinamerika und der täglichen Berichterstattung von Nachrichten aus Südamerika und der Karibik.

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  1. 1
    Marvin Scott

    Es wird das allbekannte Problem von Revolutionen auch auf Vzla zukommen: Alle Oppositionelle sind sich einig, dass etwas ändern muss, ein Diktator weg muss. Aber danach folgt der Streit um’s Thema „wie weiter?“ Vorteil für Vzla: Anschauungsunterricht gibt es auf der ganzen Welt genug, z.B. nach dem „arabischen Frühling“, in Burma und seit heute in der Ukraine, wie man’s machen soll oder eben wie nicht.

  2. 2
    VE-GE

    Sicherlich ist es und wird es nicht einfach in Venezuela aber denoch moeglich!

  3. 3
    Martin Bauer

    Sehr gut und treffend beschrieben! Nur die Ereignisse in der Ukraine interessieren die Venezolaner nicht mehr, als die Ereignisse in Venezuela die Ukrainer interessieren, also mas o menos ZERO, was einerseits bedauerlich, andererseits verständlich ist.

  4. hmmm. Das groesste Problem, das die Venezolaner haben, ist, dass es auch in der „Elite“ keine Einigkeit gibt und deshalb um jeden kleinen Zipfel Einflussnahme und Machtbereich gefightet wird. Eine wirkliche Besserung fuer das Land kann sich deshalb noch lange hinziehen. Auch wenn Capriles eines Tages das Sagen haben wird.

    Jeder einigermassen gebildete Buerger weiss, dass der Sozialismus nur in der Theorie und auf dem Blatt Papier funktioniert. Chavez glaubte in seiner Naivitaet, er haette das Rad zum zweiten Mal erfunden.

    Hinzu kommt in Venezuela, dass die Masse wirklich grauenhaft, oehm, wie sag ichs mal vornehm ?, „ungebildet“ ist, um nicht zu sagen: saudoof. Das aber ist ja in vielen Laendern der Erde zu beobachten. Hier aber faellt es mir besonders auf, weil ich jeden Tag mit ihnen zu tun habe. Im Geschichtsunterricht muessen sie Jahre lang gefehlt haben ? Wenn ich mir das schulische Niveau ansehe, das in den oeffentlichen Schulen Einzug gehalten hat, faellt mir nur noch im Vergleich die deutsche „Sonderschule“ ein.

    Mit einem Lehrerpersonal, das selbst nicht einmal richtig spanisch zu schreiben in der Lage ist, kann man keinen Blumentopp gewinnen. D.h. So lange es diese mentalen Barfussgaenger gibt, die nur auf Sprueche und Parolen hoeren, ohne selbst nachdenken zu koennen, mangels Masse, werden wir noch ne Weile Onkel Maduro, dem ja sein eigenes Voegelchen „erschienen“ ist, wie ich hoerte, „geniessen duerfen. Es ist zum Wegrennen.

  5. 5
    Jens

    Eure Einschätzungen sind immer noch sehr optimistisch. Und der Vergleich mit der Ukraine ist absolut falsch.

    Die Ukraine liegt zwischen Europa und Russland und hat frei verfügbare Bodenschätze und Exportartikel nämlich Weizen. Pleite sind sie trotzdem. Jedoch haben sowohl die EU auch Russland Kredite in Milliardenhöhe zugesagt.

    VZ hat seine Ölvorräte gröstenteils verpfändet oder über das Petrocaribe gebunden. Partnerländer die finanzielle Zusagen machen – Fehlanzeige. VZ bekommt bestenfalls mit einem besonnenen General eine Militärdiktatur wie in Ägypten, ansonsten drohen eher afrikanische Zustände.

  6. Optimistisch war ich im Hinblick auf den Zustand in Venezuela nur am Anfang der Chavez Aera. Dachte, man schafft es, ihn 2002 zu „entfernen“. Danach habe ich erkannt, dass jedes Volk das bekommt, was es waehlt/verdient. Mittlerweile hat die chavisitsche, diktatorische Regierung sich so festgesetzt, dass es nur mit einem enormen Blutzoll gelingen wird, dieses Regime zum Abdanken zu zwingen.

    Ich schrieb schon in anderen Kommentaren, dass das Militaer eine Schluesselrolle spielt. Aber dem geht es „wirtschaftlich“ so gut, dank der ausgezeichnet funktionierenden Korruption, dass es noch ne Weile „aushalten“ wird.

    Mit der Ukraine kann man Venezuela ueberhaupt nicht vergleichen. Wenn Demonstranten, die fuer ein besseres Leben manifestieren, als Faschisten bezeichnet, fragt man sich, was diesem Vollhonk noch alles einfallen wird, um einen Grund zu haben, Leute killen zu lassen ??

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